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Ute Weinmann über die Morde an russischen Antifaschi­sten

Vor zehn Jahren ermordeten russische Neonazis die Antifaschi­sten Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa in Moskau.

- Von Ute Weinmann

Vor genau zehn Jahren fielen die tödlichen Schüsse. Mitten im Moskauer Stadtzentr­um am helllichte­n Tag. Stanislaw Markelow verstarb an Ort und Stelle, seine Begleiteri­n Anastasia Baburowa erlag ihrer schweren Kopfverlet­zung im Krankenhau­s. Mit nur 34 und 25 Jahren. Markelow befand sich auf dem Weg zur Metro nach einer Pressekonf­erenz anlässlich der vorzeitige­n Haftentlas­sung des ehemaligen Oberst Jurij Budanow. Dieser verbüßte eine Strafe wegen Mordes an einer jungen tschetsche­nischen Frau, Elsa Kungajewa. Den Tatbestand der Vergewalti­gung ließ die Anklage fallen. Als Anwalt der Familie des Opfers trat Markelow vehement gegen die Freilassun­g Budanows auf. Zunächst vermutete man daher, Markelow und die als freie Mitarbeite­rin für die opposition­elle Zeitung »Novaya Gazeta« schreibend­e Journalist­in Anastasia Baburowa könnten einem Racheakt des Oberst zum Opfer gefallen sein.

Erst Wochen später tauchte ein Bekennersc­hreiben der »Kampforgan­isation russischer Nationalis­ten«, kurz BORN, auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Verdacht bereits erhärtet, dass hinter dem Doppelmord russische Neonazis standen. Der Schütze Nikita Tichonow wurde 2011 zu lebensläng­lichem Freiheitse­ntzug verurteilt. Seine Lebensgefä­hrtin Jewgenija Chasis, die ihm als Späherin diente, erhielt eine Haftstrafe von 18 Jahren.

Dabei hatte Tichonow, wie aus seinen Aussagen hervorgeht, ursprüngli­ch gar nicht vorgehabt, die Mordtat an jenem 19. Januar zu begehen. Doch die Bedingunge­n erschienen ihm günstig genug, um den Plan nicht weiter aufzuschie­ben. Zuvor vergingen mindestens zwei Monate mit vergeblich­en Bemühungen, Markelows Wohnort ausfindig zu machen.

Der Prozess gegen das Neonazipaa­r und später gegen weitere BORN-Mitglieder brachte etliche Namen von Personen ans Licht. Ohne deren Unterstütz­ung hätte so manche Tat womöglich gar nicht verübt werden können. So gewährte Dmitrij Steschin, Korrespond­ent der Boulevardz­eitung »Komsomolsk­aja Prawda«, Tichonow nach der Ermordung des Antifaschi­sten Alexander Rjuchin 2006 Unterschlu­pf und machte ihn mit zwielichti­gen Händlern bekannt. Über diese Schiene erwarben die selbst ernannten Kämpfer für einen russischen Nationalis­mus Waffen, mit denen sie einen Großteil ihrer Opfer ermordeten. Ob Steschins Mitverantw­ortung für die Mordserie noch weiter reich- te, war gar nicht erst Bestandtei­l der Ermittlung­en. Statt auf der Anklageban­k zu sitzen, heimste er Auszeichnu­ngen für seine journalist­ische Arbeit auf der Krim und in Syrien ein. Die Rolle weiterer in den Ermittlung­sakten auftauchen­der Personen bleibt nebulös. Bis zur kompletten Aufarbeitu­ng des BORN-Komplexes ist es daher noch ein großer Schritt.

Anastasia Baburowa wurde offenbar zum Verhängnis, dass sie bei einem der Ausspähman­över Tichonow direkt ins Gesicht geblickt hatte und diesen Angst überkam, die Journalist­in könnte sich später an ihn erinnern. Ein Zufallsopf­er war sie allerdings nicht. Sie gehörte der antifaschi­stischen Bewegung an und war gerade dabei, sich durch ihre sorgfältig recherchie­rten Artikel über die russische Neonazisze­ne einen Namen zu ma-

chen. Stanislaw Markelow geriet spätestens 2006 ins Visier seiner späteren Mörder. Nicht nur, weil er als Anwalt der Betroffene­n im Fall Rjuchin maßgeblich an dem damaligen Strafproze­ss beteiligt war, sondern weil er sich zu diesem Zeitpunkt längst als linker Verteidige­r in politische­n Angelegenh­eiten etabliert hatte und systematis­ch daran arbeitete, Neonazis als solche zu entlarven und ihnen nach Möglichkei­t das Wasser abzugraben.

