Im tiefsten Inneren des Leviathans
Eine einzige Anklage: Das Dokumentarhörspiel »Was ich hörte vom Irak« über den Krieg der USA 2003
Im Anfang schien noch alles in Ordnung. Im Februar 2001 sagte Colin Powell, damals US-Außenminister, noch, Sadam Hussein habe kein bedeutsames Potenzial an Massenvernichtungswaffen entwickelt, er sei nicht in der Lage, konventionelle Gewalt gegen seine Nachbarn auszuüben. Auch in den folgenden Monaten war der Irak für die Außenpolitik der USA von untergeordnetem Interesse. In einem Bericht der CIA hieß es: »Wir haben keinen unmittelbaren Hinweis darauf, dass der Irak die Zeit genutzt hätte, um seine Programme für Massenvernichtungswaffen wieder aufzubauen .«
Doch seit dem 11. September 2001, als Terroristen zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers in New York flogen und eines in das Pentagon, dem Sitz des USVerteidigungsministeriums steuerten, wobei insgesamt fast 3000 Menschen starben, waren die USA» und erattack «, wie es damals in denMedi endes Landes hieß. Nun wurde alles anders. Die USA begannen einen Krieg gegen Afghanistan, wo sie die Urheber der Anschläge vermuteten. Perspektivisch war auch Irak unter Saddam Hussein zum Abschuss freigegeben. Dem Land wurde der Besitz von Massenvernichtungswaffen unterstellt. Es begann sich ein Propaganda-Karussell von Lügen und Halbwahrheiten, Unterstellungen und Verteufelungen zu drehen, bis schließlich die USA zusammen mit anderen Staaten im März 2003 Irak erst bombardierten und dann besetzten – ohne Mandat der UN. Dieser Krieg war völkerrechtswidrig.
In dem Dokumentarhörspiel des US-Amerikaners Elliot Weinberger, das an diesem Freitag auf RBB läuft, ist jedes Wort authentisch. Sabine Worthmann schuf die sparsame, gleichwohl höchst sorgfältig angelegte, klanglich treffsichere Komposition. Regie führte Andrea Getto.
Matthias Bundschuh, Stephanie Eidt, Martin Engler und Corinna Kirchhoff zitieren die Zynismen der US-Regierung, entsprungen den Hirnen derer, die selbst vor der Zerstörung des Erdballs nicht zurückschrecken. In Joseph Hellers Roman »Endzeit« kann man das lesen, hier aus den Lautsprecherboxen hören, unheimlich, nackt, brutal, erschreckend. Immer wieder heißt es: »Ich hörte den Präsidenten George W. Busch sagen, ich hörte den Verteidigungsminister Colin Powell sagen, ich hörte die Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sagen, ich hörte Vizepräsident Dick Cheney sagen, ich hörte, ich hörte ...«
Wer noch nicht weiß, wie das Kriegsbeil geschliffen, wie es blitzt unter grellem Himmel, wie es dreinschlägt auf ein ganzes Land, der höre dieses Stück. Es führt in das Innerste des Leviathans, synonym für aggressiven Kapitalismus und Imperialismus. Gewiss, Hörspiele von ARD und Deutschlandradio haben ja schon manch Höllisches ans Licht gebracht. Aber ein derart eisenhartes Werk wie »Was ich hörte vom Irak« gab es bislang noch nicht.
Das Stück ist eine einzige Anklage. Die kriegerische Denkweise maßgeblicher Personen der US-Regierung ätzt sich in die Ohren. Redselig sind die Damen und Herren in den Etagen des Pentagons und des State Departments. Sie öffnen sozusagen ihr Herz und reden bisweilen im Plauderton über den Krieg. Eine Frauenstimme spricht zuletzt: »Ich hörte Condoleezza Rice sagen, eine Invasion gegen den Iran stehe gegenwärtig nicht auf dem Speisezettel.« Doch es fallen auch kri- tische Worte. Ein Mann schreit verzweifelt: »Ich hörte, dass 50 000 irakische Zivilisten tot seien.« Das Stück berührt auch jene acht Jahre für alle Seiten zermürbende Besatzungszeit. Eine Frau sagt: »Ich hörte, es gäbe im Irak rund 20 000 Söldner, die jetzt Privatunternehmer hießen, bis zu 2000 Dollar am Tag verdienen und weder dem US-amerikanischen Militärrecht noch den irakischen Gesetzen unterworfen sind.« Nicht ausgespart wird, dass auch deutsche Konzerne und indirekte Militärhilfen involviert waren.
»Was ich hörte vom Irak« schleift gleichsam die Geräusche dieses ungeheuerlichen Krieges der jüngsten Geschichte und deren Echos mit. Abstoßend, tief entsetzlich, höhnisch klingt die propagandistische Begleitmusik. Deren Orchestranten schämten sich am Ende nicht, ihren Feldzug mit vielen militärischen Opfern und über 600 000 getöteten Zivilisten der globalen Öffentlichkeit als Triumph der »freien Welt« zu präsentieren. Massenvernichtungswaffen hat man nie gefunden.
»Ich hörte Condoleezza Rice sagen, eine Invasion gegen den Iran stehe gegenwärtig nicht auf dem Speisezettel.«
»Was ich vom Irak hörte«, Freitag, 18.1., 22 Uhr, RBB-Kulturradio als Ursendung.