Macht doch nicht dumm
Mohn schmeckt nicht nur in süßem Gebäck, sondern auch auf Salaten oder im Omelett
Selbst in Kuchen oder Knödeln kann Mohn gesund sein.
Opiathaltige Substanzen sind im heutigen Backmohn nur noch in Spuren vorhanden. Dafür finden sich um viele wertvolle Fettsäuren, Eiweiße und Spurenelemente.
Wenn der brave Soldat Schwejk im Schützengraben von seiner Ehefrau erzählt, die in Friedenszeiten so gute Knödel mit Mohn zuzubereiten wusste, ahnt man, wie das einfache Glück des kleinen Mannes beschaffen ist: satt zu essen und dies aromatisch lecker. In Tschechien, Österreich und Süddeutschland durften Speisen mit Wirtschaftsmohn, wie der Mohn für Nahrungszwecke auch genannt wird, bei keiner Feierlichkeit fehlen.
Was ist also dran an den kleinen blauen, grauen oder weißen Körnchen? Macht Mohn dumm, wie der Volksmund behauptet? Oder sogar euphorisch? Schläft man besser, wenn man sich ein Mohnkörnchen unters Kopfkissen legt? Können die rundlichen bis nierenförmigen Mohnkörnchen einen Beitrag zur gesunden Ernährung leisten?
Bereits Hildegard von Bingen pries für die Haut Mohnkörner an, welche »den Juckreiz verhindern und die rasenden Läuse und Nisse unterdrücken«. Während der ursprüngliche Schlafmohn (botanisch Papaver somniferum) der Gewinnung von Arzneidrogen wie Opium dient, wird für die menschliche Ernährung der großkörnigere Speisemohn bevorzugt, bei dem opiathaltige Substanzen weitgehend herausgezüchtet wurden. Aus dem Saft der unreifen Kapselhülle von Schlafmohn werden aber auch heute noch viele wichtige schmerz- und krampfstillende Medikamente wie Morphin und Codein hergestellt, die jedoch eine suchterzeugende Wirkung haben können.
Hingegen verabreichten noch im 19. Jahrhundert arme Landarbeiterinnen den »schlafmachenden« Saft aus unreifen Mohnkapseln ihren Kleinkindern, damit sie diese während der Arbeit unbeaufsichtigt am Feldrand liegen lassen konnten. Dass sich das nicht förderlich auf die geistige Entwicklung der in Armut aufwachsenden Kinder auswirkte, ist leicht nachzuvollziehen.
Im heutigen Backmohn sind nur noch Spuren von opiathaltigen Substanzen nachweisbar, die auch für Kinder als unbedenklich gelten. Ein Kind müsste schon acht Mohnbrötchen auf einmal verzehren, damit eine therapeutische oder betäubende Wirkung festgestellt werden könnte. Drogenabhängige dürfen jedoch in Entzugskliniken keine Mohnbrötchen essen, weil sich geringe Mengen davon im Urin nachweisen lassen.
Als aromatische, nussig schmeckende Zutat für Backwaren, süße oder herzhafte Knödel, Omeletts, Desserts oder auf Salaten punktet Mohn mit einer Vielzahl wichtiger Nährstoffe. An erster Stelle stehen Ölsäure und die beiden lebensnotwendigen Fettsäuren Linolsäure und Linolensäure, welche besonders eine trockene Haut von innen versorgen, aber auch Baumaterial für Gehirnzellen liefern. Organisch gebundene Mineralstoffe wie Magnesium, Calcium, Kalium, Eisen und Zink sind in den kleinen Körnchen in hoher Konzentration vorhanden, weiterhin Vitamin E sowie alle B-Vitamine außer B12.
