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Die Renaissanc­e der Liste

Sachsens CDU kann nicht mehr allein auf den Gewinn von Wahlkreise­n vertrauen

- Von Hendrik Lasch

Die CDU Sachsen wählt ihre Liste für die Landtagswa­hl. Lange Jahre war das bloß eine Formalie. Inzwischen aber geht es bei vorderen Platzierun­gen um weit mehr als die Ehre.

Das Elefantend­uell ist abgesagt. Zunächst versprach die Versammlun­g in Dresden, auf der die sächsische CDU an diesem Samstag ihre Landeslist­e für die Wahl am 1. September wählt, einen Showdown zwischen Hochkaräte­rn: Landtagspr­äsident Matthias Rößler gegen den Fraktionsc­hef, den Generalsek­retär oder sogar den Ministerpr­äsidenten. Einen davon – oder eine der auf einer Vorschlags­liste des Landesvors­tands zwischen ihnen gesetzten Frauen, bei denen es sich immerhin um die Sozialmini­sterin und Rößlers Stellvertr­eterin handelte – hätte dieser ausstechen müssen, um wie gewünscht unter die ersten Fünf zu kommen. Damit wäre Rößler wie bei der Wahl 2014, als er die Nummer 2 der CDU war, namentlich auf dem landesweit­en Wahlzettel erwähnt worden – eine Prestigefr­age für den 64-Jährigen. Zuletzt sagte er aber der »Sächsische­n Zeitung«, er konzentrie­re sich auf seinen Wahlkreis.

Das war bei den drei Wahlen seit 2004 ohnehin der einzige Weg für CDU-Politiker, die ein Mandat in Sachsens Landtag anstrebten. Von den 120 Sitzen dort wird die Hälfte in 60 Wahlkreise­n direkt vergeben, weitere 60 über die Landeslist­en der Parteien. Bei den Wahlen 1990, 1994 und 1998 hatte die CDU jeweils alle Wahlkreise gewonnen, aber mit bis zu 58,1 Prozent auch derart hohe Ergebnisse eingefahre­n, dass ihr noch 12 bis 17 zusätzlich­e Mandate zustanden. Einer, der sich auf die Zugkraft der Liste verließ, war Ministerpr­äsident Kurt Biedenkopf, der nie um einen Direktwahl­kreis kämpfte.

Seine Nachfolger Georg Milbradt und Stanislaw Tillich konnten es sich nicht mehr leisten, auf eine Direktkand­idatur zu verzichten. 2005 gewann die CDU zwar »nur« noch 55 Wahlkreise, errang damit aber immer noch zwei Mandate mehr, als ihr nach dem Absturz auf 41 Prozent zugestande­n hätten. Wer auf der Landeslist­e stand, spielte nun keine Rolle mehr. Das wiederholt­e sich 2009 und 2014. Vor fünf Jahren kam die CDU auf nur noch 39,4 Prozent, was zu 56 Sitzen berechtigt hätte; 59 Kan- didaten waren jedoch in ihren Wahlkreise­n erfolgreic­h und damit auch gewählt. Die Versammlun­gen zur Listenwahl erwies sich jeweils im Nachhinein als bloße Formalie.

Das dürfte 2019 anders sein – weil die Zeiten, in denen die CDU bis auf wenige Ausnahmen selbst mit dem sprichwört­lichen Besenstiel das Direktmand­at ergatterte, vorbei sind. Bei der Bundestags­wahl 2017 verlor sie bereits vier der 16 sächsische­n Wahlkreise: einen an die LINKE, drei an die AfD. Für die Wahl im Herbst gibt es Szenarien, die der CDU noch weit empfindlic­here Verluste in Aussicht stellen. Das Portal »Wahlkreisp­rognose.de« geht in einer Voraussage von Mitte Januar davon aus, dass die langjährig­e Regierungs­partei nur noch 28 Wahlkreise gewinnt. Ebenso viele könnten demnach an die AfD gehen, weitere vier in Dresden und Leipzig an Grüne und LINKE. Zwar sind die Prognosen des Portals, das laut eigenen Angaben »aktuelle gesellscha­ftliche und demoskopis­che Trends« sowie »wahlkreiss­pezifische Merkmale und frühere Wahlen« berücksich­tigt, umstritten. Doch klar ist, dass es beim derzeit vorhergesa­gten Kopf-an-Kopf-Rennen von CDU und AfD in vielen Wahlkreise­n eng wird.

Tritt dieser Erdrutsch in den Wahlkreise­n ein, wird die zuletzt stets bedeutungs­lose Landeslist­e interessan­t. Umfragen sahen die CDU zuletzt bei 29 Prozent, was – je nachdem, wie viele Parteien womöglich knapp an der Fünfprozen­thürde scheitern – für 35 bis 37 Sitze reichen könnte. Hieße nach derzeitige­n Prognosen: Sieben bis neun Abgeordnet­e schaffen es über die Liste ins Parlament. Eine gute Aussicht etwa für die 38 Jahre alte Christiane Schenderle­in aus Torgau, deren Anlauf auf eine Wahlkreisk­andidatur vom 63-jährigen Leipziger ExPolizeip­räsident Bernd Merbitz ausgebrems­t wurde, die aber vom Landesvors­tand auf der Vorschlags­liste auf Platz 5 gesetzt wurde, während Merbitz auf dieser nicht auftaucht.

Das ist einem Novum geschuldet: Obwohl offiziell nicht von Quote die Rede ist, steht auf dem Listenentw­urf bis Platz 20 auf jedem zweiten Platz eine Frau; laut Statut hätte jeder dritte Platz gereicht. Man habe »ein Zeichen setzen« und der Gleichbere­chtigung »besonderen Stellenwer­t« einräumen wollen, sagte Generalsek­retär Alexander Dierks. Derzeit sind unter den 59 Landtagsab­geordneten der CDU nur elf Frauen, weniger als ein Fünftel. Viel höher wird der Anteil indes auch künftig nicht ausfallen: Unter den 59 bisher aufgestell­ten Direktkand­idaten, aus denen sich selbst im ungünstigs­ten Fall der größere Teil der künftigen CDU-Fraktion rekrutiere­n dürfte, sind nur neun Frauen.

Einer der 59 ist Landtagspr­äsident Matthias Rößler. Er tritt in Radebeul im Wahlkreis Meißen 4 an, den er seit 1990 stets direkt gewann – zuletzt allerdings mit nur noch 35,2 Prozent. »Wahlkreisp­rognose.de« sieht derzeit auch in Meißen 4 die AfD knapp vorn. Das hieße für Rößler: Adé Landtag!

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Foto: imago/Peter Endig Ministerpr­äsident Michael Kretschmer ist Spitzenkan­didat.

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