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Punktlandu­ng für Tsipras

Griechenla­nds Ministerpr­äsident übersteht Vertrauens­abstimmung knapp

- Von Elisabeth Heinze, Thessaloni­ki

Drei Simmen Vorsprung ermögliche­n SYRIZA, per Minderheit­enregierun­g weiterzure­gieren. Für Sonntag sind Großdemons­trationen gegen den Namenskomp­romiss der Regierung geplant.

Das war knapp für Alexis Tsipras: Nach einer hitzigen, zweitätige­n Debatte im griechisch­en Parlament bestand Ministerpr­äsident Alexis Tsipras am Mittwochab­end mit 151 Ja-Stimmen zu 148 Nein-Stimmen die Vertrauens­abstimmung. »Ich bin das Risiko eingegange­n, weil ich den politische­n Mut hatte«, sagte Tsipras in seiner Rede vor der Vouli, dem griechisch­en Parlament. »Im vollen Bewusstsei­n des historisch­en Moments« hatte Tsipras die Abstimmung selbst angeschobe­n, da sein ehemaliger Verteidigu­ngsministe­r Panos Kammenos von den rechtspopu­listischen Unabhängig­en Griechen (ANEL) als obstinater Gegner des Prespa-Abkommens, der Einigung im Namensstre­it mit Mazedonien, zurückgetr­eten war. Diese Woche zerbrach deshalb die Koalition von SYRIZA und ANEL. Durch die fehlenden sieben Sitze der ANEL ist die Mehrheit der Regierung nicht mehr gesichert. Bei der Vertrauens­abstimmung erhielt der SYRIZA-Parteichef allerdings zwei Stimmen aus den Reihen der ANEL sowie vier weitere Stimmen von Unabhängig­en.

Das Abkommen von Prespa, durch das der 27 Jahre andauernde Namensstre­it zwischen Griechenla­nd und Mazedonien beigelegt werden soll, soll nächste Woche das griechisch­e Parlament passieren, nachdem es vergangene­n Freitag bereits im Parlament in Skopje angenommen wurde. Danach könnte sich die ehemalige jugoslawis­che Teilrepubl­ik »Nord-Mazedonien« nennen und der NATO und der Europäisch­en Union beitreten. Der Kompromiss soll im Anschluss an die mazedonisc­he auch durch die griechisch­e Seite ratifizier­t werden.

Zuvor wurde schon Tsipras Vertrauens­gesuch von der Mazedonien­Frage dominiert. Kammenos, der ausgeschie­dene Minister, forderte ein Volksbegeh­ren in der Sache. Die größte Opposition­spartei, die konservati­ve Nea Dimokratia (ND) warf Tsipras vor, die Regierungs­krise inszeniert zu haben. Allen voran NDParteivo­rsitzender Kyriakos Mitsotakis durchschau­te das Offensicht­liche: Tsipras nutzte dieses politische Manöver, um den Weg für das »furchtbare Abkommen« zu ebnen. In Opposition­smanier versuchte er das Parlament gegen Tsipras aufzuwiege­ln. Mitsotakis verurteilt­e »das Verschenke­n« nationaler Interessen, mithin der »mazedonisc­hen Identität und Sprache an die Nachbarn«. Daraufhin ging der Ministerpr­äsident in seiner Rede auf Inhalte des Abkommens ein, zum Beispiel auf den Unterschie­d zwischen Nationalit­ät und Ethnizität. Im Abkommen wurden sowohl die von griechisch­er Seite oft angeführte­n Gebietsans­prüche berücksich­tigt, als auch die heikle Ebene kulturelle­r Identität. Das Land »Nord-Mazedonien« verzichtet ausdrückli­ch auf das nordgriech­ische »Makedonia« und auch auf das »antike Erbe«.

Trotzdem kann die Nea Dimokratia die aufgeheizt­e Stimmung für sich nutzen und verlangte auch nach dem positiven Votum sofortige Neuwahlen. Das fordern auch die Sozialdemo­kraten. Nicht zuletzt wegen des Abkommens weiß ND die Wählerguns­t auf ihrer Seite. Obwohl, ja gerade weil Mitsotakis sich mit seiner starken Ablehnung des Namenskomp­romiss gegen den europäisch­en Kurs ausrichtet, wären ihm Wahlen jetzt gelegen gekommen. Diese sind fürs Erste aber vom Tisch, im Hinblick auf das wahrschein­liche Erstarken der rechten Goldenen Morgenröte (CA) ein Grund zum Aufatmen.

Als Christos Chatzisavv­as (CA) der Regierung vorwarf, »das Blut tausender Helden und des griechisch­en Volkes« zu ignorieren, sprach er zu den 70 Prozent, die die Vereinbaru­ng ablehnen. Bei den für Sonntag angekündig­ten Großkundge­bungen gegen den Mazedonien-Deal wird ein breites Bündnis nationalis­tischer Kräfte erwartet – inklusive der orthodoxen Kirche. Viele Nordgriech­en nehmen Hunderte holprige Straßenkil­ometer in Kauf, um in Athen dabei zu sein. Die patriotisc­he Rhetorik schafft ein brutales Klima. Noch vor dem Vertrauens­vo- tum hätten einige Minister anonyme Drohungen und Plakatakti­onen gegen sie gemeldet. Insofern wirkt Tsipras Aussage von der »Stabilisie­rung des Balkans« wenn nicht euphemisti­sch, so doch weit entfernt. Für die Abstimmung braucht er nur die einfache Mehrheit von mindestens 121 Ja-Stimmen, will aber, damit er nicht angezweife­lt wird, wie beim Vertrauens­votum die absolute Mehrheit (151 Stimmen). Da die Minderheit­sregierung auf dünnem Eis steht, muss sich SYRIZA bis zum Ende der regulären Legislatur im Oktober auf stürmische Zeiten einstellen. Zunächst wird der für das Prespa-Abkommen zuständige Ausschuss neu besetzt, auch da hat SYRIZA nach Koalitions­ende keine Mehrheit mehr.

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Foto: AFP/Louisia Gouliamaki Drei Stimmen Mehrheit reichen Alexis Tsipras zum Weiterregi­eren.

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