Rund 20 Prozent der Mohnsamen bestehen aus Protein, das aus einem bemerkenswert hohen Anteil der Aminosäure Lysin aufgebaut ist. In 100 Gramm Mohn sind 1400 Milligramm dieser Aminosäure enthalten, welche in der Ernährung von Mensch und Tier eine Schlüsselstellung einnimmt. In Grundnahrungsmitteln wie Getreide und Kartoffeln ist die lebensnotwendige Aminosäure Lysin nur suboptimal vertreten. In 100 Gramm Weizen sind nur 380 Milligramm Lysin enthalten, in Kartoffeln, Roggen und in Mais noch weniger. Bei allen Getreideproteinen begrenzt Lysin daher die biologische Wertigkeit, die ausdrückt, mit welcher Ausbeute das Pflanzenprotein in körpereigenes Protein, etwa in Muskeln, umgewandelt werden kann. Der hohe Anteil von Lysin in den Mohn- körnchen ist nicht nur für Vegetarier und Veganer interessant, sondern auch für alle Menschen, die aus Gründen sozialer und ökologischer Gerechtigkeit weniger vom Tier verspeisen wollen.
Außerdem enthält Speisemohn rund 20 Prozent Ballaststoffe, die, genügende Trinkmengen vorausgesetzt, den Stuhlgang erleichtern. Mohn steht bei einer weiteren Aminosäure, dem Arginin, Walnüssen oder Pinienkernen in nichts nach. Unter anderem verdanken Walnüsse dieser Aminosäure ihren Ruf, die Durchblutung zu verbessern und sogar eine erektile Dysfunktion zu beheben.
In wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, dass Patienten mit Bluthochdruck und Arterienverkalkung oftmals einen Mangel an Ar- ginin haben. Auf sanfte Weise kann diese Aminosäure, die in Speisemohn mit 2800 Milligramm pro 100 Gramm enthalten ist, einer Verkalkung der Arterien und einem Bluthochdruck entgegenwirken.
Auch wer zum Frühstück am liebsten nur etwas Butter auf sein Brötchen gibt, kann sich mit den schmackhaften Mohnkörnchen darauf etwas Gutes tun. Besonders Hochbetagte nehmen auf diese Weise eine kleine Menge hochwertiges Protein zusätzlich auf, um dem Verfall der Muskeln etwas entgegenzusetzen.
Rohköstler schwören darauf, die Mohnkörnchen in Wasser quellen und ankeimen zu lassen. Dadurch sind die Aminosäuren sowie die Mineralstoffe besser verfügbar, und der Gehalt an Vitaminen nimmt während des Keim- vorganges sogar noch zu. Für eine Low-Carb-Mahlzeit, in der gar keine Kohlenhydrate erwünscht sind, lassen sich Mohnkörner auch ins Omelett einrühren. Kurz geröstet und leicht gesalzen kann man Mohnkörner auf frische Gemüsesalate streuen. Für die Zubereitung mit Quark, Joghurt oder Kokosmilch quetscht oder mahlt man den Speisemohn. Den frisch gemahlenen Mohn übergießt man mit heißer (Mandel-)Milch, dann kann er zusammen mit Grieß in Knödelteig eingearbeitet werden.
Gemahlener Mohn sollte rasch verwendet werden, da die mehrfach ungesättigten Fettsäuren im Keimling der Mohnkörner sehr anfällig für den Sauerstoff aus der Luft sind und schnell oxidieren, was man an einem ranzigen Geruch erkennt. Mohnöl sollte daher nur in der kalten Küche Verwendung finden.
Traditionell werden aus Backmohn sehr viele Süßspeisen und Kuchen hergestellt. Hier lässt sich in fast jedem Rezept die Zuckermenge um ein Drittel reduzieren. Den meisten Mohn-Fertigbackmischungen, die in einigen Supermärkten erhältlich sind, sollte man aus dem Wege gehen, weil sie extrem viel Zucker enthalten. Manche regionale Rezepte empfehlen, geriebene Äpfel und Rosinen unter die Mohnfüllung zu mischen, und erreichen dadurch eine etwas gesündere Süße.