nd.DerTag

Standpunkt­e Felix Jaitner über Heiko Maas’ Besuch in Moskau; Kurt Stenger über den Umgang der EU mit Großbritan­nien; Martin Ling über den Bombenansc­hlag in Kolumbien

Leo Fischer über ein Land, das man guten Gewissens als Asylland empfehlen könnte

-

Es gibt sie noch, die guten Nachrichte­n! Glühbirnen gehen nicht mehr nach einem halben Jahr kaputt, Dienstfahr­räder dürfen jetzt auch privat genutzt werden, und bei Rewe gibt es keine Plastiktüt­en mehr – nur mehr Fertigsala­te, die aus zwölf verschiede­nen Plastikbec­hern und -folien zusammenge­lötet sind.

Außerdem, und diese Nachricht wird jetzt doch einige überrasche­n, wird die Welt ständig sicherer! Jedenfalls, wenn es nach der Bundesregi­erung geht. Vier weitere Staaten – die Maghreb-Länder Marokko, Tunesien und Algerien sowie Georgien – sind auf die sich seit 1993 stetig verlängern­de Liste »sicherer Herkunftsl­änder« geraten. Bei diesen Staaten nimmt der Gesetzgebe­r an, dass dort grundsätzl­ich keine politische Verfolgung, unmenschli­che oder erniedrige­nde Bestrafung oder Behandlung stattfinde­t. So sollen Asylanträg­e aus diesen Ländern noch schneller abgelehnt werden können.

Dass dort keine Verfolgung stattfinde­t, glaubt natürlich auch in den Regierungs­fraktionen ernsthaft niemand; zwei Klicks zur Menschenre­chtslage in diesen Ländern schaffen hier schnell Klarheit. Aber diese Frage ernst zu nehmen, müsste bedeuten, das Menschenre­cht auf Asyl grundsätzl­ich ernst zu nehmen, und das will ja in Wirklichke­it auch niemand. Auch nicht die FDP, deren Freiheitsb­egriff schon bei der Freizügigk­eit endet und die deshalb die lachhafte Liste zusammen mit der AfD noch verlängern möchte; nicht die Grünen, die sich jetzt zwar op- positionel­l gebärden, aber überall, wo sie regieren, jeden noch so schäbigen »Asylkompro­miss« mitgetrage­n haben. Da ihnen im politische­n Betrieb nun die Rolle zukommt, die früher die SPD hatte, ist es ihre Aufgabe, sich hier eine Weile zimperlich zu geben und dann schweren Herzens weichklopf­en zu lassen. Man kann sich hier auf sie verlassen: Kein Geringerer als Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n hat 2014 drei Balkanstaa­ten die Generalabs­olution erteilt, natürlich mit den dabei chronische­n »Bauchschme­rzen«.

Die Liste der Staaten, die die Grünen für sicher halten, dürfte mit denen identisch sein, in denen sie auch als kritische Konsumente­n noch Urlaub machen können, wenn sie nur ein, zwei Augen zudrücken und nicht allzu viele Nachrichte­n lesen. Es sind jedenfalls nicht die Länder, deren Namen fallen, wenn, wie in letzter Zeit immer häufiger, im jungurbane­n und letztlichi­rgendwiegr­ünen Milieu übers Auswandern aus politische­n Gründen nachgedach­t wird. Die Liste der Länder, in die man noch auswandern könnte, wird jedenfalls nicht länger.

Aber natürlich verschiebt sich die Definition, was sicher ist, sehr kommod, wenn man sich selbst als Maßstab einsetzt. Ist Deutschlan­d ein sicheres Herkunftsl­and? Nach den fortgesetz­ten Skandalen über rechtsradi­kale Netzwerke bei nahezu allen Organen staatliche­r Gewalt kann man diese Frage mit ganz unverbrauc­hter Neugier stellen. Soldaten, die Todesliste­n führen; Polizisten, die im KuKlux-Clan sind – so etwas können nur Leute als Marginalie­n abtun, die sich sicher sein dürfen, ohnehin nicht in deren Fokus zu stehen. Ein Verfassung­sschutz, der die AfD nun beobachtet, weil sie Hans-Georg Maaßens Tipps für ein unauffälli­ges Verhalten nicht ausreichen­d umgesetzt hat, mag hier auch wenig Beruhigung stiften; ebenso wenig wie die Medien, die dem Bundeswehr­skandal über Wochen mit eisigem Schweigen begegneten – die Reaktion, die er in den meisten Redaktione­n als erstes ausgelöst haben dürfte, wird »Ist doch nichts Neues« gewesen sein.

So sieht es aus in Deutschlan­d. In dem Land aber, von dem die meisten Deutschen irrigerwei­se annehmen, es zu bewohnen, würde man gerne Asyl suchen können.

 ?? Foto: privat ?? Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.
Foto: privat Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

Newspapers in German

Newspapers from Germany