Henning Melber/Thomas Fues/Johanna Ridderbeekx, Jürgen Zimmerer Pro & Kontra: Gedenkort im Berliner Stadtschloss?
Ein Gedenkort des Kolonialismus im Humboldt Forum könnte mehr sein als ein Alibi. Von Henning Melber, Thomas Fues und Johanna Ridderbeekx
Ende Oktober 2018 endete eine Tagung in Berlin zu »Shared History? Tansanisch-deutsche Kolonialgeschichte und Erinnerungskultur« mit einem Rundgespräch. In dessen Verlauf wurde Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, mit dem Vorschlag konfrontiert, im umstrittenen Humboldt Forum einen Gedenkort für die Opfer des deutschen Kolonialismus einzurichten. Zum Jahreswechsel machte Parzinger diesen Vorschlag publik und sprach in diesem Zusammenhang von einem »Raum der Stille«.
Anfang Januar 2019 haben auch die Ideengeber ihren Vorschlag für einen »Gedenkort für die Opfer des deutschen Kolonialismus im Humboldt Forum« der Öffentlichkeit vorgestellt. Er soll »ein Ort der Besinnung und Stille sein, der die Besucher*innen zu kritischer (Selbst-)Reflexion einlädt«, haben wir als Mitglieder der Initiativgruppe geschrieben. Wie ein solcher Gedenkort am besten ausgestaltet werden kann, bleibt weiteren konzeptionellen Diskussionen vorbehalten. Der Holocaust-Turm im Jüdischen Museum könnte hier ein Referenzpunkt sein.
Auch ist noch nicht entschieden, ob und wie geeignete Sonderausstellungen zu einschlägigen Themen aus verschiedenen Perspektiven – auch des globalen Südens –, die Nachdenklichkeit fördern können. Die Initiative versteht den Gedenkort als ersten Schritt zu einer zentralen Gedenkstätte in der deutschen Hauptstadt, die dezentrale Aktivitäten ergänzt und verstärkt. Vergleichbar ist das mit der Wechselwirkung zwischen einerseits dem Berliner Stelenfeld als zentralem Mahnmal des Holocausts und den »Stolpersteinen«.
Die Initiative stieß auf Zustimmung, aber auch scharfe Kritik. Ein Kommentar – ausgerechnet in der »Welt am Sonntag«, die zur Apologie des Kolonialismus sonst wenig Berührungsängste hat – wurde fast denunziatorisch mit »Ruhe im Karton« betitelt. Der Autor unterstellte der Initiative den Plan, das Gedenken an den Kolonialismus in einen Raum der Stille verbannen zu wollen.
Orte des Gedenkens sind in der Tat kein Marktplatz der Schreierei. Die wenigen Orte der Erinnerung und des Gedenkens an den Kolonialismus, die es bisher gibt, liegen oft versteckt, sind eher unauffällig und keinesfalls laut. Da hätte ein zentraler Raum im Humboldt Forum deutliche Vorteile, was bei entsprechend sorgfältiger Planung dessen potenzielle Reichweite und Wirkungskraft betrifft.
Wäre denn das Humboldt Forum ohne bewussten Bezugspunkt zu einer Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus besser? Man unterstützt ja auch die Forderung nach eindeutiger Kennzeichnung der betreffenden Exponate als geraubte Beutestücke, obwohl damit die Restitution noch nicht vollzogen ist. Ob ein solcher Vorschlag nur eine Alibifunktion erfüllt, hängt maßgeblich von zivilgesellschaftlichem, politischem Handeln ab.
Die Lächerlichmachung des vorgeschlagenen Gedenkortes durch den Vergleich mit einer »Autobahnkirche« oder »Flughafenkapelle« ist eine polemische Fehlleistung. Das Humboldt Forum ist kein Transitbereich. Es ist ein Ziel für Besuchende, die sich für die Ausstellungen und für außereuropäische Kulturen interessieren. Es besteht ein direkter inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Exponaten und einem Verweilort an zentraler Stelle. Er schafft Raum für Nachdenken und Gedenken, was kolo- niales Unrecht und dessen Opfer betrifft. Nachfahren der Kolonisierten können Impulse geben – was spricht dagegen?
Kritiker des Vorstoßes fordern stattdessen eine lautstarke Debatte zur Kolonialgeschichte. Die gibt es ja schon. Sie wird aber durch eine solche Initiative nicht relativiert, sondern gestärkt. Wirkliche Stille ist auch nicht leise. Sie kann recht laut sein. Es liegt an uns, ob wir sie hören wollen.
Im Humboldt Forum wären die Besuchenden eines Gedenkorts aufgefordert, auf die Stille zu hören. »Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat«, schrieb Sigmund Freud: »Am Ende, nach unzähligen oft wiederholten Abweisungen, findet sie es doch.« Wir sollten dieser Stimme im Humboldt Forum Raum geben. Als ein kleiner Schritt in erwünschter Richtung.
Henning Melber ist a.o. Professor für Politikwissenschaft in Pretoria und Uppsala. Thomas Fues arbeitete als Bereichsleiter im Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Johanna Ridderbeekx ist Lektorin am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der FU Berlin.