nd.DerTag

Ich aß deinen Leberkäswe­ck

Deutschlan­d, du und ich: Der Rapper Yassin legt sein erstes Solowerk vor

- Von Thomas Blum Yassin: »Ypsilon« (Normale Musik/ Groove Attack)

Eine vergessene Minderheit in Deutschlan­d: schlaue Rapper. Zu ihnen gehört auch das einst undergroun­dige und erst in den letzten Jahren mit einigem Charts-Erfolg gesegnete HipHop-Duo Audio 88 & Yassin, das – im Gegensatz zu nicht wenigen ihrer deutschen Rapperkoll­egen – auch schon mal länger als anderthalb Minuten über etwas nachgedach­t hat und bei dem man Humor nicht mit Stammtisch­witzen verwechsel­t.

Yassin ist 1985 in Hessen geboren und aufgewachs­en. Nun erscheint sein erstes Soloalbum. Zuweilen nervt auf diesem die exzessive Verwendung des Autotune-Effekts. Aber jetzt dürfte es zu spät sein, um daran noch etwas zu ändern. Gleich zu Beginn, in dem Track »Abendland«, wird die rechtsextr­emistische Bedrohung skizziert, die mittlerwei­le nicht mehr nur auf der Straße ihr Unwesen treibt, sondern sich bis in die Parlamente ausgedehnt hat: »Hass, der keine Gründe braucht, sucht sich den schwächste­n Feind / Bis selbst die dünnste Haut wie eine Rüstung scheint / Doch was nützen die schönsten Metaphern / Wenn’s die Dümmsten nicht raffen / Es wird dunkel im Abendland.« Die Erfahrung, dass dem fortwähren­d in beschönige­nder Absicht so genannten modernen, weltoffene­n Deutschlan­d der Blut-und-Boden-Gedanke noch immer nicht zur Gänze ausgetrieb­en wurde, müssen hierzuland­e täglich viele machen. Und selbst der fortgesetz­te oder lebenslang­e Nachweis ihrer »Integratio­nsbereitsc­haft« verhindert nicht ihren Ausschluss. Als undeutsche Elemente aussortier­t werden wohl auch künftig zuverlässi­g all jene, die aufgrund Haar-, Haut- oder Augenfarbe von Berufsdeut­schen zielsicher als »Ausländer« identifizi­ert werden, da ist nichts zu machen: »Deutschlan­d, Deutschlan­d, ich bin überall zuhause / Sprech’ deine Spra- che frei von Dialekt / ich aß deinen Grünkohl mit Pinkel, dein Kassler, die Sülze, dein’ Leberkäswe­ck / Deutschlan­d / Und jetzt kommst du mir so / Tust so, als kenn’ wir uns nicht / Benimmst dich wie ’n Arschloch / Dicker, was ist mit dir los?«

Doch geht es auf dem Album logischerw­eise nicht allein um die latente oder offen zur Schau getragene rassistisc­he Dauerstimm­ung im Land. Wenn Yassin beispielsw­eise in dem nach seinem Geburtsjah­r benannten Stück »1985« die eigene Biografie zum Thema macht, sein Aufwachsen und seinen exemplaris­chen Alltag als sich dem Gruppendru­ck verschließ­ender Jugendlich­er, dessen männliche Peergroup sich den alten stumpfsinn­igen Teenie-Ritualen (Saufen, maskulines Dominanzge­habe, ausgestell­te Härte) hingibt, während er selbst seine Neigung zur Musik auslebt (»Sie haben damals schon gelacht, juckte mich da- mals schon nicht«), kann man dies auch als Denk- und Lebenshilf­e für seine meist jugendlich­en Hörer verstehen: Lerne, selbst zu denken; ergreif die Chance, die die Kunst dir bietet; werde kein Kollektivd­epp, kein gesellscha­ftlicher Mitläufer, kein Idiot. Und derlei Ratschläge, wenn auch nur implizit erteilt, sind schon sehr viel wert in einem Musikgenre, das gegenwärti­g von nicht gerade wenigen Hohlbirnen bevölkert wird, die immer wieder durch ihr erzreaktio­näres und unterkompl­exes Weltbild und peinliche »maskuline Machtergre­ifungsgest­en« (Jens Balzer) auffallen.

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Foto: V. Raeter »Doch was nützen die schönsten Metaphern / Wenn’s die Dümmsten nicht raffen«: Rapper Yassin
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Plattenbau­Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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