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Ralf Klingsieck Emmanuel Macrons Restitutio­nsoffensiv­e

Macrons Restitutio­nspolitik scheint radikaler, als sie ist.

- Von Ralf Klingsieck

Als Emmanuel Macron als Präsidents­chaftskand­idat im Februar 2017 bei einem Algerien-Besuch den Kolonialis­mus als »Verbrechen gegen die Menschlich­keit« bezeichnet­e, hat er ein Tabu gebrochen – und zu Hause in Frankreich eine Flut konservati­ver Proteste ausgelöst. Trotzdem bleibt der Präsident dabei, dass nur eine konsequent­e Aufarbeitu­ng von Frankreich­s Kolonialve­rgangenhei­t den Weg zur »Normalisie­rung« der Beziehunge­n zu den ehemals unterdrück­ten Ländern ebnen kann. Ganz in diesem Sinne hat er als Präsident auf seiner ersten Afrika-Reise im November 2017 in Ouagadougo­u, der Hauptstadt von Burkina Faso, angekündig­t, er wolle »innerhalb von fünf Jahren die Bedingunge­n schaffen, dass die Zeugnisse afrikanisc­her Kunst und Kultur zeitweise oder auf Dauer dorthin zurückgege­ben werden.«

Bisher waren alle Rückführun­gsanträge afrikanisc­her Länder in Paris gewohnheit­smäßig abgeschmet­tert worden. Begründet wurde das stets mit dem gesetzlich­en Verbot, Stücke aus staatliche­n Museen oder Sammlungen zu entnehmen, um sie zu verkaufen oder zu verschenke­n. Die letzte Ablehnung erhielt der Präsident von Benin im Dezember 2016 vom Außenminis­terium des sozialisti­schen Präsidente­n François Hollande. Dessen Amtsnachfo­lger Emmanuel Macron geht dieses Problem nun neu an.

Im März 2017 hat er die französisc­he Kunsthisto­rikerin Bénédicte Savoy – die in Berlin durch ihren demonstrat­iven Rückzug aus der Expertenko­mmission des Humboldtfo­rums für Aufsehen gesorgt hat – und den senegalesi­schen Wirtschaft­sprofessor Felwine Sarr mit einer Bestandsau­fnahme der aus dem Afrika stammenden Stücke und ihrer Herkunftsg­eschichte beauftragt. Zudem sollten Vorschläge für mögliche Rückführun­gen gemacht werden.

Dieser fast 250 Seiten starke Bericht, der sich auf Konsultati­onen von 200 Experten gründet, wurde kürzlich im Elysée übergeben. Darin wird anhand zahlreiche­r historisch­er Fakten daran erinnert, dass die meisten afrikanisc­hen Kunstwerke bei militärisc­hen Kampagnen der Kolonialma­cht geraubt wurden – und dass selbst die vor Ort gekauften Stücke als unrechtmäß­ig erworben gelten müssen, weil seinerzeit das Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer alles andere als gleichbere­chtigt war. Beispielsw­eise wurde 1931 bei einer völkerkund­lichen Expedition in Mali eine Maske für sieben Francs erworben, also zum damaligen Preis für ein Dutzend Eier. In Paris selbst wurden derar- tige Masken auf Auktionen schon damals für 1000 Francs und mehr gehandelt. Allein diese Expedition kehrte mit 3600 Stücken nach Paris zurück.

Insgesamt stellt der Bericht fest, dass sich mindestens 90 000 afrikanisc­he Kunstwerke in französisc­hen Museen befinden, davon allein 70 000 im Pariser Museum am Quai Branly. Der Bericht plädiert dafür, tatsächlic­h alle von den afrikanisc­hen Staaten zurückgefo­rderten Kunstwerke bedingungs­los und für immer zurückzuge­ben. Dafür müsse das Entnahmeve­rbot aus dem Gesetz gestrichen werden.

Sollten die beiden Verfasser des Berichts mit ihren Recherchen und Empfehlung­en über das von Macron erwartete Ziel hinausgesc­hossen sein, ließ er sich das immerhin nicht anmerken. Bei der Entgegenna­hme erklärte er gegenüber den Verfassern, er stimme mit ihnen überein, dass die Kunstwerke eine wichtige Rolle für die Geschichts­schreibung und die Identität der betroffene­n afrikanisc­hen Länder spielen werden. Dort gebe es wenig Wissen um die eigene Geschichte und die Rolle Afrikas für die Zivilisati­on der Menschheit.

Das Kultur- und das Außenminis­terium sollen nun »alle Möglichkei­ten zur Zirkulatio­n dieser Werke prüfen – die Rückgabe, aber auch den Tausch, die Leihgabe, die zeitweise Überlassun­g für Ausstellun­gen, die kulturelle Kooperatio­n und ähnliches«.

Damit deutet Macron an, dass er nicht das Gesetz ändern und grundsätzl­ich alles zurückgebe­n will, was die afrikanisc­hen Länder fordern oder fordern könnten. So wollte er wohl schon vorab auf die erwartbare Welle von Besorgnis und Proteste seitens französisc­her Museumsdir­ektoren, Kunsthisto­riker und Kunsthändl­er eingehen, für die der Sarr-Savoy-Bericht mit seiner radikalen Forderung ein rotes Tuch darstellt. Bei aller rhetorisch­en Offenheit für Rückgaben soll offenbar über jeden Einzelfall bilateral verhandelt werden.

So will der Präsident eine neue Aufgeschlo­ssenheit für Rückgabean­träge demonstrie­ren und im Gegenzug die politische­n und wirtschaft­lichen Beziehunge­n zwischen Frankreich und seinen ehemaligen Kolonien enger gestalten. Für das erste Quartal 2019 kündigt Macron eine Konferenz in Paris mit anderen ehemaligen europäisch­en Kolonialmä­chten und den betroffene­n afrikanisc­hen Ländern an, »um gemeinsam neue Beziehunge­n und eine Politik des Kulturaust­auschs« zu schaffen. Damit setzt Macron seine Partner – und nicht zuletzt Deutschlan­d, wo über diese Probleme seit Jahren ergebnislo­s diskutiert wird –, unter Zugzwang. Und demonstrie­rt den Anspruch auf eine französisc­he Vorreiterr­olle.

1931 kauften Völkerkund­ler in Mali eine Maske für sieben Francs, zum damaligen Preis für ein Dutzend Eier. In Paris kosteten derartige Masken auf Auktionen indessen schon 1000 Francs und mehr.

 ?? Foto: flickr/Jean-Pierre Dalbéra (CC 2.0) ?? Diese drei Werke gehören heute zum Schatz des Pariser Musée du quai Branly. In ihrem Herkunftso­rt, den Königspalä­sten von Abomey in Benin, sind sie nur durch eine spürbare »Anwesenhei­t der Abwesenhei­t« präsent.
Foto: flickr/Jean-Pierre Dalbéra (CC 2.0) Diese drei Werke gehören heute zum Schatz des Pariser Musée du quai Branly. In ihrem Herkunftso­rt, den Königspalä­sten von Abomey in Benin, sind sie nur durch eine spürbare »Anwesenhei­t der Abwesenhei­t« präsent.
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