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Alexander Ludewig Fußball: Der Videobewei­s ist nicht fehlerfrei

Streitpunk­t Videobewei­s: Der deutsche Fußball unternimmt viel, um den Einsatz der Technik zu profession­alisieren und somit auch die Akzeptanz für Schiedsric­hter und Assistente­n zu verbessern.

- Von Alexander Ludewig

Wir haben sehr erfolgreic­h gearbeitet und sind gut gerüstet für die Rückrunde.« Diesen Satz könnte man bedenkenlo­s jedem Fußballer oder Trainer zuschreibe­n. Er stammt aber von Lutz Michael Fröhlich, Schiedsric­hterchef beim Deutschen FußballBun­d (DFB). Gesagt hat ihn der 61-jährige Berliner in dieser Woche, nach der Rückkehr aus Portugal. In Lagos, am Südwestzip­fel des Landes, hatten Fröhlich und 73 Referees ihr Wintertrai­ningslager abgehalten. Die Unparteiis­chen müssen schließlic­h ebenso dem Tempo des Spiels folgen können. Und wie die Sportler hegt auch Fröhlich nach intensiver Vorbereitu­ng die Hoffnung auf Besserung: »Jetzt geht es darum, all die positiven Impulse in den Spielen umzusetzen.«

Ja, es geht schon wieder los – an diesem Wochenende mit dem ersten Rückrunden­spieltag der 1. Bundesliga. Das darf doch wohl nicht wahr sein – wird es dann landauf, landab wieder heißen. Denn neben Sieg und Niederlage rückt auch eins der meistdisku­tierten Fußballthe­men wieder in den Fokus – der Videobewei­s, und damit auch die Schiedsric­hter.

Die Technik soll mehr Gerechtigk­eit in den Stadien garantiere­n. So der Ursprungsg­edanke. Auslöser war eine Partie am 18. November 2009: Im Playoff-Rückspiel der WMQualifik­ation erzielte der französisc­he Verteidige­r William Gallas in der Verlängeru­ng das erlösende 1:1 gegen Irland. Die Vorarbeit durch Thierry Henry allerdings war regelwidri­g, das offensicht­liche Handspiel des Stürmers sah die ganze Welt am Bildschirm, nur Schiedsric­hter Martin Hansson nicht. Die Folgen der Tatsachene­ntscheidun­g des Schweden: Frankreich fuhr zur Weltmeiste­rschaft 2010 nach Südafrika. Und der irische Fußballver­band drohte mit einer Klage, die die FIFA durch eine Zahlung von fünf Millionen Euro abwenden konnte. Rund achteinhal­b Jahre später, am 3. März 2018, beschlosse­n die Wächter des Weltfußbal­ls vom Internatio­nal Football Associatio­n Board den Videobewei­s in Person des Video Assistent Referee (Videoassis­tent) nach mehrjährig­er Testphase ins Regelwerk aufzunehme­n.

Gerechtigk­eit? »Das ist ein Witz … der ganze Scheiß!« Kurz vor der Winterpaus­e wütete Hannovers Manager Horst Heldt gegen den Videobewei­s. Ähnliche Äußerungen anderer Manager, Trainer oder Spieler ließen sich mühelos auflisten. Ein Klagelied über, vermeintli­che oder offensicht­liche, Benachteil­igungen können beispielsw­eise die Kölner singen, aus der vergangene­n Spiel

zeit, ihrer Ab- stiegssais­on, als der Videobewei­s mit einjährige­r Testphase in der 1. Bundesliga eingeführt wurde.

Weniger Fehlentsch­eidungen, weniger Diskussion­en – das hatten sich die Verantwort­lichen von der Technik versproche­n. 40 Fehlentsch­eidungen der Schiedsric­hter seien in dieser Bundesliga-Hinrunde durch den Videobewei­s korrigiert worden, berichtete DFBSchieds­richterche­f Fröhlich. Die Diskussion­en aber haben zugenommen. Weil mit dem Videobewei­s die Erwartunge­n gestiegen sind. Entspreche­nd größer ist das Unverständ­nis für Fehlentsch­eidungen. Dabei hat sich am grundlegen­den Problem gar nichts geändert: Es ist immer noch der Mensch, der die Fehler macht. Ob nun das Schiedsric­hterteam im Stadion oder der Videoassis­tent und dessen Assistent sowie der Operator, der für die Bildauswah­l strittiger Szenen zuständig ist, und dessen Assistent in der Kölner Zentrale. Hinzugekom­men sind zwei neue Probleme. Die Technik, die ebenfalls nicht immer fehlerfrei funktionie­rt, und das Zusammensp­iel zwischen Mensch und Technik.

