Wut und Wehmut
Die diesjährige Berlinale-Retrospektive »Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen« zeigt Dokumentarund Spielfilme von Frauen aus der DDR und der BRD
In der Berlinale-Retrospektive: Filme von Frauen.
Heute beginnen die 69. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Gezeigt werden insgesamt 400 Filme, 17 von ihnen im Wettbewerb um den Goldenen Bären.
Präsentiert werden zwischen 1968 und 1999 entstandene Filme. Themen sind u.a. die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Frauensolidarität und Geschlechtergerechtigkeit.
Die Filmemacherin und Autorin Helke Sander war Mitgründerin des »Aktionsrats zur Befreiung der Frau«. 1968 hielt sie beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund jene berühmte »Tomatenwurf«-Rede, die heute als Auftakt zur zweiten Frauenbewegung in der BRD gilt. »Manchmal sieht man einen Film von einer Frau und bekommt eine Ahnung davon, was uns dadurch, dass diese Frauen nicht ständig arbeiten können, für die Gattung Film verloren geht«, schrieb sie einmal. Und weiter: »Die Filmgeschichte ist mit Werken von Frauen so mager bestückt, und dieser Verlust ist niemals aufzuholen. Die Gründe für diesen Verlust sind vielfältig, aber die Überlegung, was mir noch überliefert worden wäre an Denken von Frauen, wenn diese einen breiteren Zugang zur Kunst gehabt hätten, ist für mich als Frau unendlich deprimierend.« Genau diese Gefühlsmischung aus Wut und Wehmut überfällt die Zuschauerinnen auch beim Betrachten der Filme der diesjährigen BerlinaleRetrospektive, die das Filmschaffen von Regisseurinnen im Zeitraum von 1968 bis 1999 beleuchtet: »Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen«.
Diese Zeit war besonders geprägt von der Frauenbewegung und der sogenannten Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1990. Die ostdeutschen Kolleginnen hatten mit anderen Hindernissen zu kämpfen als ihre Westgenossinnen, entstanden ihre Filme doch alle innerhalb eines staatlich gelenkten Studiosystems, das sehenswerte Filme wie beispielsweise »Die Taube auf dem Dach« von Iris Gusner, die in Moskau Filmregie studiert hat, ablehnte.
Dieser ungewöhnliche, bewusst antidramatisch erzählte Film von 1973 um eine das Gefängnis einer herkömmlichen romantischen Liebesbeziehung meidende Bauleiterin zwischen zwei ihr untergeordneten Männern, der nebenbei viel über die damalige Gesellschaft in der DDR verrät, wurde von der DEFA-Direktion bereits abgelehnt, als die Drehbuchfassung vorlag. Er musste schließlich überarbeitet werden und die üblichen Instanzen durchlaufen, von der Dramaturgie bis zum Ministerium. 1971 durfte er, im Zuge der kurzzeitigen Liberalisierung nach Honeckers Amtsantritt, überraschend doch noch produziert werden. Der fertige Film wurde jedoch als ein Angriff auf die DDR verstanden – weswegen er verboten und noch nicht einmal ein Negativ davon archiviert wurde. 1990 fand man zufällig eine Arbeitskopie wieder, danach ver- schwand er aber wieder. 2009 machte die DEFA-Stiftung den Film erneut ausfindig. Von dem ursprünglich in Farbe gedrehten Werk ist nun leider nur noch eine Schwarzweißfassung erhalten. In der surrealen Schlussszene des Films streifen zwei der Hauptdarsteller durch eine schwarzweiße statt schillernd bunte Weihnachtskugelfabrik-Szenerie, der Hersteller konstatiert stolz: »Jede Weihnachtsfeier ist so bunt, wie wir sie wollen. Die Leute kaufen unsere fertigen Kugeln, und ihnen bleibt nur die Freiheit, sie auf dem Tannenbaum zu verteilen.« Eine Äußerung, die durch die Geschichte des Films, die darin mündet, dass die Christbaumkugeln nur noch in unpoetischem SchwarzWeiß glänzen, eine weitere Bedeutungsebene bekommt.
Regisseurinnen in Ost und West rangen bis zur Jahrtausendwende sowohl um die Chance, überhaupt drehen zu dürfen, als auch um künstlerische Selbstbestimmung. Dies wird in den 26 Spiel- und Dokumentarfilmen und 20 kurzen und mittellangen Filmen der Retrospektive überdeutlich.
Auch in der BRD waren Anfang der 60er Jahre weibliche Regisseure die große Ausnahme, Frauen waren eher in den Bereichen Schnitt, Drehbuch und Dramaturgie tätig.
Zwar entstanden in der BRD Fördersysteme, die den jungen, unabhängigen Film bevorzugen und dessen Weiterentwicklung garantieren sollten. Allerdings wurden diese Netzwerke noch hauptsächlich von Männern dominiert.
