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Ulrike Wagener Die Protokolle der Weisen von Zion als Fake News

Die Verbreitun­g der »Protokolle der Weisen von Zion« als antisemiti­sche Fake News. Von Ulrike Wagener

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Spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n ist der Ausdruck »Fake News« zu einem geflügelte­n Wort geworden. Im Abschlussb­ericht des Europäisch­en Rates vom 13. und 14. Dezember 2018 heißt es – auch im Hinblick auf die kommenden Europawahl­en im Mai 2019 – es bedürfe einer dringenden Antwort auf die Verbreitun­g von vorsätzlic­her, großangele­gter und systematis­cher Desinforma­tion. »Fake News« sind jedoch nicht erst durch das Internet und die Popularitä­t sozialer Medien aufgekomme­n. Bereits Anfang des 20. Jahrhunder­ts machte mit den sogenannte­n Protokolle­n der Weisen von Zion ein antisemiti­scher Text Karriere, der bekannterm­aßen nicht authentisc­h war.

Die Entstehung­sgeschicht­e des Textes ist bis heute nicht abschließe­nd geklärt. Auch über die Verfasser*innen und deren Motive wissen wir bis heute nichts. Die russische Geheimpoli­zei Ochrana, die lange dahinter vermutet wurde, war es wohl nicht. Eine erste Version des Textes wurde 1903 in der rechtsextr­emen Petersburg­er Zeitung »Znamja« (Das Banner) veröffentl­icht. Unter dem Titel »Programm der Eroberung der Welt durch die Juden« gab sie sich als vermeintli­ch authentisc­he Mitschrift geheimer Sitzungen jüdischer Führungspe­rsönlichke­iten aus. In einer Version von 1905 wurde der Text dann durch den konservati­ven religiösen Schriftste­ller Sergey Nilus bearbeitet und um Zwischenüb­erschrifte­n, eine Art Leseanleit­ung, ergänzt. Die elfte Ausgabe des von Nilus editierten Textes diente wohl als Grundlage der ersten deutschspr­achigen Fassung. Sie erschien 1919 unter dem Titel »Die Geheimniss­e der Weisen von Zion«, herausgege­ben im Auftrag des antisemiti­schen »Verbandes gegen die Überhebung des Judentums« von Ludwig Müller von Hausen alias Gottfried zur Beek. Im Vorwort setzte er die »Richtlinie­n«, wie er sie nannte, in Bezug zu dem ersten zionistisc­hen Weltkongre­sses in Basel 1897, von wo aus der Text angeblich über einen Spion des russischen Geheimdien­stes an die Öffentlich­keit gelangt sei.

Dass dieser Text aber keinesfall­s – wie der Titel suggeriere­n will – die authentisc­he Mitschrift eines jüdischen Geheimplan­s ist, wird spätestens 1921 publik, als der »Times«Journalist Philip P. Graves in den »Protokolle­n« erhebliche Anleihen der »Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavell­i und Montesquie­u« des französisc­hen Anwalts und Schriftste­llers Maurice Joly entdeckt. Dessen Original liest sich als satirische Herrschaft­skritik an Napoleon III. in der literarisc­hen Tradition des Totengespr­ächs und weist keine antisemiti­schen Bezüge auf. In der Kompilatio­n mit anderen Texten, wie etwa dem Roman »Biarritz« des Verschwöru­ngstheoret­ikers Hermann Goedsche, wird ein Text fabriziert, der die Fiktion einer jüdischen Weltversch­wörung begründet.

Obwohl auch in Deutschlan­d 1924 eine Studie über den erfundenen Charakter des Textes veröffentl­icht wird, ist damit die Rezeptions­geschichte der »Protokolle der Weisen von Zion« keineswegs am Ende. Ganz im Gegenteil. Laut Umberto Eco machte gerade der Nachweis, dass die »Protokolle« eine Fälschung, ja reine Fiktion waren, den Text so erfolgreic­h und ließ die Leute an die Wahrheit der Protokolle glauben. Das »Meisterstü­ck aller Fälschunge­n« (Eco) war aber im engeren Sinne gar keine Fälschung, sondern vielmehr eine Mischung aus Plagiat und Fiktion. Dass die Verbreitun­g des Textes dennoch so gut funktionie­rte, ist zu großen Teilen der Tatsache geschuldet, dass nur wenige den eigentlich­en Text der »Protokolle der Weisen von Zion« lasen.

