Rätedemokratin im Reichstag
Tony Sender war eine der ersten Frauen im Parlament
Die meisten Linken heute kennen Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und ... danach hört es oft schon auf. Doch die beiden waren nicht alleine. Eine weitere wichtige Persönlichkeit war Tony Sender (1888 – 1964). Sidonie Zippora, wie die temperamentvolle Hessin offiziell hieß, war Tochter eines Kaufmanns und Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Biebrich bei Wiesbaden. Mit 13 Jahren verließ Tony – auch Toni geschrieben – ihr Elternhaus. Sie wollte einen Beruf erlernen, was für eine junge Frau aus bürgerlichem Hause nicht vorgesehen war. Obwohl der Vater ihr später das Studium versagte, setzte Sender sich mit dem Besuch der Handelsschule durch. Sie wurde Sekretärin und Büroleiterin in einer großen Metallhandelsfirma und Gewerkschaftsmitglied.
Politisch radikalisiert haben soll sie sich durch Polizeigewalt, die sie 1910 bei der Kundgebung von 60 000 Menschen zur Wahlrechtsfrage in Frankfurt erlebte. Sender trat in die SPD ein und kurz darauf in Paris in die Französische Sozialistische Partei. Während des Ersten Weltkriegs nahm sie an der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Bern teil. Von dort schmuggelte sie deren Manifest gegen den Krieg nach Deutschland, ließ es als Flugblatt drucken und verteilen. Wie andere verließ sie die SPD, als deren Abgeordnete Kriegskredite bewilligten, und gründete die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) mit.
1918 war die von ihr ersehnte revolutionäre Situation gekommen: »Nachdem Tony Sender den Anführer des anrückenden Soldatentrupps überzeugt hatte, sich der Revolution anzuschließen, wehten am Abend des 8. November zwei rote Fahnen über dem Hauptbahnhof«, heißt es in der Ausstellung »Damenwahl« in Frankfurt. Sie war die einzige Frau und Generalsekretärin im dortigen Arbeiter- und Soldatenrat. »Die Wahlen zur Nationalversammlung bereits im Januar 1919 abzuhalten, hielt sie für zu früh. Für Tony Sender hätte damals die historische Möglichkeit bestanden, viel weiter gehende Forderungen als die Parlamentarisierung durchzusetzen«, erfährt man in derselben Ausstellung. Zu ihrem Ziel einer demokratischen Räterepublik bekannte sie sich auch noch nach den ersten Reichstagswahlen. So sagte sie bei der USPD-Reichsfrauenkonferenz im November 1919 in Leipzig: »Die Genossinnen sollen überall an ihre örtlichen Arbeiterräte das Ersuchen richten, die Wahlen von Arbeitervertretern der Hausfrauen und Hausangestellten zu veranlassen.«
Ab 1920 zog sie dann zusammen mit anderen Frauen der USPD, die für Räte plädierten, in den Reichstag ein. Ob das die falsche Strategie war, diskutieren Feministinnen bis heute. Als die USPD in die Krise geriet und der größere Teil zur Kommunistischen Partei ging, kehrte Sender in die SPD zurück. Die undemokratischen Methoden der Kommunisten lehnte sie ab. Als Abgeordnete erst für den Wahlkreis Hessen-Nassau und später für Dresden-Bautzen kümmerte sie sich im Reichstag um für Frauen damals eher seltene Themen wie Wirtschaft und Außenpolitik. Darüber hinaus schrieb sie ab 1927 für die »Frauenwelt«, eine Zeitschrift der SPD, wo sie insgesamt 400 Beiträge veröffentlichte. 1933 flüchtete Sender vor den Nationalsozialisten, die sie aus dem Exil bekämpfte.