Der BIO Tsunami
Verbraucher finden immer mehr Bioprodukte in Supermarktregalen. Auf der Grünen Woche in Berlin präsentieren sich Biobranche wie Lebensmitteldiscounter – wenn es nach Unternehmen wie Bioland und Lidl geht, ist das kein Gegensatz mehr.
Lange waren »Discount« und »bio« ein Widerspruch. Nun aber sind der Supermarktgigant Lidl und der Öko-Anbauverband Bioland eine Kooperation eingegangen. Vorgestellt wurde die jüngst zur Grünen Woche. Dabei war die Berliner Nahrungsmesse traditionell auch nicht gerade »bio«. Mit dem Einstieg weiterer Riesen wie Danone, Bahlsen oder Kellogg’s schwillt nun die BioWelle zum Tsunami – der mittlerweile 50 Prozent des grünen Umsatzes in die Kassen der 50 größten Food-Firmen spült.
Lange waren Biolebensmittel untrennbar verbunden mit Bioläden und Wochenmärkten. Doch der Fachhandel schrumpft – 2017 lag der Anteil an verkauften Biolebensmitteln aus Naturkostläden bei knapp 30 Prozent. Fast zwei Drittel der Umsätze mit Bioprodukten werden inzwischen in Supermärkten und Discountern gemacht.
Bei den Discountern hat lange besonders Aldi mit seinen Eigenmarken auf Bio gesetzt, Aldi Süd lag 2017 laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung bei einem Marktanteil von 12 Prozent, die Nordvariante des Discounters kam auf 14 Prozent Marktanteil. Verkauft werden bisher ausschließlich Eigenmarken. Auch die Discounter Netto und Lidl hatten bisher Bio-Eigenmarken nach EUStandard in den Regalen.
Doch nun gibt es einen neuen Trend, und der kommt ausgerechnet von Lidl. Der größte deutsche Lebensmitteldiscounter arbeitet seit langem an seinem Image. Seit Januar bietet das Handelsunternehmen der SchwarzGruppe deutschlandweit Produkte von Bioland-Bauern an. Der Verband zertifiziert Produzent*innen, deren Anbauweise und Tierhaltung über die EU-Richtlinien hinausgehen: nachhaltige Kreislaufwirtschaft ohne künstliche Dünger und Pestizide, Förderung der Bodenfruchtbarkeit und biologischen Vielfalt, artgerechte Tierhaltung, Erzeugung von wertvollen Lebensmitteln und Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, heißt es in den Bioland-Kriterien.
Mit diesem Schritt wolle man »hochwertige und heimische Bioprodukte auf breiter Basis in die Gesellschaft bringen«, sagte der Geschäftsleiter Einkauf von Lidl, Jan Bock, bei einer Veranstaltung zum Start der Grünen Woche in Berlin und ergänzte: »Bio ist ein strategisches Thema bei uns.« Nicht nur einzelne Produkte werden in den Regalen angeboten, auch die bisherige Eigenmarke soll zum Teil auf Bioland-Kriterien umstellen. Den Start machen die Molkereiprodukte, später sollen Weizen- und Dinkelmehl sowie Bioland-Kartoffeln und Gemüse hinzukommen.
Treibende Kraft sind die Milchbauern. Viele Betriebe wollen umstellen, sagt BiolandPräsident Jan Plagge. »Die Warteliste ist lang.« Die Aufgabe von Bioland sei nicht, »den Biolandbau als exklusive Nische zu kultivieren«, die Zeiten hätten sich geändert, so Plagge. Schon länger haben Bioland-Bauern überschüssige Milch an Discounter wie Lidl abgegeben – für deren Eigenmarken. Zunächst habe er auch nicht daran geglaubt, dass Lidl es ernst meine, eineinhalb Jahre habe man verhandelt, erklärt Plagge. »Wir haben deren Wunsch nach Zusammenarbeit zunächst für eine Greenwashing-Kampagne gehalten.« Doch Lidl habe »glaubwürdig verdeutlicht, wie ernst es dem Unternehmen mit seiner nachhaltigen Sortimentsentwicklung ist«. Die Lieferbeziehungen würden langfristig und nach klaren Fair Play Regeln gestaltet, so dass die kleinen und mittleren Betriebsstrukturen eine Zukunft haben. Und Plagge fügt hinzu: »Nur mit einer gesteigerten Nachfrage können weitere Bauern auf ökologischen Landbau umstellen.«
Das bestätigt auch einer der Milchbauern, die über Bioland an Lidl liefern. Konrad Stöger ist überzeugt von dem neuen Weg. »Wenn wir uns bestimmten Gesellschaftsschichten verschließen, werden wir die biologische Landwirtschaft nicht verbreitern.«
Denn es geht um die Käuferschicht, die Bioläden meidet – auch wegen der Preise. Discounter und Supermärkte können Waren wesentlich günstiger anbieten als der kleine Bioladen um die Ecke. Sie kaufen größere Mengen ein, was überwiegend Preisrabatte beinhaltet. Hinzu kommen Mischkalkulationen, also kleinere Gewinnspannen bei Bioprodukten.
Auch der Verband Demeter ist erste Schritte Richtung Supermarkt gegangen. Durch eine Änderung seiner Vertriebsregeln dürfen Demeter-Produzenten direkt Verträge abschließen. Aktuell beliefern zehn Hersteller und eine Erzeugergemeinschaft aus dem Schwarzwald den Supermarkt Kaufland mit ihren Produkten. Einen direkten Vertrag zwischen Kaufland und dem Verband gebe es nicht. Der Biofachhandel bleibe aber größter und wichtigster Partner. »Wir haben eine gemeinsame Herkunft und entwickeln zusammen innovative Ansätze«, so Vorstandssprecher Alexander Gerber gegenüber »nd«.
In den Bioverbänden stellt sich die Frage: Sind wir noch Bewegung oder nur noch Kommerz? »Ich halte die Entscheidung für einen strategischen Fehler«, sagt etwa Elke Röder, Vorstand im Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft auf nd-Anfrage. Doch auch der Fachhandel müsse sich weiterentwickeln und deutlich machen: »Wer an wirklicher Transformation interessiert ist, ist im Fachhandel besser aufgehoben.«
Für Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz, darf die Entwicklung nicht zu Lasten der Erzeugerpreise gehen. »Als Gegengewicht braucht es die Direktvermarktung.«