Stephan Brünjes Wie man Reisekataloge richtig liest
Wie Sie schönfärberische Floskeln in Urlaubsprospekten oder auf Reiseportalen entschlüsseln und einem Alb-Traumurlaub auf der Hotelbaustelle unter der Einflugschneise entgehen.
Endlich Urlaub! Relaxed, wohligwarm und rundum umsorgt fühlt sich’s meist schon bei der Buchung an – Monate vor Reisebeginn. Zum einen, weil der ersehnte, mit sonnendurchfluteten Fotos garnierte Trip nur ein paar Online-Bestätigungs-Klicks entfernt scheint. Vor allem aber, weil die Prospektpoeten die zur Auswahl stehenden Reiseziele mit einer Art »Adjektiv-Ayurveda« geliftet haben.
Aber Achtung: Schon bei der Anreisebuchung aufpassen! Wer per »Direktflug« – sagen wir mal – von Frankfurt am Main nach New York reist, der erwartet sicherlich, dass sein Flieger, einmal in der Luft, erst am Big Apple wieder Bodenkontakt hat und die Reisezeit entsprechend kurz ist.
»Direkt« fliegende Reiseveranstalter hingegen landen gerne ungerührt noch mal zwischen, lassen ihre Passagiere dabei oft genervt warten. Und sind damit im Recht – so haben es Gerichte etwa in Würzburg, Frankfurt oder Hamburg entschieden. Wer im Wortsinne direkt, also unverzüglich ans Reiseziel will, sollte daher einen »Non-StopFlug« buchen – hier sind lästige Zwischenaufenthalte nicht gestattet.
Ist die sagenhaft sonnensichere Mittelmeerinsel, das palmengesäumte Tropenparadies oder ein exotisches Fernziel im Prospekt oder im Internet einmal ausgeguckt, dann – seien wir ehrlich – setzen wir bei der Buchung gerne die Lupenbrille auf, um das noch nicht touristisch überlaufene, viel ursprünglichen Charme bewahrende, aber mit Highspeed-WLAN versorgte, pittoreske, UNESCO-Weltkulturerbe-Dorf zu finden.
Das wissen die Sprachpanscher aus Katalogistan natürlich längst und umschmeicheln unsere Augen beim Lesen als erstes mit einem »aufstrebenden Ferienort«. Heißt übersetzt: Vermutlich sind mehr Bagger als Urlauber in den Straßen, Asphalt gibt’s hier eher in flüssiger als in fester Form – als Reiseziel ist der Ort daher wohl nur geeignet für Bauarbeiter auf Bildungsurlaub. Aber: »Aufstrebender Ferienort« im Reiseprospekt ist rechtens, urteilte das Amtsgericht Frankfurt.
Ebenso wie das Gegenteil: Der »touristisch gut erschlossene Ort«. Nicht etwa die Garantieformel für funktionierende Straßenlaternen, regelmäßig anlegende Fähren und gut geschulte Guides. Sondern Katalogisch für Hochkanthotelriegel der Marke »Urlauberschließfach« mit Dauerbespaßung durch Animateure.
Stattdessen also lieber das Dorf mit »Idylle in Randlage« wählen? Besser nicht, denn hier könnte möglicherweise gar keine touristische Infrastruktur existieren. Sollte irgendwo »naturbelassener Strand« angepriesen sein, so ist das kein Ökosiegel, sondern die verschlimmbessernde Formulierung für nicht geräumten Müll sowie keine Duschen und Toiletten weit und breit. Was also tun bei der Wahl des Urlaubsortes?
Am ehesten spiegeln Kommentare in Bewertungsportalen die Qualität eines Ortes wider, allerdings ist die Lektüre zeitraubend, denn um ein gesichertes Meinungsbild zu be- kommen, muss man schon 40 bis 50 davon lesen. Allein, um maßlos übertriebenes Selbstlob, beauftragt nicht selten vom Tourismusverband, und pingelige Meckereien enttäuschter Nörgelurlauber rauszufiltern.
