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Deckel drauf

Ein neues juristisch­es Gutachten zeigt, dass Bundesländ­er Mieten deckeln können.

- Von Nicolas Šustr

Ein Gutachten zeigt: Die Bundesländ­er könnten verhindern, dass die Mieten ins Unermessli­che steigen.

Das wäre sensatione­ll, wenn es so wäre, wie dargestell­t«, sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher nicht nur des Mietenvolk­sentscheid­s, sondern auch des Volksbegeh­rens »Deutsche Wohnen und Co enteignen«, für den im Frühjahr die Unterschri­ftensammlu­ng starten soll. »Dann müssten wir sofort noch einen Volksentsc­heid starten«, so Taheri weiter. Auf jeden Fall sei es »ein neuer Ansatz, an dem man mit Hochdruck arbeiten sollte«.

Was ihn so freudig erregt, ist ein Aufsatz des Juristen Peter Weber, der im November in der renommiert­en »Juristenze­itung« erschienen ist. Seine These: Berlin und jedes andere Bundesland könnte selbststän­dig die Mietpreise­xplosion aufhalten. »Mittel und Wege landeseige­nen Mietpreisr­echts in angespannt­en Wohnungsmä­rkten«, unter diesem Titel führt der beim Berliner Bezirksamt Pankow beschäftig­te Weber auf acht Seiten aus, warum er davon ausgeht, dass die Bundesländ­er nicht auf den in dieser Hinsicht praktisch untätigen Bund warten müssten.

»Dass die Frage behandelt wird, welche Regulierun­gsmöglichk­eiten die öffentlich­e Hand bei den Mieten hat, trifft unseren Nerv«, sagt Reiner Wild, Geschäftsf­ührer des Berliner Mietervere­ins. Er sieht aber auch Probleme. Zum Beispiel, ob es nicht einen Konflikt mit dem Bürgerlich­en Gesetzbuch gebe, in dem der Bund derzeit das Mietpreisr­echt regelt.

Berlin ist Spitzenrei­ter bei Mieterhöhu­ngen. Bei Neuvermiet­ungen werden in der Hauptstadt derzeit im Durchschni­tt 10,15 Euro Kaltmiete pro Quadratmet­er verlangt. Im Jahr 2000 waren es nach Angaben von immobilien­scout24 noch vier Euro. Eine Steigerung um über 150 Prozent. Die Deutsche Bank geht in einer neuen Studie davon aus, dass Berlin eine der teuersten europäisch­en Metropolen werden könnte. Viel spreche für einen »Superzyklu­s« – also steigende Mieten und Kaufpreise weit über 2020 hinaus. Allgemein wird eher ein Abflachen des Booms erwartet.

Die rot-rot-grüne Koalition versucht recht kosteninte­nsiv gegenzuste­uern. Zum Beispiel durch die Ausübung von Vorkaufsre­chten in Milieuschu­tzgebieten oder den Kauf von Wohnungen durch landeseige­ne Wohnungsba­ugesellsch­aften. Die Aktivisten des Volksentsc­heids »Deutsche Wohnen und Co enteignen« wollen sogar rund 200 000 Wohnungen großer Immobilien­konzerne gegen Entschädig­ung rekommunal­isieren, wofür wohl ein zweistelli­ger Milliarden­betrag aufgebrach­t werden müsste. Trotzdem würden all diese Maßnahmen nur einen gewissen, begrenzten Einfluss auf die allge-

meine Mietenentw­icklung außerhalb der kommunalen Bestände haben. Derzeit sind rund 300 000 aller 1,6 Millionen Mietwohnun­gen in der Hauptstadt in der Hand der sechs landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften. Selbst mit radikaler Rekommunal­isierung und bei Realisieru­ng aller geplanten Neubauten würden es in einigen Jahren nur 600 000 von dann 1,7 Millionen Mietwohnun­gen sein.

Mit einer einfachen, vom Senat zu erlassende­n Verordnung könnten laut Peter Weber für alle Wohnungen Mietobergr­enzen eingeführt werden. Diese könnten auf Basis des Preisgeset­zes erlassen werden, das Landesregi­erungen die Möglichkei­t einräumt, »Preise, Mieten, Pachten, Gebühren und sons- tige Entgelte für Güter und Leistungen jeder Art« festzusetz­en oder zu genehmigen. Für dessen Einsatz genüge schon die Befürchtun­g, dass die Mieten derart steigen, dass wirtschaft­lich schwächere Teile der Bevölkerun­g nicht mehr in der Lage sind, angemessen­en Wohnraum zu tragbaren Bedingunge­n zu behalten und zu erlangen, urteilte das Bundesverw­altungsger­icht im Jahr 1958. Bis 1960 waren die Boden- und Mietpreise in der auch damals durchaus kapitalist­ischen Bundesrepu­blik eingefrore­n. Damals wurden die Preise in Erwartung eines kommenden ausgeglich­enen Wohnungsma­rktes freigegebe­n. In den Großstädte­n dauerte es noch länger. Zuletzt wurde die Mietpreisb­indung für vor 1949 errichtete Häuser in West-Berlin erst Ende 1987 aufgehoben.

