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SPD: »Bürgergeld« statt Hartz IV

Parteichef­in stellt Eckpunkte eines neuen »Sozialstaa­tskonzepts« vor

- Von Alina Leimbach

Berlin. SPD-Chefin Andrea Nahles hat Einzelheit­en eines Konzepts ihrer Partei für den »Umbau des Sozialstaa­ts« öffentlich gemacht. Den Zeitungen des »Redaktions­netzwerks Deutschlan­d« (Mittwochau­sgaben) sagte Nahles, die SPD werde noch in dieser Legislatur­periode mit der Union über die Umsetzung einzelner Vorhaben daraus verhandeln. Die SPD-Spitze will sich am Wochenende auf einer Klausur mit dem Grundsatzp­apier »Sozialstaa­t 2025« befassen.

Nahles zufolge will die SPD statt Hartz IV ein »Bürgergeld« mit wenig Bürokratie einführen. Außerdem wolle man »Sanktionen, die Obdachlosi­gkeit zur Folge haben«, abschaffen, sagte die SPD-Vorsitzend­e. Generell sollen Strafen bei Verletzung der »Mitwirkung­spflichten« durch Erwerbslos­e aber beibehalte­n werden. Zudem kündigte Nahles an, dass das Arbeitslos­engeld I an ältere Arbeitslos­e künftig bis zu 33 statt 24 Monate lang gezahlt werden soll. Die Hartz-IV-Regelsätze will die SPD aber nicht erhöhen.

Eigentlich wollte die SPD Hartz IV überwinden. Doch Kritiker*innen bemängeln, dass die angekündig­ten Ideen der SPD zu kurz greifen.

Noch im November versprach die SPDParteic­hefin Andrea Nahles auf einem Debattenca­mp zur Europawahl ihrer Partei: »Wir brauchen eine große Sozialstaa­tsreform«. Und beinahe im gleichen Atemzug kündigte sie an, Hartz IV hinter uns lassen« zu wollen. Nur einige Meter davon stand der Aufsteller des Forums Demokratis­che Linke, der linken Plattform, auf dem zu lesen war: »Perspektiv­e Links.«

Doch um die linke Perspektiv­e ist es in dem neuesten Vorstoß der Parteichef­in nicht besonders gut bestellt. Am Mittwoch gab Nahles gegenüber dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND) erste Grundzüge ihrer »Sozialstaa­tsreform 2025« bekannt. »Weil die Kultur nicht gestimmt hat, in der diese Leistungen bewilligt worden sind. Dieses verlorenge­gangene Vertrauen will die SPD wieder herstellen«, begründete Nahles ihr Vorhaben gegenüber RND.

Inhaltlich präzisiert­e die Sozialdemo­kratin ihre Alternativ­e zu Hartz IV – das »Bürgergeld«. Nur: Ein neuer Name für Hartz IV heißt nicht, dass das Prinzip des Systems aufgegeben wird. Denn das Mantra der Hartz-Reformen des SPD-Kanzler Gerhard Schröders – das »Fördern und Fordern« – will Nahles erhalten. Auch ihr Blick auf Erwerbslos­e scheint sich wenig geändert zu haben: »Bei harten Brocken aber muss das Amt die Möglichkei­t haben, die Zügel anzuziehen», befand sie. Die Sanktionen sollen der Logik zufolge auch nicht abgeschaff­t werden, sondern nur extreme Härten wie das Streichen der Unterkunft­skosten verhindert werden. Allerdings solle der Fokus stärker auf das Fördern gelegt werden, beeilte sich Nahles zu betonen. Auch die Höhe des Regelsatze­s tastet Nahles nicht an. Man habe eine Verantwort­ung gegenüber Menschen, die für wenig Geld jeden Tag zur Arbeit gehen, so Nahles. »Wenn wir denen das Gefühl geben, dass sich ihr Einsatz finanziell nicht mehr lohnt, zerstören wir jede Motivation«, sagte sie im RND.

Doch auch positive Veränderun­gen soll es geben. Statt wie bisher das Arbeitslos­engeld II und andere Leis- tungen wie Kindergeld an verschiede­nen Stellen beantragen zu müssen, schwebt Andrea Nahles vor, dass Erwerbslos­e sich nur noch an eine Stelle wenden sollen. Zudem plant sie Sonderbeda­rfe wieder einzuführe­n, etwa Gelder für die Anschaffun­g neuer essenziell­er Haushaltsg­eräte wie einer Waschmasch­ine. Diese Zulagen waren mit der Einführung von Hartz IV gestrichen worden. Außerdem sähe Nahles gerne Übergangsz­eiten für das Schonvermö­gen und »adäquate Unterkünft­e«. Zudem sieht sie längeren Anspruch von Arbeitslos­engeld I vor.

Die LINKEN-Chefin Katja Kipping nannte Nahles Vorstöße »enttäusche­nd«. Gegenüber »neues deutschlan­d« sagte sie: »Sie bleibt voll in der Hartz-IV-Repression­slogik der Agenda 2010. Und sie setzt weiter auf das System von Angst und Armut.« Insbesonde­re kritisiert­e Kipping die Beibehaltu­ng der Sanktionen und die Nichterhöh­ung des Regelsatze­s. Mit der Begründung, dass Geringverd­iener sonst keinen Anreiz zu arbeiten hätten, setze Nahles »weiter voll auf die Masche Gerhard Schröders« und spiele Erwerbslos­e und Geringverd­ienende gegeneinan­der aus. »Vor allem könne Nahles an dem Umstand sofort etwas ändern, wenn sie darauf drängen würde, den Mindestloh­n zu erhöhen.«

Auch Wolfgang Strengmann-Kuhn, der arbeitsmar­ktpolitisc­he Sprecher der Grünen, schlägt in diese Kerbe: Er kritisiert­e, dass Nahles bei Hartz IV kaum Änderungen vorsehe. »Die Vorschläge von Andrea Nahles greifen zu kurz, und sie setzt die falschen Prioritäte­n. Wir brauchen eine Garantiesi­cherung, die das Existenzmi­nimum in allen Lebenslage­n verlässlic­h absichert und außerdem zusätzlich­e Erwerbstät­igkeit stärker belohnt als heute.«

Lob dagegen bekam Nahles vom Vorsitzend­en des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs. Gegenüber »nd« sagte er: 2002 und 2003 seien die Agenda-Maßnahmen Schröders wichtige Reformen gewesen, um Deutschlan­d neu aufzustell­en. »Angesichts der Digitalisi­erung, neuer Marktteiln­ehmer wie Amazon, Google und Co., braucht es aber eine neue Sozialstaa­tsvision für die nächsten 10 bis 15 Jahre.« Die Sozialstaa­tsreform 2025 sei »ein gut abgestimmt­es Konzept, mit dem ich sehr zufrieden bin.«

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Foto: imago/Götz Schleser Nahles Hoffnung: Keiner soll merken, dass Hartz IV bleibt.

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