Gleiches gilt fürs Hotel, die Pension oder Ferienwohnung. Dennoch: Hier sollte – zusätzlich zur Analyse der Bewertungen – das Prospekt-Katalogisch wortwörtlich übersetzt werden, denn im Unterschied zum Ferienort kann man seiner Unterkunft selten entfliehen, sie soll für zumeist 14 Tage das Zuhause in der schönsten Zeit des Jahres sein. Ganz entscheidend daher: die Lage. »Kurzer Transfer vom Flughafen« klingt verlockend. Heißt aber, dass der Soundtrack des Urlaubs nicht zirpende Zikaden, sondern röhrende Düsen der startenden und landenden Jets in der Einflugschneise des Airports sein werden. Wenn ausdrücklich auf nur »gelegent- lichen Fluglärm« hingewiesen wird? Dann kann das heißen – nur einige Male am Tag oder eben mehr. Bei 40 Mal war das Maß voll – jedenfalls für genervte Urlauber, die später mit ihrer Klage am Amtsgericht Hannover dafür eine Entschädigung bekamen. Sie sollten beim nächsten Mal jedoch kein Hotel wählen, das »bequem per Taxi zu erreichen« ist. Denn die Übersetzung dafür lautet: Abseitsfalle – Busse und Bahnen dorthin gibt’s nicht.
Auch über das Innenleben seines Hotels erfährt mehr, wer Katalogisch fließend übersetzen kann. Herrscht dort »internationale Atmosphäre«, dann sprechen eventuell einzelne Mitarbeiter deutsch, aber nicht alle, hat das Oberlandesgericht Köln entschieden. Also lieber in ein »von Deutschen bevorzugtes Hotel«? Hier darf man – laut Landgericht Kleve – allenfalls 10 bis 20 Prozent deutsche Gäste erwarten. »Landestypische Bauweise« hingegen verbrämt meist schlichte Einrichtung und hellhörige Zimmer. Na, aber sollte es zu heiß werden, dann ist das Zimmer wenigstens »klimatisierbar«. Was noch lange nicht bedeutet, dass Urlauber etwa in jedem Raum eine individuell regelbare Klimaanlage erwarten dürfen, urteilte das Landgericht Düsseldorf. Ähnliches gilt für »beheizbare Swimmingpools« (heißt noch lange nicht, dass er beheizt wird). Und wenn er »temperiert« ist? Dann wird die Wassertemperatur ausschließlich durch die Lufttemperatur geregelt.
Gut, dann ab ins Meer, das hoffentlich vom Hotelfenster aus zu sehen ist. Wird im Prospekt oder auf der Onlineseite ein Zimmer auf der »Meerseite« angepriesen, ist der Blick zum Strand jedoch sehr wahrscheinlich verbaut. Also »Meerblick« wählen? Ja, heißt aber immer noch nicht, dass das Hotel am Strand liegt, sondern dass ein Blick aufs Meer – auch von seitlich angebrachten Balkonen – in einem Betrachtungswinkel von mindestens 45 Grad gewährleistet sein muss.
Ist der Strand »über Treppen erreichbar«, sollten statt Flipflops eher Bergsteigerstiefel an die Füße, denn der Abstieg in die vermutlich umständlich zugängliche Badelagune könnte beschwerlich werden. Ach ja, wenn der Strand als »breit« angepriesen wird, steht dort nicht, dass er lang ist. Ist er hingegen als lang beschrieben, dann kann er dabei beklemmend schmal sein ...
Wortklaubereien, die spätestens jetzt zu der Frage führen, ob die Kreativität dieser Katalogistaner schon mal gebremst wurde – von EU-Gesetzgebern etwa, die bereits erfolgreich den Krümmungsgrad von Gurken normiert oder Seilbahnverordnungen für die Niederlande durchgesetzt haben?
Und richtig: 1990 verabschiedete der Europarat die sogenannte »EG-PauschalreiseRichtlinie«. Daraus machte der Bundestag vier Jahre später die »Verordnung über die Informations- und Nachweispflichten von Reiseveranstaltern«. Sie gilt bis heute und regelt, dass Merkmale der Reise wie »Transportmittel« »Bestimmungsort« und »Unterbringung (Art, Lage, Kategorie oder Komfort und – soweit vorhanden – ihre Zulassung und touristische Einstufung)« mit »deutlich lesbaren, klaren und genauen Angaben« beschrieben sein müssen.
Leider viel zu schwammig, diese Vorschrift, um die Invasion der Hochwertwörter (so nennen Werber das katalogische Schönfärbsprech) zu stoppen – auch nicht bei Service und Buffet: Ein »junges Team« ist vor allem ein unerfahrenes, das seine Laufwege noch abstimmt. Wenn es dabei »internationale Küche« auftischt, dann ist es wahrscheinlich einfallslose Tiefkühlkost, in der Mikrowelle heißgestrahlt. Und haben Sie da eben was von »unaufdringlichem Service« gelesen?
Na, dann viel Spaß beim Warten auf die bestimmt nicht in Überzahl vorhandenen Kellner!