Ein leichter Ausweg für die Macher
Ein isolierter Raum im Humboldt Forum würde weder dem Andenken der Opfer des Kolonialismus gerecht – noch dem Thema der Raubkunst.
Deutschland leidet immer noch an kolonialer Amnesie. Einen Gedenkort für die »Opfer des deutschen Kolonialismus« zu institutionalisieren, indem man die Debatte um das koloniale Erbe des Humboldt Forums nutzt, scheint deshalb vordergründig eine gute Idee. So richtig grundsätzlich die Forderung nach einem Gedenkort ist, so falsch sind hier Form und Ort. Denn weder löst dies die Probleme des Humboldt Forums, noch schafft es dem Gedenken angemessen Platz. Stattdessen weist es Verantwortlichen für das Forum wie in der Politik einen einfachen Weg, eine tiefer greifende Dekolonisierung zu meiden.
Das Humboldt Forum ist als Gedenkort für die »Opfer des deutschen Kolonialismus« der falsche Ort! Es steht für koloniale Beutekunst, eines sehr spezifischen Aspekts kolonialer Gewalt. Es sollte ein Erinnerungsort für koloniales »Sammeln«, Rauben und Ausstellen werden, für die Konstruktion europäischer Weltsicht. Und für globale Kunst. Es ist durch die zur Schau gestellten Kunstobjekte auch ein Ort afrikanischer Agency und Resilienz, die sich einer einfachen Opferzuschreibung ent- zieht. Auch die Beschränkung auf den deutschen Kolonialismus greift für das Humboldt Forum zu kurz. Ist es doch das Wesen des kolonialen Kunstraubes, dass die Objekte nicht nur aus deutschen, sondern auch den Kolonien anderer Mächte stammen. Der Kolonialismus war ein europäisches Projekt.
Es steht zu fürchten, dass der vorgeschlagene Gedenkort von der Raubproblematik ablenkt. Denn für Museumsmacher und Kulturpolitiker mag es paradoxerweise einfacher sein, an die Opfer des deutschen Kolonialismus zu erinnern, als sich der Geschichte des Hauses in seinen transkolonialen Verbindungen zu stellen – zumindest, solange es nur um Raum geht, noch dazu einen der Stille.
Das Humboldt Forum braucht weniger einen »Ort der Stille« als lauten, deutlichen Protest. Das Forum insgesamt ist zu dekolonisieren! Wie soll ein einzelner Raum in einer Aufmerksamkeitsökonomie bestehen, in der drei Dauer- und wechselnde Sonderausstellungen konkurrieren? Ein derartiger Ort mutiert leicht zu einem Feigenblatt, das eine unmittelbare und angemessene Thematisierung koloni- aler Raubobjekte verhindert. Schon jetzt zeigt sich, dass die Macher des Forums die ursprüngliche Idee eher restriktiv auslegen und keinesfalls das Humboldt Forum zum »Mahnmal« oder »Museum des Kolonialismus« machen wollen, wie Hermann Parzinger bereits zu Protokoll gab.
Anstatt auf einen Gedenkraum des Kolonialismus zu setzen, sollte die Zivilgesellschaft dafür streiten, das Humboldt Forum insbesondere in der Geschichte seiner Objekte zu dekolonisieren. Das wäre Aufgabe genug. Die Benin-Bronzen als eindeutige Raubkunst und spektakulärste Objekte müssten erst restituiert und dann als Leihgaben gezeigt werden – in einem Forum, das man zumindest in einem substanziellen Teil Benin-Forum nennt. Ein Gedenkort darinwäre dann obsolet. Das Benin-Forum wäre der Gedenkort.
Verknüpft man koloniale Raubkunst mit der allgemeinen Geschichte der Opfer des Kolonialismus – im deutschen Kontext vor allem mit dem Völkermord an den Herero und Nama –, bringt man die Themen in eine Aufmerksamkeitskonkurrenz und wird letztlich beiden nicht gerecht. Es könnte so (erinnerungs-) politisch bei der Kultur ab- geladen werden, was die große Politik nicht lösen will oder kann, etwa den zähen Streit um den ersten deutschen Genozid. Im Humboldt Forum würden die Opfer von Kolonialismus, Genozid und Rassenstaat weit weniger Aufmerksamkeit erlangen als etwa in der Nähe des Brandenburger Tors oder Reichstags. Im Stadtschloss wird der Kolonialismus zudem unweigerlich personalisiert – auf Wilhelms II., der dort residierte. Den strukturellen Ursachen und Wirkungen des Kolonialismus wird dies nicht gerecht.
Kann man sich wirklich nur darauf einigen, an einer Stelle in Berlin des Kolonialismus zu gedenken, so müsste das unübersehbar sein. Den »Schlüterhof« des Schlossnachbaus in Omaheke- oder Waterberg-Hof umzubenennen, ihn mit Sand zu befüllen oder die Barockfassaden durch Zitate des Stacheldrahtes der Konzentrationslager in »Deutsch-Südwest« zu brechen, wäre ein derartiger Akt – in einem Benin-Forum, das wäre ein Zeichen. Aber danach sieht es jetzt nicht aus.
Der Autor ist seit 2010 Professor für die Geschichte Afrikas an der Uni Hamburg.