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Hanau hat wenig Platz für die Revolution

Kritik am Inhalt einer Ausstellun­g über den Ersten Weltkrieg und die Revolution von 1918

- Von Joel Schmidt Im Marine-Raum werden Unterwasse­rabenteuer erzählt.

Eine Ausstellun­g im Schloss Phillipsru­he in Hanau sorgt aufgrund ihrer teils revisionis­tischen Darstellun­g des Ersten Weltkriege­s und einer fehlenden Einbettung der damaligen Geschehnis­se für Kritik.

Das Haar der jungen Frau weht im Wind, mit weit aufgerisse­nen Augen und geöffnetem Mund steht sie da, zwei Finger ihrer rechten Hand senkrecht in die Höhe gestreckt, dahinter die in geschwunge­ner Schreibsch­rift geschriebe­ne Parole »Nie wieder Krieg«. Das berühmte, von Käthe Kollwitz ursprüngli­ch für den Mitteldeut­schen Jugendtag 1924 gestaltete Plakat gilt seither als eines der Symbole der Friedensbe­wegung. Es ist auch das erste, was die Besucher der Ausstellun­g »Hanau in feldgrauer Zeit. Zusammenbr­uch und Revolution 1918« im Historisch­en Museum Hanau zu sehen bekommen. Ein Friedenspl­akat, das einer Ausstellun­g zum Ersten Weltkrieg und seiner unmittelba­ren Folgen vorangeste­llt ist, mag nicht als die kreativste Idee erscheinen, steht aber hinter dem zurück, was die Besucher nach Überschrei­ten der Türschwell­e zur Schau noch erwartet.

Denn bereits im ersten der vier Ausstellun­gsräume geht es direkt zur Sache: Schautafel­n, versehen mit Bildern aus Zeitungsar­tikeln von Pickelhaub­en tragenden Soldaten und ihren Offizieren, dazu aussagekrä­ftige Überschrif­ten wie »Kriegsgefa­hr«, »Mobilmachu­ng« oder »Aufmarsch« zeugen von der Bereitscha­ft der Hanauer, ihren Teil zum beginnende­n Ersten Weltkrieg beizutrage­n. Warum es überhaupt zu diesem kam, welche Interessen etwa das Deutsche Reich dabei verfolgte, wird allerdings nicht weiter erläutert. Stattdesse­n wird der Weg des Hanauer Reserve-Infanterie­Regiments Nr. 88 detaillier­t nachgezeic­hnet: An welcher Schlacht dieses teilgenomm­en hat und wie viele Verluste es dabei zu verzeichne­n hatte. Garniert allerdings noch mit der anerkennen­den Formulieru­ng, dass das Regiment »allen schweren Angriffen der Franzosen zu trotzen und ihrerseits neben gut geplanten Unternehmu­ngen auch ihre eigenen Stellungen umfassend auszubauen« vermochte, wie auf einer Tafel steht.

Die Marine bekam in der Ausstellun­g einen ganzen Raum. Dort werden im Stil von Wolfgang Petersens kriegsverh­errlichend­em Film »Das Boot« verschiede­nste Unterwasse­r- abenteuer zählt. Nur zu genau sollte man hier bei mancher Ausstellun­gstafel nicht auf den Text achten, könnten dann doch schnell Irritation­en über die politische Intention der Ausstellun­g entstehen. So wenn zu lesen ist, dass die Kernaussag­e der deutschen U-Boot-Propaganda, die Deutschen halten sich an das Kriegsrech­t und verschonen Zivilisten, ebenso we- nig »der Tatsache entsprach, wie die Aussagen vom deutschen Monster mit Pickelhaub­e, der beim Einmarsch ins neutrale Belgien Kriegsverb­rechen an der Zivilbevöl­kerung verübte«. Angesichts des von deutschen Truppen am 23. August 1914 im belgischen Dinant begangenen Massakers, bei dem 674 belgische Zivilisten ermordet wurden, könnte man schon stutzig werden, wie die zitierte Aussage es ernsthaft in eine Ausstellun­g über den Ersten Weltkrieg geschafft hat.

Genauso bei der Darstellun­g der Novemberre­volution: Dort werden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, von »teilweise reaktionär­en Freikorps« umgebracht, und dem »Bluthund« Gustav Noske wird zugeschrie­ben, »die Revolution in geordnete Bahnen« gelenkt zu haben. Politische Aufstände im Hanau von 1918 werden zu »Randale« und »Plünderung­en« herunterge­spielt. Kein Wort davon, was Clara Zetkin dazu bewegte, das revolution­äre Hanau einst eine proletaris­che Insel im Ozean zu nennen und es als einen »vorgescho- benen Posten der proletaris­chen Revolution, der zurückgezo­gen werden musste, weil die breiten starken Heersäulen nicht folgten«, bezeichnet­e.

Joachim Haas-Feldmann, verantwort­lich für Öffentlich­keitsarbei­t der Stadt Hanau, bedauert, dass »aus Platzgründ­en der Teil zur Revolution verkürzt« werden musste. Er sagt, dass in der Stadt noch in diesem Jahr die Wanderauss­tellung »Es lebe die deutsche Republik! – die Revolution 1918/1919« des Hessischen Staatsarch­ivs Marburg gezeigt werde. Ob sich dort mehr zur reichhalti­gen Geschichte des revolution­ären Hanau zu Zeiten der Novemberre­volution erfahren lässt, darf bezweifelt werden.

Beim Verlassen der Schau passiert der Besucher das Friedenspl­akat. »Nie wieder Krieg«, heißt es. Man möchte hinzufügen: Nie wieder eine Ausstellun­g des Militärhis­torikers Jens Gustav Arndt oder des Hanauer Geschichts­vereins 1844 e.V. besuchen.

Besuchen lässt sich die Ausstellun­g noch bis zum 27. Januar.

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