Interview Henrike von Platen über Löhne von Frauen und Männern
Mit der Lohngerechtigkeit steht und fällt die Gleichstellung, sagt Finanzexpertin Henrike von Platen
Frau von Platen, der britische Schauspieler Benedict Cumberbatch sagte kürzlich, er werde Rollen ablehnen, wenn Kolleginnen weniger verdienen als er. Vor einem Jahr hat eine britische BBC-Korrespondentin ihren Job in China gekündigt, weil sie weniger verdiente als ihre Kollegen. Aus demselben Grund hat ZDF-Reporterin Birte Meier gegen ihren Sender geklagt. Alles gute Zeichen im Kampf gegen die Lohnlücke zwischen Frauen und Männer. Dass jetzt auch international gefeierte Schauspieler finden, ihre Kolleginnen sollten ebenso wie sie bezahlt werden, zeigt, dass Transparenz funktioniert.
In Deutschland beträgt die Lohnlücke rund 21 Prozent. Das seit einem Jahr geltende Entgelttransparenzgesetz sollte Abhilfe schaffen. Löst es ein, was es verspricht? Unabhängig davon, dass das Gesetz keine 100-prozentige Transparenz verspricht, ist es gerade mal ein Jahr in Kraft. Es ist viel zu früh, um zu beurteilen, wie gut oder schlecht das Gesetz ist.
Die Kritik am Gesetz ist groß. Die Direktorin des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen, Ute Klammer, bezeichnet es als »zahnlosen Tiger«. Momentan wird das Gesetz noch nicht so genutzt, wie es genutzt werden könnte. Und wenn nur wenige davon Gebrauch machen, heißt es gleich: Das Gesetz wirkt nicht. Nicht umsonst ist die Evaluation erst nach zwei Jahren geplant.
Im Vorfeld hieß es immer, das Gesetz sei ein Bürokratiemonster. Viele Unternehmen haben sich mit großem Aufwand auf das Gesetz vorbereitet. Mein Lieblingsbeispiel ist der Softwareentwickler SAP, wo eigens eine Vergleichssoftware entwickelt wurde, die es den Mitarbeitenden mit einem Klick ermöglicht, den Auskunftsanspruch wahrzunehmen. Transparenz auf Knopfdruck sozusagen. Davon haben schon kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes hunderte Mitarbeitende Gebrauch gemacht.
Im Sommer hat eine Umfrage unter bekannten großen Unternehmen ergeben, dass selbst in Firmen mit mehr als 100 000 Mitarbeitenden gerademal 20 wissen wollten, was die Kollegin, der Kollege mit der gleichen Arbeit verdient. Das ist keine Frage der Größe, sondern der Unternehmenskultur. Viele Mitarbeitende trauen sich nicht, die Transparenzfrage zu stellen, weil sie Nachteile fürchten, vor al- lem Frauen. Sie fragen sich schließlich auch: Was fange ich mit dem Wissen an? Machen wir uns nichts vor: Entgelttransparenz wird trotz der gesetzlichen Vorgabe von vielen Unternehmensleitungen nicht gewollt. Eine althergebrachte Unternehmenskultur wirkt stärker als das neue Gesetz?
Die Unternehmenskultur, die meist traditionell und männlich geprägt ist, lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen ändern.
Ist das in von Frauen geführten Unternehmen anders?
Das bezweifle ich.
Eine Krux: Da wird ein Gesetz geschaffen gegen Lohnungerechtigkeit und für Frauen geschaffen, und Frauen nutzen es nicht.
Es gibt Unternehmen, in denen mehr Männer fragen.
Männer fühlen sich ungerecht bezahlt? Männer wollen eher wissen, woran sie sind. Frauen sind Studien zufolge nicht so stark an Geld interessiert.
Ist das nicht ein Klischee?
Ich verstehe es auch nicht. Jede Frau sollte sich intensiv darum kümmern, dass sie gerecht bezahlt wird.
In Norwegen können jedes Jahr die Steuerdaten abgefragt werden. Hierzulande wäre das undenkbar. Bei meinen Vorträgen über Geld, Lohngleichheit und Lohntransparenz frage ich anfangs, ob jemand in der Runde offen die Höhe des eigenen Gehalts nennen würde. In der Regel dauert es eine Minute, bis sich jemand traut. Danach wird es spannend.
Was passiert dann?