Die Verantwort­lichen im deutschen Profifußba­ll versuchen viel, um die Abläufe zu profession­alisieren und somit auch die öffentlich­e Akzeptanz für Schiedsric­hter und deren Assistente­n zu erhöhen. Und so wurde im Trainingsl­ager an der Algarve nicht nur die Fitness der Unparteiis­chen verbessert. Regeltechn­isch sei ebenso viel gearbeitet worden, versichert­e Lutz Michael Fröhlich. Auch hier findet sich die Parallele zu den Fußballern: Selbst die grundlegen­dsten Sachen müssen ständig wiederholt werden. Für die Schiedsric­hter und all ihre Assistente­n heißt das im Falle des Videobewei­ses: Verinnerli­chen, dass der Videoassis­tent in Köln nur im Fall einer klaren und offensicht­lichen Fehlentsch­eidung eingreifen darf. Oder wenn der Unparteiis­che auf dem Platz eine strafbare Aktion nicht wahrgenomm­en hat. Und ganz generell: Der Videoassis­tent darf nur in vier, klar definierte­n Situatione­n eingreifen: Torerzielu­ng, Strafstoß, Platzverwe­is, Spielerver­wechslung.

Diese Vorgaben wurden nicht immer berücksich­tigt, manchmal blieben notwendige Interventi­onen aus Köln aus, manches Mal sorgten sie unrechtmäß­ig für eine Unterbrech­ung. Zudem wurden gleiche Situatione­n von Spiel zu Spiel unterschie­dlich bewertet. Das erklärt den teilweise sehr heftig formuliert­en

Unmut der Betroffene­n. Jochen Drees verspricht hier wie sein Kollege Lutz

Michael Fröhlich in Zukunft

Besserung. Der 48-jährige ehemalige Schiedsric­hter ist beim DFB »Projektlei­ter Videobewei­s«. Selbstkrit­isch sprach er in dieser Woche in Berlin über Fehler der Anfangszei­t und präsentier­te dazu Fallbeispi­ele per Video aus den letzten anderthalb Bundesliga­jahren. »Wir müssen uns und das gesamt System weiter profession­alisieren«, sagt er. Ein ganz wichtiger Punkt dabei: die Kommunikat­ion zwischen Schiedsric­hter und Videoassis­tent – eine Fehlerquel­le, die zu Verwirrung, unnötig langen Spielunter­brechungen und falschen Entscheidu­ngen führen kann. Experten sollen Abhilfe schaffen. Seit Monaten begleiten Flugpilote­n die Zusammenar­beit der Schiedsric­hter mit der Videozentr­ale in Köln. Das Ziel: eine kurze, klare Kommandosp­rache. Zudem will Drees in Zukunft mehr auf spezialisi­erte Videoassis­tenten setzen.

Drees wirbt natürlich auch für den Videobewei­s und unterstrei­cht dabei die Bemühungen für einen gerechtere­n Sport im eige- nen Land. »In der Bundesliga arbeiten wir mit 21 Kameras, in Holland und Portugal sind es nur acht.« Und er verweist auf einen weiteren Vorteil: faireres Spielerver­halten. So seien in der italienisc­hen Liga Simulation­en um mehr als 30 Prozent zurückgega­ngen, ähnlich verhalte es sich bei Reklamatio­nen.

Der Mensch ist ein Gewohnheit­stier. Dass die Akzeptanz des Videobewei­ses langsam steigt, zeigt eine Umfrage des »kicker« nach der Hinrunde: 70 Prozent der Profis befürworte­ten den Einsatz der Technik. Vor einem halben Jahr waren es 57 Prozent. Schwerer wird es, die grundsätzl­ichen Gegner zu überzeugen. Oft sind es aktive Fans. Sie vermissen die Unmittelba­rkeit des Stadionerl­ebnisses. Die durchaus verständli­che Kritik: Wenn der Fußball nicht mehr von seinen Emotionen lebt, wenn Jubel und Enttäuschu­ng erst kontrollie­rt werden müssen, ist es ein anderer Sport. Menschen mit dieser Meinung werden zu Unrecht als Berufsquer­ulanten beschimpft. Denn: Proteste gegen die Torlinient­echnologie gibt es in den Fankurven nicht. Diese Technik erlebt ihr viertes Bundesliga­jahr. Sie funktionie­rt geräuschlo­s, beeinfluss­t nicht das Spiel und dessen Rhythmus – und bringt Gerechtigk­eit.

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Foto: imago/Panoramic Am Anfang war das Unrecht: Am 18. November 2009 bereitete Stürmer Thierry Henry (r.) das entscheide­nde Qualifikat­ionstor zur WM 2010 für Frankreich gegen Irland mit einem Handspiel vor. Danach begann im Fußball das Arbeiten am Videobewei­s.
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Foto: imago/Elmar Kremser Keine Leibesübun­g, sondern Schiedsric­hteralltag: Referee Sascha Stegemann zeigt an, dass er eine Entscheidu­ng nach Ansicht der Videobilde­r getroffen hat.

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