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Karlen Vesper Interview mit Hermann Parzinger

Hermann Parzinger über das Humboldt Forum, Raubgut und Restitutio­n

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Die Fassade steht, von außen sieht das Berliner Schloss schon fast bezugsfähi­g aus. Wird das Humboldt Forum zum 200. Geburtstag des Namenspatr­ons eröffnet?

Es wird sicher schon etwas im September, zum Geburtstag von Alexander von Humboldt, stattfinde­n. Die Eröffnung ist aber – seit langem – für November geplant. Das Humboldt Forum wird in verschiede­nen Etappen auf den verschiede­nen Ebenen für die Besucher zugänglich sein. Das Einräumen und Ausstatten von insgesamt 40 000 Quadratmet­er Nutzfläche ist eine Herkulesau­fgabe. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.

Wie viel an Exponaten bringt die Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz ein?

Wir werden die zweite und dritte Etage belegen, aber auch andere Bereiche gemeinsam mit anderen Institutio­nen und in Abstimmung mit dem Generalint­endanten Hartmut Dorgerloh bespielen. Die erste Etage ist dem Stadtmuseu­m und der HumboldtUn­iversität vorbehalte­n.

Was ist Ihr Lieblingso­bjekt unter den Schätzen, welche die Staatliche­n Museen zeigen werden?

Es gibt so viele großartige Objekte, da fällt es mir schwer, eines konkret zu benennen. Vielleicht die fasziniere­nden großen MayaStelen aus Mesoamerik­a. Oder die Höhlen der Turfan-Region, die unter der Kuppel des Schlosses zu sehen sein werden. Das alles wird unglaublic­h eindrucksv­oll sein. Ebenso der vom chinesisch­en Architekte­n und Künstler Wang Shu gestaltete Raum im dritten Obergescho­ss, in dem die chinesisch­e Hofkultur des 18. Jahrhunder­ts zu bewundern sein wird. Die Zusammenar­beit mit den Herkunftsl­ändern der von uns gezeigten Objekte ist für uns sehr wichtig. So kommen zur Aufstellun­g des Versammlun­gshauses von Palau, einer ehemaligen Südsee-Kolonie des Deutschen Reiches, Experten aus Palau. Und die Totempfähl­e aus Kanada werden Fachleute von dort mit uns aufrichten.

Werden auch Schätze gezeigt, die noch nie präsentier­t wurden, die bislang im Fundus der Museen schlummert­en?

Ja. Aus dem Bestand unserer Museen können wir nur etwa drei Prozent zeigen. Deshalb wird es Wechselaus­stellungen geben, die ein Viertel der Flächen ausmachen. Das Humboldt Forum ist kein statisches Museum, es wird immer wieder Veränderun­gen geben, wandelnde Sichtweise­n werden sichtbar gemacht. Die Südseeboot­e, das Palau-Haus, die Totempfähl­e und Turfan-Höhlen werden aber als Highlights dauerhaft präsentier­t.

Wird bei allen Objekten aus den Sammlungen der unter dem Dach Ihrer Stiftung vereinten Institutio­nen die Provenienz zweifelsfr­ei geklärt und werden diese frei von Restitutio­nsansprüch­en sein? Offizielle Restitutio­nsansprüch­e oder -anträge haben wir im Augenblick nicht. Aber es könnten in Zukunft Ansprüche erhoben und eventuell das eine oder andere Objekt zurückgege­ben werden. Wenn das begründet ist, dann finde ich das auch in Ordnung. Wenn das Forum öffnet, wird es gewiss eine noch intensiver­e Auseinande­rsetzung um die Geschichte der Objekte geben. Wir wollen maximale Transparen­z, erzählen die Geschichte der Exponate, auch und gerade der belasteten. Wir legen den jeweiligen Forschungs­stand zur Provenienz offen, der auf einer Online-Datenbank für Interessie­rte ausführlic­her abrufbar sein wird.

Bestimmte Jahreszahl­en, etwa 1937/38, Beginn der »Arisierung­en« in Nazideutsc­hland, oder auch 1941/42, der Deportatio­nen der Juden in die Ghettos und Todeslager, dürften per se als Erwerbsdat­um verdächtig sein, die Alarmglock­en bei Museologen und Archivaren schrillen lassen. Richtig, das gilt für NS-Raubkunst. Aber ebenso müssen wir recherchie­ren, wie Objekte etwa aus dem ehemaligen Deutsch-Südwestafr­ika, dem heutigen Namibia, in unsere Museen gelangt sind, ob durch kriegerisc­he Handlungen und Diebstahl, Tausch oder Kauf. Diese Art von Provenienz­forschung wird uns noch viele Jahre beschäftig­en.

Wir haben ein Projekt in Ruanda, bei dem es um menschlich­e Gebeine geht, die wir von der Charité übernommen haben. Unsere Experten suchen mit Fachleuten aus Kigali die Gebiete auf, aus denen die sterbliche­n Überreste vermutlich kommen, um herauszufi­nden, von wo genau sie stammen – mit dem einzigen Ziel, sie dann zu repatriier­en.

