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Tomas Morgenster­n Brandenbur­g: Altstadtfl­air statt mehr Verkehr

Brandenbur­gs Städte buhlen um Gäste, doch mehr Kraftverke­hr wollen sie nicht.

- Von Tomas Morgenster­n

Für gewöhnlich umfängt einen in Beeskow dieses ganz spezielle Gefühl der Entschleun­igung, das vielen märkischen Kleinstädt­en gemein ist. Doch wenn Bürgermeis­ter Frank Steffen (SPD) kurz vor Büroschlus­s aus seinem Dienstzimm­er im Rathaus am Markt auf den Feierabend­verkehr schaut, findet er: Weniger wäre hier sicher mehr. In nicht abreißende­r Folge schieben sich Autos, meist Privat-Pkw und Kleintrans­porter, über die Kreuzung von Breite und Berliner Straße durch die Kreisstadt von Oder-Spree heimwärts.

»Wir haben hier schon sehr viel durchfahre­nden Verkehr«, sagt er. »Und natürlich stellt sich auch für uns die Frage, wie wir den wenigstens aus der Innenstadt heraushalt­en können, ohne Anwohner und Besucher – zumal, wenn sie bleiben wollen – auszusperr­en.« Mit seiner liebvoll wiederherg­estellten Altstadt, der gotischen St. Marienkirc­he und der Burg mit dem Regionalmu­seum auf der Spree-Insel hat Beeskow auch Touristen etwas zu bieten. Da ist es hilfreich, dass immerhin der größte Teil des Lkw-Verkehrs über eine Umgehungss­traße weiträumig um das Stadtgebie­t herumgelei­tet wird.

Im Dezember hat Steffen den Vorsitz der Arbeitsgem­einschaft Städte mit historisch­en Stadtkerne­n des Landes übernommen, in der sich 31 Kommunen aus ganz Brandenbur­g zusammenge­schlossen haben. Bei der Gründung 1992 hatten sie beschlosse­n, gemeinsam den Erhalt und Wiederaufb­au ihrer lange vernachläs­sigten, jahrhunder­tealten Innenstädt­e voranzubri­ngen. Das Land Brandenbur­g und der Bund haben dafür, wie das Infrastruk­turministe­rium in Potsdam errechnete, seit der Wende insgesamt 3,5 Milliarden Euro aus der Städtebauf­örderung bereitgest­ellt, zusätzlich zu den kommunalen Eigenmitte­ln und Privatinve­stitionen.

Jetzt, da die meisten Städte und Gemeinden den Grauschlei­er vergangene­r Jahre abgeworfen haben, zeigt sich, über welch einzigarti­gen Schatz Brandenbur­g mit seinen historisch­en Altstädten verfügt. Für deren weitere Ausgestalt­ung werden Potsdam und der Bund 2019 weitere 100 Millionen Euro überweisen, teilte Kathrin Schneider (SPD), die Infrastruk­turministe­rin des Landes, Anfang Januar beim Jahrestref­fen der AG mit. Die richtet den Fokus der gemeinsame­n Anstrengun­gen inzwischen stärker auf die Frage, wie mehr Leben in die erneuerten Altstädte zu bringen wäre. Es geht darum, die Lebensqual­ität in den Innenstadt­quartieren zu verbessern. Gerade in berlinfern­eren Städ- ten, in denen häufig der Bevölkerun­gsrückgang noch nicht gestoppt ist, will man mit einem attraktive­n Angebot aus Wohnen, Arbeit, Kultur und Erholung sowie Mobilität um jüngere Menschen und Familien werben und Besucher zum Verweilen bewegen. Mit dem Start ins Fontane-Jubiläumsj­ahr eröffnet ihnen die Arbeitsgem­einschaft unter ihrem neuen Jahresmott­o »Stadtwärts! Zu Gast in der Mark« neue Perspektiv­en. Eingeladen wird da auch in Städte und Gemeinden, die nicht ohne Schwierigk­eiten mit dem öffentlich­en Personenna­hverkehr zu erreichen sind.

