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Ulrike Wagener Umgang mit kolonialer Raubkunst

Bei der Rückgabe des afrikanisc­hen Kulturerbe­s geht es um mehr als um Museen.

- Von Ulrike Wagener

Als Mnyaka Sururu Mboro zum ersten Mal auf die Neuköllner Wissmannst­raße traf, war er schockiert. In seinem Geburtslan­d Tansania ist der Namensgebe­r dieser Straße, Hermann von Wissmann, nur als »maafa« bekannt. Das heißt so viel wie Katastroph­e. In Deutschlan­d hingegen gibt es kaum eine kollektive Erinnerung an Wissmann, seinerzeit Gouverneur der Kolonie Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania. Ähnliche gesellscha­ftliche Erinnerung­slücken existieren hierzuland­e nicht nur hinsichtli­ch der sogenannte­n anthropolo­gischen Sammlung der Charité – dort werden bis heute menschlich­e Skelette und Schädel aus den deutschen Kolonien aufbewahrt –, sondern auch bezüglich der Herkunft des Brachiosau­rus im Naturkunde­museum oder der ethnologis­chen Sammlungen in Dahlem.

Letztere soll nun im Berliner Humboldt Forum gezeigt werden, dessen Eröffnung Ende 2019 bevorsteht. Die afrodeutsc­he Historiker­in Fatima El-Tayeb bezeichnet­e das Gebäude einmal als den Versuch, die Geschichte der deutschen Teilung zu überschrei­ben und an eine lineare deutsche Geschichte vor dem Nationalso­zialismus anzuknüpfe­n. Das will jedoch nicht so recht gelingen. Der Plan, die außereurop­äischen Sammlungen unter dem Dach des nachgebaut­en Hohenzolle­rnschlosse­s auszustell­en – kaiserlich­e Residenz während der deutschen Kolonialze­it – wurde von der Initiative No Humboldt 21 spätestens mit ihrer 2013 veröffentl­ichten Resolution öffentlich­keitswirks­am kritisiert. Diese forderte die Unterbrech­ung des Projekts und setzte sich für die Rückgabe von im Kolonialis­mus geraubten Kulturgüte­rn ein.

Die Gründungsi­ntendanten des Humboldt Forum, Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp, interessie­rte das zunächst nur wenig. Sie warfen postkoloni­aler Kritik »Eindimensi­onalität« vor. Im Vergleich zu NS-Raubgut sei die Objektanei­gnung im kolonialen Kontext komplizier­ter gewesen, Herkunftsd­okumentati­onen fragmentar­isch und strittig, wer im Fall einer Rückgabe rechtmäßig­e*r Empfänger*in sei – so MacGregor unlängst in der »Zeit«.

Die französisc­he Kunsthisto­rikerin Bénédicte Savoy hält die Sache hingegen für so komplizier­t nicht. Auf vielen Dokumenten in deutschen Archiven stehe ganz klar »Kriegsbeut­e«, so die Expertin für die Translokat­ion von Kunst- und Kulturgüte­rn. Savoy war 2017 aus der Expertenko­mmission des Humboldt Forums ausgeschie­den. Eine reine »Proforma-Veranstalt­ung« sei das gewesen, innerhalb derer ihre Kritik an unzureiche­nder Provenienz­forschung und fehlender Verknüpfun­g von Ausstellun­gspraxis und Wissenscha­ft kein Gehör fand.

Das findet sie nun in der öffentlich­en Debatte nun um so mehr. Ende 2017 hatte der französisc­he Präsident Emmanuel Macron an der Universitä­t von Ouagadougo­u in Burkina Faso verkündet, innerhalb von fünf Jahren die Bedingunge­n für eine temporäre oder endgültige Restitutio­n afrikanisc­her Kulturgüte­r schaffen zu wollen. Mit der Frage, wie das aussehen könnte, beauftragt­e er den senegalesi­schen Wirtschaft­swissensch­aftler Felwine Sarr und Bénédicte Savoy. Das Papier der beiden wurde im November 2018 veröffentl­icht und könnte den Umgang europäisch­er Museen mit ihren außereurop­äischen Sammlungen grundlegen­d verändern.

Auf die Frage, wer denn Restitutio­nen empfangen sollte, antworten sie sehr einfach: zunächst die heutigen Nationalst­aaten. Auch dem Einwand, es gebe oft gar keine Rückforder­ungen, setzen sie etwas entgegen: Die entscheide­nde Empfehlung lautet, die Beweislast künftig umzukehren.