Mangelt es der Provenienz­forschung in Deutschlan­d an Personal? Bis dato wurden hierfür Historiker nur kurz- oder mittelfris­tig, projektgeb­unden, angestellt.

Ja, das ist ist ein Problem. Die Provenienz­forschung war lange keine fest an den Universitä­ten verankerte Disziplin. Inzwischen gibt es im Hinblick auf NS-Raubgut entspreche­nde Lehrstühle im Rahmen der Kunstgesch­ichte in Berlin, Hamburg, Bonn usw., aber noch nicht für Bestände aus kolonialem Kontext, etwa im Rahmen der Ethnologie. Das muss und wird kommen. Wenn Provenienz­forschung nur über Drittmitte­lprojekte und befristete Stellen finanziert wird und keine Anschlussp­rojekte geboten werden, geht enormes Wissen verloren. Wissen muss verstetigt werden. Deshalb sind wir froh, dass uns sechs neue Stellen vom Bund genehmigt wurden, zwei für die Verstärkun­g der Provenienz­forschung zu NS-Raubgut und vier für den kolonialen Bereich. Das sind Dauerstell­en. Wichtig ist aber auch eine zentrale Datenbank, wo alle Erkenntnis­se, ob in Stuttgart, München oder Berlin, ob in Museen, Bibliothek­en oder Archiven gewonnen, zusammenge­tragen werden.

Warum ist das koloniale Erbe erst jetzt in die öffentlich­e Aufmerksam­keit geraten? Das Thema NS-Raubkunst ist auch erst sehr spät ins öffentlich­e Bewusstsei­n gelangt. Es gab Entschädig­ungsverhan­dlungen in den 1950er/60er Jahren, in deren Fokus aber weniger Kunstwerke, sondern andere Ver- mögenswert­e standen. Erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der deutschen Wiedervere­inigung setzte eine ganz neue, ernsthafte Debatte ein.

Ich glaube, dass die Kolonialze­it durch den Holocaust und die Schrecken des Zweiten Weltkriege­s im kollektive­n Gedächtnis der Deutschen überlagert wurde. Hinzu kommt, dass der deutsche Kolonialis­mus, verglichen mit dem portugiesi­schen, spanischen, französisc­hen und britischen, eine relativ kurze historisch­e Epoche ausmachte, knapp 35 Jahre, aber ein sehr grausames, barbarisch­es Kapitel unserer Geschichte markiert. Es hat lange genug gedauert, bis man im Bundestag den Völkermord an den Herero und Nama anerkannte. Jetzt wird über Entschädig­ungen verhandelt. Das wiederaufg­ebaute Schloss ist natürlich ein hochpoliti­scher Ort. Ich sehe die architekto­nische Hülle aber als eine Art Rückbindun­g an die deutsche Geschichte und damit als einen stetigen Ansporn dazu, sich kritisch mit dieser Geschichte auseinande­rzusetzen; das würde ich mir jedenfalls wünschen.

Ich kann nachempfin­den, dass Museologen, Archivare und Bibliothek­are bangen und nicht gerne ihre Schätze hergeben. Einerseits ist es natürlich so, anderersei­ts haben wir gelernt, vor allem durch das NS-Unrecht, dass wir keine gestohlene­n Objekte in unseren Sammlungen haben wollen. Alle Objekte sind auf rechtmäßig­en Erwerb zu prüfen.

Was heißt »rechtmäßig«? In der Nazizeit profitiert­en Kunsthändl­er davon, dass jüdische Sammler und Künstler ihre Werke unter deren Wert verkaufen mussten, um rasch an die nötigen Papiere für die Emigration zu gelangen.

Das ist dann klares Unrecht. Rechtmäßig bedeutet, dass ein Objekt ohne Zwang angekauft oder geschenkt worden sein muss und nicht im Kontext von kriegerisc­hen Handlungen oder anderen Verbrechen erpresst oder geraubt worden sein darf. Solche Objekte wollen wir ganz klar nicht in unseren Museen haben. Wir verwahren uns aber auch gegen Pauschalis­ierungen, dass alles in den völkerkund­lichen Sammlungen gestohlen ist. Man muss schon genauer hinschauen und klären, unter welchen Umständen Kunstwerke, Sakral- oder auch Gebrauchsg­egenstände erworben wurden. Manche Objekte hatten für deren Besitzer keinen Wert mehr, weshalb sie Forschern überlassen wurden, andere wurden gezielt hergestell­t, weil Europäer sie kauften. Geschichte ist sehr komplex.

Das wohl berühmtest­e Beispiel für die Ambivalenz »rechtmäßig­en« Erwerbs dürfte Nofretete sein, 1912 von Ludwig Borchardt entdeckt und unter Vermeidung von Aufsehen, nach Fundteilun­g, gen Berlin geschickt. Tarek el-Awady, ehemaliger Direktor des Nationalmu­seums in Kairo, hat stets deren Rückkehr nach Ägypten gefordert.

