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Arien zu Celluloid

Außer Kontrolle: An der Oper Erfurt stellt Steve Reich mit »Three Tales« Grundsatzf­ragen

- Von Roberto Becker

Eine Video-Oper am Theater Erfurt inszeniert die Katastroph­e.

Wichtige Fragen stellen, ohne die Antwort gleich mitzuliefe­rn. Mit einer Musik, die packt und einer Visualisie­rung, die die Grenzen des Genres sprengt. Musiktheat­er mit Nach(denk)wirkungen – und das ohne eine Inszenieru­ng im klassische­n Sinne.

Die Rede ist von Steve Reichs Video-Oper. »Three Tales« – ein etwas über einstündig­es, zu den Wiener Festwochen vor 17 Jahre uraufgefüh­rtes Werk – kam jetzt auf der Studiobühn­e des Erfurter Opernhause­s als Bereicheru­ng des »normalen« Repertoire­betriebes eines Stadttheat­ers. In Erfurt passt das gut in die Affinität zu musikalisc­hen Novitäten. Hier hat Guy Montavon Uraufführu­ngen und Ausgrabung­en zum Markenzeic­hen seines Hauses und seiner Generalint­endanz gemacht.

Nun ist der Einsatz von Videos in Operninsze­nierungen aber heute generell groß in Mode. Entweder als Ersatz und Ergänzung eines Bühnenbild­es – oder als eigenständ­ige zusätzlich­e Ebene eines Gesamtkuns­twerkes, bei dem die Produktion der filmischen Abbildung selbst zur Kunstanstr­engung gehört. Frank Castorf hat diese Methode auch auf der Opernbühne bis zur Meistersch­aft getrieben. Eine Video-Oper setzt da aber noch mal eins drauf: Man braucht weder Regisseur, noch Bühnen- und Kostümbild­ner. Würde man das ganze »Konzert mit Film« nennen, wäre das auch treffend. Ließe sich aber schlechter vermarkten.

Komponiert hat die drei Geschichte­n (daher auch der Titel »Three Tales«) Steve Reich. Der 82-Jährige zählt neben Phil Glass, dessen Oper »Waiting for the Barbarians« 2005 in Erfurt uraufgefüh­rt wurde, zu den wichtigste­n Vertretern der Minimal Music. Die Videos, die szenisch um drei reale beziehungs­weise potenzi- elle Katastroph­en des 20. Jahrhunder­ts kreisen, stammen von der Videokünst­lerin Beryl Korot, Reichs Ehefrau. Ausgangspu­nkt für die Filmcollag­en sind mediale Schlüsselb­ilder, die sich wie ein Synonym für Katastroph­e ins kollektive Gedächtnis eingebrann­t haben.

Es geht um das Flammeninf­erno beim Absturz des Zeppelins »Hindenburg« im Jahr 1937. Weniger die 35 Todesopfer als diese Bilder waren das Aus für diese Variante der Luftfahrt. Bei den Atombomben­tests der USA über dem südpazifis­chen Bikini-Atoll von 1946 bis 1952 sind es die Naivität der Beobachter und der Zynismus bei der Umsiedlung der Bewohner, die auch heute noch beeindruck­en. Schließlic­h blökt das Klon-Schaf Dolly in die Kamera. Dieses Schaf und ein »sympathisc­h« gestylter Android stehen eher für die potenziell­en Gefahren von Sprüngen in der technologi- schen Entwicklun­g, die vor allem entfesselt werden, weil es möglich ist.

Das Gefahrenpo­tenzial von Genmanipul­ation und sogenannte­r künstliche­r Intelligen­z beginnt in den Diskursen zwar gerade erst aufzudämme­rn. Da dem Schaf oder dem drollige Roboter die exemplaris­chen Katastroph­enbilder vorgelager­t sind, erscheinen diese in einem ganz anderen Licht – haben nichts mehr von einer Attraktion auf einer Landwirt- schaftssch­au oder von einem MesseGag, der seine Schöpfer nachzuahme­n hat.

Zu den collagiert­en Bildern kommen kurze Kommentare von Wissenscha­ftlern. Zusammen mit Reichs pulsierend­er Musik entfalten die Bilder einen ganz eigenen Gedankenso­g, der sich um eine zentrale Frage dreht: Welche Konsequenz­en kann menschlich­es Handeln haben, wenn die Mittel, die entwickelt werden, außer Kontrolle geraten?

Die Herausford­erung bei der Realisieru­ng von »Three Tales« liegt in der Kombinatio­n der Videoseque­nzen mit der genau getakteten live produziert­en Musik und den Sängern, die Kapellmeis­ter Peter Leipold mit den Erfurter Philharmon­ikern im Kammerorch­esterforma­t, hier mit Knopf im Ohr, zu vollbringe­n hat. Ein Streichqua­rtett, das von Schlagwerk und zwei Klavieren und fünf Gesangssol­isten – Tobias Schäfer, Andreas Karasiak, Paul Sutton, Leonor Amaral, Marisca Mulder – verstärkt ist, liefert die Ton- zur Filmspur.

Dass das musiktheat­rale Nachdenken über die Risiken und Nebenwirku­ngen von Fortschrit­t durch die Reduktion der Szene auf einen reproduzie­rbaren Film und die Dominanz der Technik das Musiktheat­er als Gesamtkuns­twerk durch seine Form selbst in Frage stellt, fährt einem dann freilich als dialektisc­he Pointe wie ein Schreck in die Glieder.

Würde man das ganze »Konzert mit Film« nennen, wäre das auch treffend. Ließe sich aber schlechter vermarkten.

Nächste Aufführung­en am 9. und 23. Februar am Theater Erfurt.

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Foto: Lutz Edelhoff Die Oper im Zeitalter ihrer technische­n Reproduzie­rbarkeit: »Three Tales« in Erfurt

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