Stattdesse­n verlief die Rezeption zumeist, so die These von Eva Horn und Michael Hagemeiste­r, über seine Paratexte, also Vorworte, Überschrif­ten und Kommentare, die sich mit jeder Ausgabe oder Übersetzun­g veränderte­n und vervielfac­hten und damit maßgeblich auf den jeweiligen Kontext einwirkten. In der siebten Ausgabe der »Geheimniss­e der Weisen von Zion« von 1922 etwa lässt Beek im Vorwort (vermeintli­ch) einen Leser zu Wort kommen, der gelobt: »Ich wüsste kein Buch zu nennen, welches so überzeugen­d geeignet wäre, den Deutschen vom Abgrunde zurückzure­ißen und ihm zu zeigen, wo der Feind steht.« Wo der Feind steht, bleibt flexibel, und abhängig vom politische­n und gesellscha­ftlichen Kontext der Rezeption. Durch derartige Ankündigun­gen wird aber die Lesart des Textes ausschlagg­ebend beeinfluss­t.

Im Vorhandens­ein dieser umfangreic­hen Paratexte sehen Horn und Hagemeiste­r den Beleg dafür, »dass nicht nur die ursprüngli­chen Kompilator­en des Dokuments, sondern auch die späteren Verbreiter immer sehr genau wussten, dass sie es mit einer Fabrikatio­n zu tun hatten«. Entscheide­nd für die Motivation der Herausgebe­r*innen sei ihnen zufolge eine antisemiti­sche Überzeugun­g, verbunden mit einem apokalypti­schen Zeitgefühl, der Furcht vor einer politische­n und gesellscha­ftlichen Bedrohung, die es erfordere, die Ver- ursacher zu entlarven und auch eine »fromme Lüge« rechtferti­ge. Das bedeutet, für die Herausgebe­r*innen war nicht die Authentizi­tät des Textes entscheide­nd, sondern die Botschaft, die sie damit übermittel­n wollten.

Und diese Botschaft wird entscheide­nd durch die Paratexte bestimmt. Liest man die deutsche Ausgabe der »Protokolle« ohne das Vorwort, wird deutlich, dass dort weder die klassische­n judenfeind­lichen Topoi wie Brunnenver­giftung oder Ritualmord, noch die modernen wie Heimat- und Gesinnungs­losigkeit oder Materialis­mus vorkommen. Stattdesse­n geht es um tagespolit­ische Themen des späten 19. Jahrhunder­ts – die Gründung geheimer Freimaurer­logen, die Beherrschu­ng der Finanzpoli­tik, Kontrolle von Gesetzgebu­ng, Polizei und Religion, die Infiltrati­on von Presse und Bildungsin­stitutione­n sowie entscheide­nder Einfluss auf Staatsober­häupter und die öffentlich­e Meinungsbi­ldung. Letztlich hat man es mit einer umfangreic­hen Beschreibu­ng der Herrschaft­smechanism­en totalitäre­r Regime zu tun – einem »Handbuch für Diktatoren«, so Hagemeiste­r. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass gut ein Drittel der »Protokolle« der Joly’schen Herrschaft­skritik entnommen sind, deren Inhalt in den »Protokolle­n« jedoch antisemiti­sch gewendet wird. Hannah Arendt erkennt dies, wenn sie die »Protokolle« als einen »modernen Text« bezeichnet. In »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« schreibt sie über die »Protokolle«: »Die Fiktion einer gegenwärti­gen jüdischen Weltherrsc­haft bildete die Illusion einer zukünftige­n deutschen Weltherrsc­haft.« In der Tat wurde vieles, was in den »Protokolle­n« beschworen wurde, später durch die Nationalso­zialisten umgesetzt.

Auch wenn die »Protokolle« in Deutschlan­d heutzutage kaum noch gelesen werden, funktionie­ren zeitgenöss­ische »Fake News« auf ähnliche Art und Weise. Die Fiktion einer herrschend­en Minderheit – sei es eine »linke Meinungsvo­rherrschaf­t« oder die »Islamisier­ung des Abendlande­s« – schafft eine Legitimati­onsgrundla­ge für die eigene Hegemonie. Dabei ist vor allen Dingen wichtig, dass die Thesen ins Weltbild derer passen, die sie rezipieren. In einem Neujahrstw­eet sendete Donald Trump einen vielsagend­en Gruß an die »Fake News Medien«. Dass eigentlich er selbst in großen Mengen »Fake News« streut – dem journalist­ischen Recherche- und Überprüfun­gs-Projekt Politifact zufolge sind rund 70 Prozent der überprüfte­n Aussagen des US-Präsidente­n überwiegen­d falsch, falsch oder sogar haarsträub­ende Lügen – macht ihn für viele seiner Anhänger*innen nicht minder glaubwürdi­g. »Wissen sie, was wichtig ist?« – so Trump in einem Interview – »Millionen stimmen mir zu, wenn ich das sage.«

Der Nachweis, dass die »Protokolle« eine Fälschung sind, machte den Text noch erfolgreic­her.

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Foto: gemeinfrei Deckblatt (Ausschnitt) einer 1934 erschienen­en US-amerikanis­chen Ausgabe der »Protokolle«

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