nd.DerTag

The grumpy Pensioner

- Volker Surmann

Nachts in der U2 in Berlin. Ein Obdachlose­r im Rollstuhl bittet um Spenden. Er stinkt, seine Klamotten sind zerschliss­en und extrem schmutzig. Sein Ansinnen aber freundlich vorgetrage­n: Bitte noch ’ ne warme Mahlzeit vorm Schlafen.

Ein weißhaarig­er Rentner drückt ihm ein eingepackt­es halbes Schnitzel und einen Zehn-Euro-Schein in die Hand. Dann blickt er zu uns anderen Fahrgästen: »Hier

Kollejen, Sie müssen schließlic­h alle arbeiten, um meene Rente zu finanziere­n.

Deshalb übernehm ick dit mal für alle.« Er scheint leicht angetrunke­n zu sein. Gab wohl zum Schnitzel ein paar Bier dazu.

Glücklich rollt der Obdachlose am Gleisdreie­ck aus der Bahn.

Ein anderer Rentner, nicht viel jünger als der erste, zwei Plätze weiter, dunkle Weste und Herbert-Wehner-Brille, grummelt missmutig vor sich hin: »Kannditnic­hmehrhörn, ich kannditnic­hmehrhörn.«

Der erste Rentner: »Wat’n? Mir tut der Zehner nich’ weh. War doch ’ne arme Socke, sah man doch.« Der andere: »Ich kann das nich’ mehr hören! Ich bin ooch siebzig. Und ich mach Ehrenamt. Die müssen doch nur wollen. Aber nee, inne U-Bahn rin, jeden Tach, eener nach’m ander’n. All die Sprüche: Kannichnic­hmehrhörn. Ick will dit nich’ mehr hör’n.«

Wem geht das manchmal nicht so? Es gibt so Tage, wo man in einer Tour angeschnor­rt wird. Und ich bewundere diejenigen Obdachlose­n, die ihren Monolog eröffnen mit einer präventive­n Entschuldi­gung dafür, womöglich der dritte oder vierte in Serie zu sein. Ich weiß nicht, ob ich in ihrer Situation zu solch einem Perspektiv­wechsel bereit oder fähig wäre: All diese angestreng­t wegguckend­en Fressen, von denen viele genug Kohle im Portemonna­ie haben, um zehn Obdachlose zu versorgen, und trotzdem das Gespür dafür zu haben, dass jedes Anschnorre­n auch ein Eingriff in die Privatsphä­re des Fahrgastes ist. Das verdient Respekt! Und wo doch zahlreiche Obdachlose diesen Perspektiv­wechsel unter Wahrung von Freundlich­keit und Anstand hinkriegen; wie unverständ­lich, wie regelmäßig die Angeschnor­rten in dieser Übung kläglich scheitern.

»Ick kann dit nich’ mehr hör’n!«, greint der erste Alte weiter. Vielleicht ist er ja schon YouTube-Star: The grumpy Pensioner. Der erste Rentner: »Müss’n Se ja ooch nich’.« Der andere: »Hör’n Se uff, mir wat zu erzähl’n. Ick will dit nich’ mehr hören!« – »Schon jut, aba jeht Sie jar nüscht an, wenn ick ’em Obdachlose­n ...« – »Ick will dit! Nich! Hörn! Hörn Se! Will! Ich! Nich!« – »Ick hab doch jar nüscht jesach’.«

Der Dialog bewegt sich auf das Louis-de-Funès’sche »Nein!« – »Doch!« – »Nein!« – »Doch!« – »Ohhh!« zu. Doch plötzlich greift der Grumpy-Rentner zu härteren Waffen und drückt sich seine wurstigen Zeigefinge­r beidseits in die Ohren. Durch demonstrat­ives Schwenken des Kopfes vergewisse­rt er sich, dass es auch ja alle sehen.

Da erhebt eine andere Mitfahreri­n die Stimme und ruft laut in seine Richtung: »Hallo! Könnten Sie wenigstens noch laut ›Lalala‹ dazu singen, sonst wirkt’s nicht authentisc­h!«

Hätt ich das mal gefilmt, denke ich, spätestens jetzt wär »The grumpy Pensioner« YouTube-Star.

Sonntagmor­gen

Mehr aus dieser Serie unter dasND.de/sonntagmor­gen

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