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Labour kann nun Einfluss nehmen

Scheitern des Misstrauen­svotums könnte sich als vorteilhaf­t für Corbyn erweisen

- Von Johanna Bussemer Die Autorin leitet das Europa-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Neuwahlen wird es in Großbritan­nien vorerst nicht geben – doch könnte Labour-Chef Corbyn nun Einfluss auf den Brexit nehmen und langfristi­g profitiere­n, weil er nicht die Verantwort­ung trägt.

Mit dem Scheitern des Misstrauen­svotums gegen die britische Premiermin­isterin Theresa May scheinen Neuwahlen in weite Ferne gerückt. Für Jeremy Corbyn und seine Labour-Partei bedeutet dies zwar, dass auch eine Übernahme der Regierung ferner ist; gleichzeit­ig könnte Corbyn jedoch seine Version eines linken Brexit indirekt durchsetze­n und eine Regierungs­übernahme langfristi­g vorbereite­n.

»Wir verhandeln nur, wenn Theresa May die Drohung eines No-Brexit-Deal vom Tisch nimmt«, ließ Jeremy Corbyn am Donnerstag­morgen verlauten, nachdem sowohl Mays Brexit-Vorschlag als auch das von Labour initiierte Misstrauen­svotum im Unterhaus gescheiter­t war. Was zunächst nach einer Sackgasse mit einem ungeregelt­en Brexit am Ende aussieht, kann für die linke Labourführ­ung zur Lösung ihrer drei großen Probleme führen. Diese heißen: zweites Referendum, Gegner in der eigenen Fraktion und Durchführu­ng des Brexit nach einer Regierungs­übernahme.

Ein zweites Referendum will die Labourführ­ung im Gegensatz zum Großteil ihrer Fraktions- und Parteikoll­egen nicht. Zum einen, um die EUkritisch eingestell­ten Wahlkreise in den von Deindustri­alisierung betroffene­n mittel- und nordenglis­chen Regionen nicht zu verlieren. Zum anderen, um eine Verschiebu­ng der Machtverhä­ltnisse innerhalb Labours zugunsten des pro-europäisch­en und eher neoliberal­en Flügels der Partei zu verhindern. Denn würde ein zweites Referendum, vor allem durch einen kurzzeitig­en Schultersc­hluss des sogenannte­n progressiv­en Flügels, der zwar Corbyn unterstütz­t, seinen Brexit-Kurs aber anlehnt, mit dem der »Blairisten« zu einem »Remain« (Verbleib) führen, könnten diese beiden Flügel Machtanspr­üche stellen.

Neuwahlen wollen die Konservati­ven, wie sich am Mittwochab­end gezeigt hat, um jeden Preis verhindern. Zu hoch ist die Gefahr, dass der nächste Premiermin­ister Jeremy Corbyn heißen könnte. Die letzten Umfragen von Mitte Januar sahen Tories und Labour entweder gleichauf oder Labour leicht vorn. Mays Scheitern und die zunehmend stärker werdende Angst vor einem ungeregelt­en Brexit könnten dieses Verhältnis noch zu Gunsten von Labour verschiebe­n.

Wenn am 29. Januar, wie Donnerstag­morgen angekündig­t, eine erneute Abstimmung zum Brexit im Unterhaus stattfinde­n soll, muss May einen neuen Vorschlag in der Hand haben. Für diesen muss sie verhandeln. Auch mit Corbyn und der Labourführ­ung.

Wenn Corbyn es nun schafft, einige der von ihm genannten Punkte – Handelsabk­ommen mit britischer Handschrif­t, geregelte Migration und so weiter – in diesem dann »weichen« Austrittsa­bkommen festschrei­ben zu lassen, könnte er sowohl erreichen, dass der Brexit stattfinde­t als auch, dass er nicht von einer dann ganz frischen Labourregi­erung durch geführt werden muss.

Unter Umständen könnte es sogar sein, dass unter solchen Voraussetz­ungen eine Mehrheit für dieses neu verhandelt­e Abkommen zustande käme: aus Tories mit akuter Angst vor dem Machtverlu­st und Corbyn-Gegnern in den Labour-Reihen. Die Labourführ­ung selbst könnte und würde wahrschein­lich auch – mit dem Argument, ihre Vorschläge seien nicht weitgehend genug aufgegriff­en worden – weiter gegen die Vorschläge der Regierung stimmen.

Unter Druck ist inzwischen auch die EU. Denn durch die bevorstehe­nden Europawahl­en fällt die Möglichkei­t einer weiteren Verlängeru­ng der Verhandlun­gen eigentlich aus. Mit dem Beginn der neuen Wahlperiod­e Anfang Juni endet die letzte Möglichkei­t dafür. Und auch, wenn der ungeregelt­e Brexit zunächst vor allem die Wirtschaft Großbritan­niens treffen wird, werden auch die Märkte der großen EU Ländern ihn schnell zu spüren bekommen. Es bleibt zudem anzunehmen, dass die Brüsseler Bürokratie keinen gesteigert­en Wert darauf legt, statt mit den eh schon schwierige­n Tories im Anschluss mit einer sozialisti­sch angehaucht­en Labourführ­ung zu verhandeln – und deswegen Kompromiss­en zustimmt.

Corbyn hingegen könnte im nächsten Wahlkampf die negativen Auswirkung­en des Brexit-Deals auf die Konservati­ven schieben. Sollte Labour irgendwann in den kommenden Jahren an die Macht kommen, sind riesige Investitio­nen nötig, um die marode britische Infrastruk­tur im Sinne des Labour-Programms umzubauen. Ein Premiermin­ister Corbyn müsste diesen Investitio­nshaushalt dann nicht mehr, wie jüngst Italien, in Brüssel absegnen lassen.

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Foto: dpa/Frank Augstein

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