Punktlandung für Tsipras
Griechenlands Ministerpräsident übersteht Vertrauensabstimmung knapp
Drei Simmen Vorsprung ermöglichen SYRIZA, per Minderheitenregierung weiterzuregieren. Für Sonntag sind Großdemonstrationen gegen den Namenskompromiss der Regierung geplant.
Das war knapp für Alexis Tsipras: Nach einer hitzigen, zweitätigen Debatte im griechischen Parlament bestand Ministerpräsident Alexis Tsipras am Mittwochabend mit 151 Ja-Stimmen zu 148 Nein-Stimmen die Vertrauensabstimmung. »Ich bin das Risiko eingegangen, weil ich den politischen Mut hatte«, sagte Tsipras in seiner Rede vor der Vouli, dem griechischen Parlament. »Im vollen Bewusstsein des historischen Moments« hatte Tsipras die Abstimmung selbst angeschoben, da sein ehemaliger Verteidigungsminister Panos Kammenos von den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (ANEL) als obstinater Gegner des Prespa-Abkommens, der Einigung im Namensstreit mit Mazedonien, zurückgetreten war. Diese Woche zerbrach deshalb die Koalition von SYRIZA und ANEL. Durch die fehlenden sieben Sitze der ANEL ist die Mehrheit der Regierung nicht mehr gesichert. Bei der Vertrauensabstimmung erhielt der SYRIZA-Parteichef allerdings zwei Stimmen aus den Reihen der ANEL sowie vier weitere Stimmen von Unabhängigen.
Das Abkommen von Prespa, durch das der 27 Jahre andauernde Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien beigelegt werden soll, soll nächste Woche das griechische Parlament passieren, nachdem es vergangenen Freitag bereits im Parlament in Skopje angenommen wurde. Danach könnte sich die ehemalige jugoslawische Teilrepublik »Nord-Mazedonien« nennen und der NATO und der Europäischen Union beitreten. Der Kompromiss soll im Anschluss an die mazedonische auch durch die griechische Seite ratifiziert werden.
Zuvor wurde schon Tsipras Vertrauensgesuch von der MazedonienFrage dominiert. Kammenos, der ausgeschiedene Minister, forderte ein Volksbegehren in der Sache. Die größte Oppositionspartei, die konservative Nea Dimokratia (ND) warf Tsipras vor, die Regierungskrise inszeniert zu haben. Allen voran NDParteivorsitzender Kyriakos Mitsotakis durchschaute das Offensichtliche: Tsipras nutzte dieses politische Manöver, um den Weg für das »furchtbare Abkommen« zu ebnen. In Oppositionsmanier versuchte er das Parlament gegen Tsipras aufzuwiegeln. Mitsotakis verurteilte »das Verschenken« nationaler Interessen, mithin der »mazedonischen Identität und Sprache an die Nachbarn«. Daraufhin ging der Ministerpräsident in seiner Rede auf Inhalte des Abkommens ein, zum Beispiel auf den Unterschied zwischen Nationalität und Ethnizität. Im Abkommen wurden sowohl die von griechischer Seite oft angeführten Gebietsansprüche berücksichtigt, als auch die heikle Ebene kultureller Identität. Das Land »Nord-Mazedonien« verzichtet ausdrücklich auf das nordgriechische »Makedonia« und auch auf das »antike Erbe«.
Trotzdem kann die Nea Dimokratia die aufgeheizte Stimmung für sich nutzen und verlangte auch nach dem positiven Votum sofortige Neuwahlen. Das fordern auch die Sozialdemokraten. Nicht zuletzt wegen des Abkommens weiß ND die Wählergunst auf ihrer Seite. Obwohl, ja gerade weil Mitsotakis sich mit seiner starken Ablehnung des Namenskompromiss gegen den europäischen Kurs ausrichtet, wären ihm Wahlen jetzt gelegen gekommen. Diese sind fürs Erste aber vom Tisch, im Hinblick auf das wahrscheinliche Erstarken der rechten Goldenen Morgenröte (CA) ein Grund zum Aufatmen.
Als Christos Chatzisavvas (CA) der Regierung vorwarf, »das Blut tausender Helden und des griechischen Volkes« zu ignorieren, sprach er zu den 70 Prozent, die die Vereinbarung ablehnen. Bei den für Sonntag angekündigten Großkundgebungen gegen den Mazedonien-Deal wird ein breites Bündnis nationalistischer Kräfte erwartet – inklusive der orthodoxen Kirche. Viele Nordgriechen nehmen Hunderte holprige Straßenkilometer in Kauf, um in Athen dabei zu sein. Die patriotische Rhetorik schafft ein brutales Klima. Noch vor dem Vertrauensvo- tum hätten einige Minister anonyme Drohungen und Plakataktionen gegen sie gemeldet. Insofern wirkt Tsipras Aussage von der »Stabilisierung des Balkans« wenn nicht euphemistisch, so doch weit entfernt. Für die Abstimmung braucht er nur die einfache Mehrheit von mindestens 121 Ja-Stimmen, will aber, damit er nicht angezweifelt wird, wie beim Vertrauensvotum die absolute Mehrheit (151 Stimmen). Da die Minderheitsregierung auf dünnem Eis steht, muss sich SYRIZA bis zum Ende der regulären Legislatur im Oktober auf stürmische Zeiten einstellen. Zunächst wird der für das Prespa-Abkommen zuständige Ausschuss neu besetzt, auch da hat SYRIZA nach Koalitionsende keine Mehrheit mehr.