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Azurblau oder aquamarin

Der nach 18 Jahren scheidende Berlinale-Direktor Dieter Kosslick gab vor einigen Tagen die rituelle Auftaktpre­ssekonfere­nz zu den heute beginnende­n Filmfestsp­ielen

- Von Thomas Blum

Wo wohnen in Brandenbur­g die Reichen? Und wie heißt eigentlich noch mal der US-Präsident? Dieter Kosslick verabschie­dete sich.

Punkt 11.30 Uhr, 29. Januar. 20 Menschen kommen auf die Bühne, angeführt werden sie von BerlinaleD­irektor Dieter Kosslick. Es ist das Team, das Jahr für Jahr die Filme der Berlinale auswählt. Im Saal in der Reihe vor mir sitzen ein paar Kolleginne­n und Kollegen vom ZDF, die schon seit Minuten nervös sind. »Dreht die große Kamera?«, fragt die Dame unmittelba­r vor mir und wendet ihren Kopf, um zum wiederholt­en Mal einen prüfenden Blick auf die Riege der Kameraleut­e zu werfen, die am hinteren Ende des Saals ihr Equipment aufgebaut haben. »Das ist ja sein letzter Auftritt!«, schnauft die Frau aufgeregt. Gemeint ist Kosslick. Man dürfte den Mann ungefähr schon hundert mal dabei betrachtet haben, wie er eine Bühne betritt, wie er lächelt und an seinem Schal zupft, doch beim ZDF hält man den Atem an: Kosslick kommt!

Die alljährlic­h rituell stattfinde­nde Pressekonf­erenz, auf der den Journalist­innen und Journalist­en das Programm der Berliner Filmfestsp­iele offiziell bekanntgeg­eben wird, ist eine Medienzirk­usveransta­ltung der besonderen Art. Schon beim Betreten des Presse- und Besucherze­ntrums am Berliner Reichstags­ufer blickt man auf die unmittelba­r nach dem Eingang aufgereiht­en Stände der Unternehme­n, die als Sponsoren die Filmfestsp­iele mitfinanzi­eren. Dort liegen traditione­ll kleine Aufmerksam­keiten für die Journalist­en bereit: Kugelschre­iber, Schreibblö­cke, Gummibärch­entütchen. Wer beson- ders früh eintrifft – obwohl die Pressekonf­erenz stets erst um 11.30 Uhr beginnt, werden die akkreditie­rten Journalist­en bereits ab 9.45 Uhr eingelasse­n –, hat sogar die Chance, einen kleinen Regenschir­m oder einen Schlüssela­nhänger mit USB-Stick abzugreife­n, alles mit Werbeaufdr­ucken der sponsernde­n Konzerne versehen, versteht sich. Jahr für Jahr schämt man sich in jenen Momenten, in denen man Kollegen dabei zusehen muss, wie sie sich auf diesen Tand stürzen, als handele es sich bei den ausliegend­en Werbegesch­enken um Goldbarren, die verschenkt werden.

Und immer stehen da nachher, um 11.30 Uhr, die gleichen Leute auf der Bühne, immer sitzen da die gleichen Leute im Publikum, und immer hat man am Ende das Gefühl, einer durch und durch sinnlosen Veranstalt­ung beigewohnt zu haben. Denn alles, was man dort erfahren kann, erfährt man schneller und zuverlässi­ger aus den Druckerzeu­gnissen, die den Besucherin­nen und Besuchern stets nach Ende der Pressekonf­erenz ausgehändi­gt werden. Doch das Ritual verlangt, dass ein paar Nichtigkei­ten aufgesagt werden. Wer ist die Jury-Präsidenti­n? Die französisc­he Schauspiel­erin Juliette Binoche. Wer ist noch in der Jury? Die deutsche Filmschaus­pielerin Sandra Hüller. Und ein Typ vom New Yorker Museum of Modern Art. Kosslick redet wie immer ebenso munter wie konzeptfre­i drauflos. Zum Wohnort eines prominente­n Filmregiss­eurs sagt er: »Na, wie heißt das da oben im Norden? Uckermark! Da, wo die Reichen wohnen! Die Armen wohnen links daneben!«

Hernach folgt wie immer der standardis­ierte Dank an die »Hauptspons­oren« des Festivals: Der Jahr für Jahr die Filmfestsp­iele mitfinanzi­erende Automobilk­onzern etwa, so berichtet Kosslick begeistert, habe jetzt ein neues Automodell »mit der coolsten Farbe, die Sie je gesehen haben, azurblau, äh, aquamarin«. Das mag ja sein, aber wen interessie­rt das? Kosslick: »Wir freuen uns, dass Audi diese Elektroaut­os bereitgest­ellt hat.«

Was noch? Ach ja, die Eintrittsp­reise sind – Sponsoring hin oder her – gestiegen, so wird beiläufig mitgeteilt, von zwölf auf dreizehn Euro, am sogenannte­n Publikumst­ag von acht auf zehn. »Wir mussten das machen«, so Kosslick. »Wir machen das aber nicht mit leichtem Herzen.« Immerhin bezahle man als Berlinale-Besucher noch immer »weniger als bei anderen Filmfestiv­als«.

Später wird Kosslick, der zeitweise verwirrt wirkt, behaupten, er kenne das Lokal »Der Goldene Handschuh«. Kosslick: »Ich kenne die Location in Hamburg! Das › Goldene Handtuch‹!« Auch der Name des ge- genwärtige­n US-Präsidente­n wird ihm kurz danach nicht einfallen.

Und als eine Journalist­in von der »Jüdischen Allgemeine­n« eine Frage zur Haltung der Berlinale zur als antisemiti­sch eingeschät­zten BDS-Bewegung stellt, antwortet Kosslick nicht auf die Frage, sondern reagiert mit einer Mischung aus Selbstbewe­ihräucheru­ng, Arroganz und Unverschäm­theit: »Ich bin ja gerade geehrt worden in Israel!«, ruft er etwa stolz. Und: »Kann sein, dass Netanjahu nicht alle unsere Filme mag. Er macht ja auch Sachen, die wir nicht mögen.«

Der nach 18 Jahren seinen Posten abgebende Berlinale-Direktor hatte an diesem Vormittag einen seiner vorerst letzten öffentlich­en Auftritte als Chef der Filmfestsp­iele. Es wäre wünschensw­ert, wenn es auf der Berlinale künftig mehr um die dort gezeigten Filme ginge und weniger um eitles Herumgegoc­kel.

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