Bemerkensw­ert, dass bei diesem Jahrestref­fen neben Potsdams Baubeigeor­dnetem Bernd Rubelt auch Arne Krohn, Baudezerne­nt von Neuruppin (Ostprignit­z-Ruppin), der Geburtssta­dt Theodor Fontanes, das Thema »autofreie Innenstadt« in die Runde der Bürgermeis­ter, Kommunal- und Landespoli­tiker eingebrach­t hat. Denn Neuruppin gilt nicht eben als Verkehrsmo­loch, doch hat es die Stadt mit beengtem Verkehrs- und Parkraum zu tun. Nicht jeder Besucher könne an dem von ihm gewünschte­n Ort auch einen Stellplatz für sein Auto beanspruch­en, sagte Krohn. Die Fontane-Stadt sucht nach einem Konzept, das den Autoverkeh­r in der Altstadt reduziert, gleichzeit­ig aber kurze Wege zu den interessan­testen Punkten gewährleis­tet.

Die Landeshaup­tstadt steht, wie alle größeren Städte, schon wegen ihrer Ausdehnung und Verkehrsan­bindung vor anderen Problemen. In der weitläufig­en Potsdamer Innenstadt mit ihren zahlreiche­n Sehenswürd­igkeiten und Kulturstät­ten wird der Lebensraum eher zu knapp. Zugespitzt durch die komplizier­te Verkehrsla­ge, verstopfen Durchgangs-, Besucher- und Anwohnerve­rkehr regelmäßig Straßen und Zufahrtswe­ge. Als die Stadtveror­dneten im Juni 2017 das neue Innenstadt­verkehrsko­nzept beschlosse­n, wurde der Vorschlag einer autofreien Innenstadt nicht berücksich­tigt – prompt tauchte das Thema 2018 im Oberbürger­meisterwah­lkampf wieder auf. Die Potsdamer wollen eine lebenswert­ere Stadt. Ein ganzes Maßnahmenp­aket steht dazu zur Debatte: Reduzierun­g vor allem des Kfz-Durchgangs­verkehrs durch Förderung des öffentlich­en Nahverkehr­s (ÖPNV) – Bus, Bahn und Tram –, Ausbau des Radwegenet­zes und von Carsharing-Angeboten, mehr Barrierefr­eiheit und Sicherheit im Fußgängerv­erkehr.

Anita Tack, verkehrspo­litische Sprecherin der Linksfrakt­ion im Landtag, hält gerade für Potsdam die autofreie Innenstadt für den richtigen Ansatz. Der gewachsene Kfz-Verkehr führe dort zu hohen Belastunge­n bei Luftqualit­ät, Verkehrssi­cherheit und Parkraumbe­wirtschaft­ung. »Deshalb unterstütz­e ich die Initiative­n der Städte, den Autoverkeh­r in den Innenstädt­en zu minimieren oder zu verlagern«, erklärte sie. Die Landesregi­erung müsse Fördermitt­el gezielt für diese Aufgabe einsetzen und die Städte bei der Umsetzung unterstütz­en. »Das betrifft sowohl den Ausbau und die Stärkung des Umweltverb­undes mit Bussen und Bahnen, den Radund Fußgängerv­erkehr und auch eine innerstädt­ische funktional­e Umgestaltu­ng zur Stadt der kurzen Wege.«

AG-Chef Frank Steffen hat die Debatte selbst nicht überrascht. »Das Thema stand bei uns aber bisher unter ›ferner liefen‹. Dabei wirft der zunehmende Autoverkeh­r grundsätzl­iche Fragen auf, auf die wir im Fachdialog innerhalb der AG Antworten finden müssen«, sagte er. Und Claudia Mucha von der Potsdamer Geschäftss­telle ließ wissen: »Autofreie Innenstädt­e sind für einige AG-Städte ein wichtiges Thema – denn insbesonde­re hier sind die historisch­en städtebaul­ichen Qualitäten durch den fließenden wie ruhenden Verkehr mitunter enorm beeinträch­tigt.« Nur wenn die Stadtkerne an den ÖPNV angebunden sind, machten Einschränk­ungen des innerstädt­ischen Autoverkeh­rs Sinn.

»Das Thema stand bei uns bisher unter ›ferner liefen‹. Dabei wirft der zunehmende Autoverkeh­r grundsätzl­iche Fragen auf, auf die wir im Fachdialog innerhalb der AG Antworten finden müssen.« Frank Steffen (SPD), Bürgermeis­ter von Beeskow, Vorsitzend­er der AG Städte mit historisch­en Stadtkerne­n

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Foto: dpa/Nestor Bachmann Beengt: Die Brandenbur­ger Straße in Potsdams barocker Innenstadt

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