Zu den Gründungsmitgliedern des Filmverlags der Autoren sowie zu den Unterzeichnern des Oberhausener Manifests, in dem mehr Unabhängigkeit für Filmemacher gefordert wurde und mit dem der westdeutsche Film modernisiert werden sollte, gehörte keine einzige Frau.
Den unbeirrbaren Filmemacherinnen gelang es jedoch – vor allem getragen von der StudentInnenbewegung von 1968 und der Neuen Frauenbewegung – mehr und mehr, auch ohne diese Netzwerke ihre Filme zu drehen, die sich inhaltlich gegen das traditionelle, häufig aber auch gegen das linke Patriarchat zur Wehr setzten. Ihre Filme trafen freilich oft auf eine rückständig-intolerante Kritik, während sich die Kolleginnen aus der DDR mit dogmatischer Zensur auseinandersetzen mussten.
Thematisch waren nicht wenige Filme denen der ostdeutschen Kolleginnen ähnlich: So geht es etwa immer wieder um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie beispielsweise in dem Film »Sie« von Gitta Nickel (DDR 1970), der die Lebensrealität von Textilarbeiterinnen thematisiert.
Der halbstündige Film »Für Frauen. 1. Kapitel« (BRD 1971) dagegen dreht sich um das große Thema Geschlechtergerechtigkeit und Frauensolidarität, denn in der Supermarktfiliale der Protagonistinnen, die sich engagiert selbst spielen, ist man meilenweit vom gleichen Lohn für gleiche Arbeit entfernt.
Die Probleme alleinerziehender Mütter verhandelt beispielsweise Helke Sander in ihrem essayistischen Spielfilm »Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers« (BRD 1978), in dem eine Pressefotografin versucht, die kräftezehrende Doppelbelastung aus Kindererziehungsarbeit und Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen, ebenso wie Evelyn Schmidts ungelernte Arbeiterin in »Das Fahrrad« (DDR 1982), die mit ähnlichen Problemen sowie mit der Einmischung des Staates in ihr Privatleben zu kämpfen hat.
Thema einiger Filme sind auch Liebesbeziehungen und das Zusammenleben von Männern und Frauen, wie in Helma Sanders-Brahms’ Werk »Unter dem Pflaster ist der Strand« (BRD 1975), das zu einem zentralen Film der deutschen Frauenbewegung wurde, oder Angela Schanelecs Berliner-Schule-Film »Das Glück meiner Schwester« (1995).
Auch das ziellose Flanieren von Frauen, eine Tätigkeit, die kulturgeschichtlich lange den raumgreifenden Männern vorbehalten war, findet Platz in den Filmen der Retrospektive. So lassen sich beispielsweise in Pia Frankenbergs lakonisch-leichtfüßigem Autorenfilm »Nie wieder schlafen« (1992) drei Frauen durch jenes heute nicht mehr existente Berlin treiben, das 1990/91 unmittelbar nach der sogenannten Wende existierte.
Auch die Lebensgeschichten der Mütter der Filmemacherinnen werden thematisiert. So erzählt Jutta Brückner in ihrem Fotofilm »Tue recht und scheue niemand« (BRD 1975) von dem kleinbürgerlichen Leben ihrer Mutter, das exemplarisch für Frauen dieser Zeit und dieser Schicht steht.
Wer jetzt verächtlich von »Frauenfilmen« redet, ist allerdings auf dem falschen Dampfer: Dieses Wort wird bis heute häufig von Männern benutzt, um die Existenz eines Genres vorzugaukeln, das es eigentlich gar nicht gibt. Der Begriff »Frauenfilm« soll die, was ihre Form angeht, so vielfältigen Filme von Frauen von vorn herein diskreditieren.
Gewiss sind viele Filme von Frauen von einer besonderen Sichtweise geprägt. Was diesen sogenannten weiblichen Blick betrifft, der sich oft wohltuend vom einschränkenden, männlich-fetischisierenden Blick unterscheidet, findet sich in dem pünktlich zur Berlinale erschienenen und sehr lesenswerten Bändchen »Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen« ein Zitat der oben bereits erwähnten Filmemacherin Jutta Brückner aus dem Jahr 1992: »Ich glaube, im Moment gibt es den weiblichen Blick noch, nicht, weil wir biologisch anders wären, sondern aufgrund unseres kulturellen Erbes.«
Daran hat sich bis heute leider nicht viel geändert.
Mehr und mehr gelang es den Filmemacherinnen, ihre Filme zu drehen, die sich inhaltlich gegen das traditionelle, häufig aber auch gegen das linke Patriarchat zur Wehr setzten.
Retrospektive: »Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen«, 8. – 17.2.
Karin Herbst-Meßlinger / Rainer Rother (Hg.): »Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen«, Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, geb., 216 S., 25 €.