Vor allem in Frauengruppen wird häufig gestaunt: Huch, so wenig verdient meine Kollegin. Oder umgekehrt, meine Güte, so viel. Über Geld zu sprechen hilft enorm, besser einzuordnen, wo Handlungsbedarf besteht oder ob es allen Grund zur Zufriedenheit gibt. Transparenz ist ein sehr guter Kompass.
Hat die Transparenz in Norwegen den Gender Pay Gap verringert? Der norwegische Gender Pay Gap hat sich in den vergangenen Jahren nicht verändert. Das wiederum zeigt: Transparenz ist nicht die Lösung, sondern die Voraussetzung für Gleichstellung. Wenn bekannt ist, wo und wie groß die Lohnlücke ist, kann man schauen, woran das liegt. Erst wenn das klar ist, kann man beginnen, das zu ändern. Die Lohnlücke in Deutschland ist ja bekannt. Gleichwohl gibt es genderpolitische Errungenschaften: Frauenquote, Kita-Ausbau, eine Frau als Kanzlerin. Ist das nichts? Transparenz ist die Voraussetzung für Lohngerechtigkeit und diese der erste Schritt zur Geschlechtergerechtigkeit. Sehr deutlich zeigt das der im Dezember von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO veröffentlichte Global Wage Report: Viele Frauen in vielen Ländern sind besser ausgebildet als Männer, trotzdem arbeiten sie in schlechter bezahlten Berufen. Mutterschaft ist nicht nur ein Karrierekiller, sondern dient Arbeitgebern als Argument für eine schlechtere Bezahlung. Hinzu kommen all die Geschlechterklischees wie jene von den »sozialen Mädchen« und den »karriereorientierten Jungs«.
Und das wäre anders, wenn Frauen gleich bezahlt wären? Ganz genau. Quotengesetze, Vätermonate und Kita-Ausbau, das alles sind wichtige Bausteine auf dem Weg zur Gleichstellung. Aber die Sache mit dem Geld ist wie ein Dominoeffekt: Gleichstellung steht und fällt mit der Lohngerechtigkeit.
In Schweden sind Steuerbescheide ebenfalls öffentlich. Das Land gilt vielen als »Gender-Paradies«. Wie haben die Schweden das hingekriegt? Dort ist die Transparenz eher ein Mythos. Der Blick in die Steuerbescheide ist zwar legitim, wird aber nicht genutzt.
Warum nicht?
Die Schweden stehen auf dem Standpunkt: Das gehört sich nicht. Mir sagt das: Ein Gesetz, so gut es auch sein mag, verändert nicht automatisch die Unternehmenskultur und das Empfinden der Menschen gegenüber sozialen und gesellschaftlichen Standards.
Ist das schwedische Gesetz nutzlos?
Da jeder sehen kann, wer geguckt hat, wird es sehr wenig genutzt. Letztlich sorgt das Gesetz nicht für Transparenz, sondern blockiert den Kulturwandel, ohne den Geschlechtergerechtigkeit kaum eine Chance hat.
Das Weltwirtschaftsforum hat ausgerechnet, dass es noch 108 Jahre bis zur globalen Gleichstellung dauert. Wie lange braucht es bis zur Entgeltgleichstellung? Das könnte morgen der Fall sein. Das ist natürlich eine Vision. Realistisch ist das Jahr 2030. In Ländern, die genderpolitisch weiter sind als Deutschland, wie beispielsweise Island, dürfte das schon vorher der Fall sein.
In Island gilt Lohngerechtigkeit seit einem Jahr per Gesetz. Das Gesetz dort schreibt Lohngleichheit für gleichwertige Tätigkeiten in Firmen ab 25 Mitarbeitenden vor und nimmt die Unternehmen selbst in die Pflicht, Entgeltgleichheit umzusetzen. Es geht also, wenn man es wirklich will. Das Entgelttransparenzgesetz in Deutschland zielt auf Unternehmen ab 200 Mitarbeitenden ab. Viele Frauen arbeiten aber in kleineren Firmen, auf sie trifft das Gesetz also nicht zu.
Wie hat Island das geschafft?
Vertretende der Arbeitgeberseite, Gewerkschaften und der zuständige Minister haben sich an einen Tisch gesetzt. Nun ist Island kleiner als Deutschland, die Menschen dort pflegen einen persönlicheren Umgang miteinander. Das macht die Sache natürlich einfacher. Entscheidend ist aber, dass alle wollen.