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Im tiefsten Inneren des Leviathans

Eine einzige Anklage: Das Dokumentar­hörspiel »Was ich hörte vom Irak« über den Krieg der USA 2003

- Von Stefan Amzoll

Im Anfang schien noch alles in Ordnung. Im Februar 2001 sagte Colin Powell, damals US-Außenminis­ter, noch, Sadam Hussein habe kein bedeutsame­s Potenzial an Massenvern­ichtungswa­ffen entwickelt, er sei nicht in der Lage, konvention­elle Gewalt gegen seine Nachbarn auszuüben. Auch in den folgenden Monaten war der Irak für die Außenpolit­ik der USA von untergeord­netem Interesse. In einem Bericht der CIA hieß es: »Wir haben keinen unmittelba­ren Hinweis darauf, dass der Irak die Zeit genutzt hätte, um seine Programme für Massenvern­ichtungswa­ffen wieder aufzubauen .«

Doch seit dem 11. September 2001, als Terroriste­n zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers in New York flogen und eines in das Pentagon, dem Sitz des USVerteidi­gungsminis­teriums steuerten, wobei insgesamt fast 3000 Menschen starben, waren die USA» und erattack «, wie es damals in denMedi endes Landes hieß. Nun wurde alles anders. Die USA begannen einen Krieg gegen Afghanista­n, wo sie die Urheber der Anschläge vermuteten. Perspektiv­isch war auch Irak unter Saddam Hussein zum Abschuss freigegebe­n. Dem Land wurde der Besitz von Massenvern­ichtungswa­ffen unterstell­t. Es begann sich ein Propaganda-Karussell von Lügen und Halbwahrhe­iten, Unterstell­ungen und Verteufelu­ngen zu drehen, bis schließlic­h die USA zusammen mit anderen Staaten im März 2003 Irak erst bombardier­ten und dann besetzten – ohne Mandat der UN. Dieser Krieg war völkerrech­tswidrig.

In dem Dokumentar­hörspiel des US-Amerikaner­s Elliot Weinberger, das an diesem Freitag auf RBB läuft, ist jedes Wort authentisc­h. Sabine Worthmann schuf die sparsame, gleichwohl höchst sorgfältig angelegte, klanglich treffsiche­re Kompositio­n. Regie führte Andrea Getto.

Matthias Bundschuh, Stephanie Eidt, Martin Engler und Corinna Kirchhoff zitieren die Zynismen der US-Regierung, entsprunge­n den Hirnen derer, die selbst vor der Zerstörung des Erdballs nicht zurückschr­ecken. In Joseph Hellers Roman »Endzeit« kann man das lesen, hier aus den Lautsprech­erboxen hören, unheimlich, nackt, brutal, erschrecke­nd. Immer wieder heißt es: »Ich hörte den Präsidente­n George W. Busch sagen, ich hörte den Verteidigu­ngsministe­r Colin Powell sagen, ich hörte die Sicherheit­sberaterin Condoleezz­a Rice sagen, ich hörte Vizepräsid­ent Dick Cheney sagen, ich hörte, ich hörte ...«

Wer noch nicht weiß, wie das Kriegsbeil geschliffe­n, wie es blitzt unter grellem Himmel, wie es dreinschlä­gt auf ein ganzes Land, der höre dieses Stück. Es führt in das Innerste des Leviathans, synonym für aggressive­n Kapitalism­us und Imperialis­mus. Gewiss, Hörspiele von ARD und Deutschlan­dradio haben ja schon manch Höllisches ans Licht gebracht. Aber ein derart eisenharte­s Werk wie »Was ich hörte vom Irak« gab es bislang noch nicht.

Das Stück ist eine einzige Anklage. Die kriegerisc­he Denkweise maßgeblich­er Personen der US-Regierung ätzt sich in die Ohren. Redselig sind die Damen und Herren in den Etagen des Pentagons und des State Department­s. Sie öffnen sozusagen ihr Herz und reden bisweilen im Plauderton über den Krieg. Eine Frauenstim­me spricht zuletzt: »Ich hörte Condoleezz­a Rice sagen, eine Invasion gegen den Iran stehe gegenwärti­g nicht auf dem Speisezett­el.« Doch es fallen auch kri- tische Worte. Ein Mann schreit verzweifel­t: »Ich hörte, dass 50 000 irakische Zivilisten tot seien.« Das Stück berührt auch jene acht Jahre für alle Seiten zermürbend­e Besatzungs­zeit. Eine Frau sagt: »Ich hörte, es gäbe im Irak rund 20 000 Söldner, die jetzt Privatunte­rnehmer hießen, bis zu 2000 Dollar am Tag verdienen und weder dem US-amerikanis­chen Militärrec­ht noch den irakischen Gesetzen unterworfe­n sind.« Nicht ausgespart wird, dass auch deutsche Konzerne und indirekte Militärhil­fen involviert waren.

»Was ich hörte vom Irak« schleift gleichsam die Geräusche dieses ungeheuerl­ichen Krieges der jüngsten Geschichte und deren Echos mit. Abstoßend, tief entsetzlic­h, höhnisch klingt die propagandi­stische Begleitmus­ik. Deren Orchestran­ten schämten sich am Ende nicht, ihren Feldzug mit vielen militärisc­hen Opfern und über 600 000 getöteten Zivilisten der globalen Öffentlich­keit als Triumph der »freien Welt« zu präsentier­en. Massenvern­ichtungswa­ffen hat man nie gefunden.

»Ich hörte Condoleezz­a Rice sagen, eine Invasion gegen den Iran stehe gegenwärti­g nicht auf dem Speisezett­el.«

»Was ich vom Irak hörte«, Freitag, 18.1., 22 Uhr, RBB-Kulturradi­o als Ursendung.

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