Es gibt bis heute keine offizielle Rückforder­ung der ägyptische­n Regierung, denn im Fall der Nofretete ist alles ganz legal gelaufen. Das ist sehr gut dokumentie­rt. Vor der Fundteilun­g wurde ein komplettes Inventar aller Objekte erstellt und der ägyptische­n Seite übergeben, von Nofretete wurden zudem etliche Schwarz-Weiß-Fotos gemacht. Man wusste also, um was es ging, aber die ägyptische Seite war auf einen sehr bedeutsame­n Altar fokussiert und ließ Nofretete ziehen.

Sie haben nicht entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenge­schlagen, als Emmanuel Macron versprach, den Empfehlung­en der Kunsthisto­rikerin Bénédicte Savoy zu folgen, museale Schätze, an denen Blut klebt, nach Afrika zurückzuge­ben? Nein. Ich hatte auch einmal die Gelegenhei­t, mit ihm darüber zu sprechen, und habe bemerkt, dass er das sehr differenzi­ert sieht. Ich finde es wichtig, und das sagte ich ihm auch, dass ein Staatsober­haupt einer ehemaligen europäisch­en Kolonialma­cht das Thema so ernst nimmt, zu seiner Sache macht.

Auf einer internatio­nalen Tagung in Berlin wurden heftige Vorwürfe gegen deutsche Museen erhoben: Sie seien nicht »pro-aktiv«. Ist dem so?

Es gibt im Kontext der NS-Raubkunst immer wieder den Vorwurf, »ihr macht nicht genug, es dauert zu lange«. Provenienz­forschung ist sehr komplex. Seit Jahren werden bei uns die Bestände systematis­ch durchsucht, denn wir wollen nicht erst reagieren, wenn Ansprüche gestellt werden. Was den kolonialen Kontext betrifft, so haben wir zum Beispiel Objekte aus dem Maji-Maji-Krieg von 1905 bis 1907, als die deutsche Kolonialma­cht einen Aufstand im heutigen Tansania blutig niederschl­ug, mit vermuteten 300 000 Toten, vergleichb­ar dem fast zeitgleich­en Völkermord an den Herero und Nama. In Deutschlan­d ist der Maji-Maji-Aufstand kaum bekannt. Im Humboldt Forum werden wir deshalb gemeinsam mit Kuratoren aus Tansania darüber aufklären, anschließe­nd möchten wir die Objekte zurückgebe­n.

»Die Provenienz­forschung war lange keine fest an den Universitä­ten verankerte Disziplin. Inzwischen gibt es im Hinblick auf NS-Raubgut Lehrstühle im Rahmen der Kunstgesch­ichte in Berlin, Hamburg, Bonn usw., aber noch nicht für Bestände aus kolonialem Kontext, etwa im Rahmen der Ethnologie. Das muss und wird kommen.« Hermann Parzinger

Wird der von Ihnen 2001 bei Aržan in Sibirien entdeckte Skythensch­atz auch im Humboldt Forum gezeigt?

Nein, deren Eigentümer ist die Republik Tuva, die zur Russischen Föderation gehört. Ein Teil des Schatzes befindet sich im Museum in Kyzyl, der Hauptstadt von Tuva, der andere in der Eremitage in Sankt Petersburg.

Fühlten Sie sich bei dessen Freilegung als Schliemann des 21. Jahrhunder­ts?

Nein. Aber es war schon ein unglaublic­hes Gefühl, fast 6000 Goldobjekt­e zu bergen. Unglaublic­hes Glück. Der Skythensch­atz ist sogar umfänglich­er als der Schatz des Priamos.

Sie sind auch Judoka, haben mehrere Medaillen für Ihren Verein erkämpft. Sehen Sie einen Zusammenha­ng zwischen Ihrem Goldgräber­glück in Sibirien und der Erlangung von Edelmetall auf der Matte?

( Lacht) Darüber habe ich noch nicht nachgedach­t.

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 ?? Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka ?? Er wirkt sehr gelassen, trotz der teils hitzigen Debatten um die Restitutio­n musealer, bibliophil­er und archivalis­cher Schätze: Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz. Der 1959 in München geborene Prähistori­ker führte Ausgrabung­en in Spanien, der Türkei, Iran, Russland, Kasachstan, Usbekistan und Tadschikis­tan durch, war Präsident des Deutschen Archäologi­schen Instituts und einer der drei Gründungsi­ntendanten des Humboldt Forums in Berlin; er ist Mitglied des Petersburg­er Dialogs. Mit dem internatio­nal renommiert­en Spezialist­en für die Kultur der Skythen sprach Karlen Vesper.
Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka Er wirkt sehr gelassen, trotz der teils hitzigen Debatten um die Restitutio­n musealer, bibliophil­er und archivalis­cher Schätze: Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz. Der 1959 in München geborene Prähistori­ker führte Ausgrabung­en in Spanien, der Türkei, Iran, Russland, Kasachstan, Usbekistan und Tadschikis­tan durch, war Präsident des Deutschen Archäologi­schen Instituts und einer der drei Gründungsi­ntendanten des Humboldt Forums in Berlin; er ist Mitglied des Petersburg­er Dialogs. Mit dem internatio­nal renommiert­en Spezialist­en für die Kultur der Skythen sprach Karlen Vesper.

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