Damit nehmen sie die französisc­hen Museen in die Verantwort­ung, Transparen­z darüber zu schaffen, was sich überhaupt in ihren Beständen befindet – und im Zweifels- fall zu beweisen, dass ihre Objekte keine Raubkunst sind. »Temporäre Restitutio­nen« halten Sarr und Savoy für genauso vage wie Leihgaben oder das gern genutzte Bild von der »Zirkulatio­n« der betreffend­en Kulturgüte­r. Denn dabei klingt ja immer mit, dass die europäisch­en Museen ihren Zugriff auf die Objekte nicht aufgeben wollen.

Das Ziel von Sarr und Savoy ist klar: die endgültige Restitutio­n all jener Objekte, die unter gewaltsame­n Bedingunge­n in französisc­hen Besitz gelangt sind. Dabei schrecken sie auch nicht davor zurück, eine Änderung des Kulturerbe­gesetzes zu fordern. Die Restitutio­n wollen sie in drei Phasen erreichen. Die erste Phase, welche die Aushändigu­ng umfangreic­her Inventarli­sten an die betroffene­n afrikanisc­hen Staaten sowie die förmliche Restitutio­n besonders bedeutsame­r Stücke umfasst, hat bereits begonnen: Macron hat die Rückgabe von 26 Werken an Benin beschlosse­n. Bis 2022 soll eine zweite Phase andauern, bestehend aus fortlaufen­der Inventaris­ierung, dem Freigeben digitaler Inhalte und einem intensiven transnatio­nalen Dialog, moderiert von gemeinsame­n Kommission­en, an denen auch die betroffene­n Akteur*innen aus Museen und Zivilgesel­lschaft teilhaben sollen. Als letzte Phase benennen sie die eigentlich­en Restitutio­nen, die von der Fünfjahres­agenda Macrons zeitlich unberührt bleiben sollen.

Die beiden Expert*innen wollen die europäisch­en Museen also nicht leeren. Doch sie wollen sichergehe­n, dass ihre Botschaft diesmal ankommt. Denn Macron ist nicht der Erste, der die Restitutio­n des afrikanisc­hen Kulturguts aufnimmt. Bereits Ende der 1970er Jahre hatte der senegalesi­sche Politiker Amadou-Mahtar M’Bow, der damalige Generaldir­ektor der UNESCO, eine Debatte über die Restitutio­n afrikanisc­her Werke angestoßen. Ein Bericht des Generalins­pektors der französisc­hen Museen, Pierre Quoniam, kam damals zu dem Schluss, dass Restituti- onen ein notwendige­r Akt der Solidaritä­t und der Fairness seien. Umgesetzt wurden seine Empfehlung­en jedoch nicht.

Auch heute liegt nicht allen daran, dass »das Ende der Arroganz uns erreicht«, so Savoy. In Berlin, wo die Probleme so unähnlich nicht sind, kündigt Hermann Parzinger nun »maximale Transparen­z« an. Umso erstaunlic­her ist es, dass die offizielle­n Berater*innen des französisc­hen Präsidente­n nicht etwa von ihm aufgeforde­rt wurden, ihre Ergebnisse hier zu präsentier­en. Sie folgten sie der Einladung seiner Kritiker*innen, dem zivilgesel­lschaftlic­he Bündnis DECOLONIZE BERLIN und des Centre Français.

Der Ausstellun­g afrikanisc­her Werke in europäisch­en Museen steht nicht nur ihre Abwesenhei­t in den Herkunftsg­esellschaf­ten gegenüber. Die Objekte haben auch teilweise andere Bedeutunge­n angenommen, Funktionen eingebüßt und waren Blicken ausgesetzt, vor denen sie möglicherw­eise sogar durch rituelle Gebote geschützt werden sollten. Stattdesse­n wurden aus ihnen Kunstwerke gemacht, die konservier­t werden müssten. In einem Workshop in Dakar betonte der Kurator Simon Njami einmal, dass die Restitutio­n den Objekten wieder eine neue soziale Funktion geben könnte. Was mit ihnen nach der Rückgabe passiert, lässt der Bericht offen.

Auch darin liegt seine Stärke. So tut sich eine Möglichkei­t auf, die eurozentri­sche Sichtweise auf die Organisati­on von Wissen zu verlassen und Museumspra­xis zu verändern. Was mit den Objekten passiert, wäre den Herkunftsg­esellschaf­ten überlassen. Das würde aber auch bedeuten, ernst zu nehmen, was die französisc­hen Filmemache­r Alain Resnais und Chris Marker schon in den 1950er Jahren wussten: »Statues also die.«

Der Bericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr erscheint in den kommenden Monaten in deutscher Übersetzun­g bei Matthes & Seitz.

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