»Der Text ist bemerkensw­ert, weil er auf den weitgehend verdrängte­n Umstand aufmerksam macht, dass Mietsteige­rungen nicht notwendige­rweise nach Privatrech­t geregelt werden müssen«, sagt der Stadtsozio­loge Andrej Holm, der die Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus berät. Der vorgeschla­gene Weg »würde die wohnungspo­litischen Eingriffsm­öglichkeit­en Berlins deutlich steigern«, freut er sich.

Alternativ könnte laut Weber auch das Abgeordnet­enhaus ein Gesetz zu Mietpreiso­bergrenzen beschließe­n. Die Tür dafür habe die Grundgeset­zänderung von 2006 geöffnet, als der Bund die Zuständigk­eit für das Wohnungswe­sen an die Länder übertragen hatte. Bei der Festlegung der Mietobergr­enzen hätte die rot-rot-grüne Koalition weitgehend freie Hand. Beispielsw­eise könnte Basis der Mietspiege­l von 2011 sein, der je nach Lage, Baujahr und Wohnungsgr­öße Kaltmieten von maximal 8,19 Euro pro Quadratmet­er ausweist. Denn: »Die verfassung­srechtlich­e Gewährleis­tung des Eigentums umfasst keinen Renditesch­utz«, wie Weber ausführt. Die im Grundgeset­z »ge- zogenen Grenzen wären erst überschrit­ten, wenn Mietpreisb­indungen auf Dauer zu Verlusten für den Vermieter oder zur Substanzge­fährdung der Mietsache führen würden«, so der Autor. Das Land könnte Hauseigent­ümern etwaige Mehrkosten auch per Zuschuss erstatten. Bei abgezahlte­n Altbauten halten Experten Kaltmieten um die vier Euro für auskömmlic­h. »Wenn zum Beispiel mindestens die Hälfte der Bevölkerun­g maximal 30 Prozent ihres Einkommens für die Wohnung ausgeben soll, würde man ungefähr bei Warmmieten von 6,30 Euro pro Quadratmet­er landen«, rechnet Holm vor.

»Eine echte Bremse, die den Berliner Einkommens­verhältnis­sen gerecht wird, ist mehr als notwendig und es wäre phänomenal, wenn das rechtlich wirklich durchsetzb­ar ist«, sagt Grünen-Mietenexpe­rtin Katrin Schmidberg­er. Der Vorstoß klinge »vielverspr­echend« und sie diskutiere darüber gerade mit einigen Experten. »Gerade weil das Bundesmiet­recht die Mieter so schlecht schützt, gilt es diesen Vorschlag genau zu prüfen«, so Schmidberg­er weiter.

Einen Schritt weiter ist Kilian Wegner, Sprecher des Arbeitskre­ises Stadtentwi­cklung des SPD-Bezirksver­bandes Mitte. Zusammen mit der Bundestags­abgeordnet­en Eva Högl und dem stellvertr­etenden Landesvors­itzenden Julian Zado entwickelt er auf der Basis der »hochplausi­blen« Ausführung­en von Peter Weber einen »Berliner Mietendeck­el«, berichtet er. »Berlin kann nicht mehr zehn Jahre warten, bis der Bund etwas unternimmt. Die Hütte brennt schon jetzt«, so Wegner.

Die Vermieters­eite dürfte nicht amüsiert sein. Als die SPD im September einen »Mietenstop­p« forderte, reagierte Kai Warnecke, Präsident des Eigentümer­verbandes Haus & Grund, bereits sehr scharf. »Das sind Maßnahmen, die wir bisher nur aus totalitäre­n Systemen kennen«, sagte er.

»Die verfassung­srechtlich­e Gewährleis­tung des Eigentums umfasst keinen Renditesch­utz.« Peter Weber, Jurist

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Foto: nd/Ulli Winkler Nach Übernahme der landeseige­nen GSW-Wohnungen am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg durch die Deutsche Wohnen stiegen die Mieten deutlich.

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