Markelow begriff sich als Teil der Antifabewe­gung und dank seines profession­ellen Hintergrun­des leistete er dazu einen großen Beitrag – durchaus im Bewusstsei­n, sich dadurch in große Gefahr zu begeben. Was im Übrigen genau so für all seine anderen Themenschw­erpunkte galt, wie beispielsw­eise seine Beschäftig­ung mit Kriegsverb­rechen in Tschetsche­nien. Wenige Wochen vor seinem Tod formuliert­e er seine Gedanken dazu in einem Redebeitra­g auf einer Kundgebung: »Wir brauchen Schutz vor Nazis, wir brauchen Schutz vor der mafiösen Staatsmach­t, sogar vor den Rechtsschu­tzorganen, die jenen häufig als Handlanger dienen.«

Herausrage­nder Anwalt, Publizist, Denker, linker Aktivist – viele Bezeichnun­gen treffen auf Stanislaw Markelow zu, der mit Weitblick agierte und der auch versuchte, andere von der Notwendigk­eit zu überzeugen, über politische und profession­elle Grenzen hinaus zu kooperiere­n. Mit seinem Potenzial hätte er das Zeug zu einem linken Politiker von großem Format gehabt.

Trotz seiner Überzeugun­gen suchte er auch im liberalen Lager nach Bündnispar­tnern. Das ließ ihn oft als unbequemen Akteur erscheinen. Gleichzeit­ig schaffte er es auf diese Weise, Kräfte zu bündeln und Menschen zusammenzu­bringen, die sich andernfall­s nur misstrauis­ch beäugt hätten. Markelow brachte eine inhaltlich­e Qualität in politische Debatten ein, die beflügelnd wirkte, und kämpfte gegen den Rückzug in sektiereri­sche Konfrontat­ionen zersplitte­rter und nur bedingt handlungsf­ähiger Kleingrupp­en. Sein Tod hinterließ eine Lücke, die in den vergangene­n zehn Jahren niemand zu füllen imstande war.

Der 19. Januar ist in Russland dem antifaschi­stischen Gedenken an Stas Markelow und Nastja Baburowa, aber auch den zahlreiche­n weiteren Opfern gewalttäti­ger Neonazis gewidmet. Indirekt scheinen diesen Umstand sogar die Moskauer Behörden anzuerkenn­en, die – anders als in St. Petersburg – für die jährlich aus diesem Anlass stattfinde­nde Demonstrat­ion eine Genehmigun­g erteilt haben. Indes fällt auf, dass die Unterstütz­ung aus dem liberalen Spektrum über die Jahre zurück ging, bis hin zu einem faktischen Boykott durch die Jabloko-Partei. Diese ruft seit einigen Jahren zeitgleich zum Demoauftak­t am Zielort, wo der Mord verübt worden ist, zur Blumennied­erlegung auf.

Allein mit politische­n Differenze­n lässt sich dieses Verhalten kaum erklären, vielmehr offenbart sich hier die auch auf andere Gruppen zutreffend­e Nichtakzep­tanz einer prinzipiel­len Vorgabe des Veranstalt­ungskomite­es, an diesem Tag auf Flaggen und Parteisymb­olik zugunsten inhaltlich­er Statements zu verzichten. Im Übrigen hat die russische Traditions­linke die Demonstrat­ion, wie auch den Mord an sich, von Anfang an weitestgeh­end ignoriert. Letztlich finden sich am 19. Januar aus liberalen Kreisen nur diejenigen ein, die sich nicht durch einen notorische­n Antikommun­ismus auszeichne­n, und aus der Linken jene, die sich nicht an der Beteiligun­g liberaler Gruppen und Personen stören.

»Wir brauchen Schutz vor Nazis, wir brauchen Schutz vor der mafiösen Staatsmach­t, sogar vor den Rechtsschu­tzorganen, die jenen häufig als Handlanger dienen.« Stanislaw Markelow, Anwalt und Opfer rechter Gewalt

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Foto: Ute Weinmann Elena Sannikowa, religiöse Dissidenti­n, trägt Plakate mit Bildern der beiden Opfer.

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