Azurblau oder aquamarin
Der nach 18 Jahren scheidende Berlinale-Direktor Dieter Kosslick gab vor einigen Tagen die rituelle Auftaktpressekonferenz zu den heute beginnenden Filmfestspielen
Wo wohnen in Brandenburg die Reichen? Und wie heißt eigentlich noch mal der US-Präsident? Dieter Kosslick verabschiedete sich.
Punkt 11.30 Uhr, 29. Januar. 20 Menschen kommen auf die Bühne, angeführt werden sie von BerlinaleDirektor Dieter Kosslick. Es ist das Team, das Jahr für Jahr die Filme der Berlinale auswählt. Im Saal in der Reihe vor mir sitzen ein paar Kolleginnen und Kollegen vom ZDF, die schon seit Minuten nervös sind. »Dreht die große Kamera?«, fragt die Dame unmittelbar vor mir und wendet ihren Kopf, um zum wiederholten Mal einen prüfenden Blick auf die Riege der Kameraleute zu werfen, die am hinteren Ende des Saals ihr Equipment aufgebaut haben. »Das ist ja sein letzter Auftritt!«, schnauft die Frau aufgeregt. Gemeint ist Kosslick. Man dürfte den Mann ungefähr schon hundert mal dabei betrachtet haben, wie er eine Bühne betritt, wie er lächelt und an seinem Schal zupft, doch beim ZDF hält man den Atem an: Kosslick kommt!
Die alljährlich rituell stattfindende Pressekonferenz, auf der den Journalistinnen und Journalisten das Programm der Berliner Filmfestspiele offiziell bekanntgegeben wird, ist eine Medienzirkusveranstaltung der besonderen Art. Schon beim Betreten des Presse- und Besucherzentrums am Berliner Reichstagsufer blickt man auf die unmittelbar nach dem Eingang aufgereihten Stände der Unternehmen, die als Sponsoren die Filmfestspiele mitfinanzieren. Dort liegen traditionell kleine Aufmerksamkeiten für die Journalisten bereit: Kugelschreiber, Schreibblöcke, Gummibärchentütchen. Wer beson- ders früh eintrifft – obwohl die Pressekonferenz stets erst um 11.30 Uhr beginnt, werden die akkreditierten Journalisten bereits ab 9.45 Uhr eingelassen –, hat sogar die Chance, einen kleinen Regenschirm oder einen Schlüsselanhänger mit USB-Stick abzugreifen, alles mit Werbeaufdrucken der sponsernden Konzerne versehen, versteht sich. Jahr für Jahr schämt man sich in jenen Momenten, in denen man Kollegen dabei zusehen muss, wie sie sich auf diesen Tand stürzen, als handele es sich bei den ausliegenden Werbegeschenken um Goldbarren, die verschenkt werden.
Und immer stehen da nachher, um 11.30 Uhr, die gleichen Leute auf der Bühne, immer sitzen da die gleichen Leute im Publikum, und immer hat man am Ende das Gefühl, einer durch und durch sinnlosen Veranstaltung beigewohnt zu haben. Denn alles, was man dort erfahren kann, erfährt man schneller und zuverlässiger aus den Druckerzeugnissen, die den Besucherinnen und Besuchern stets nach Ende der Pressekonferenz ausgehändigt werden. Doch das Ritual verlangt, dass ein paar Nichtigkeiten aufgesagt werden. Wer ist die Jury-Präsidentin? Die französische Schauspielerin Juliette Binoche. Wer ist noch in der Jury? Die deutsche Filmschauspielerin Sandra Hüller. Und ein Typ vom New Yorker Museum of Modern Art. Kosslick redet wie immer ebenso munter wie konzeptfrei drauflos. Zum Wohnort eines prominenten Filmregisseurs sagt er: »Na, wie heißt das da oben im Norden? Uckermark! Da, wo die Reichen wohnen! Die Armen wohnen links daneben!«
Hernach folgt wie immer der standardisierte Dank an die »Hauptsponsoren« des Festivals: Der Jahr für Jahr die Filmfestspiele mitfinanzierende Automobilkonzern etwa, so berichtet Kosslick begeistert, habe jetzt ein neues Automodell »mit der coolsten Farbe, die Sie je gesehen haben, azurblau, äh, aquamarin«. Das mag ja sein, aber wen interessiert das? Kosslick: »Wir freuen uns, dass Audi diese Elektroautos bereitgestellt hat.«
Was noch? Ach ja, die Eintrittspreise sind – Sponsoring hin oder her – gestiegen, so wird beiläufig mitgeteilt, von zwölf auf dreizehn Euro, am sogenannten Publikumstag von acht auf zehn. »Wir mussten das machen«, so Kosslick. »Wir machen das aber nicht mit leichtem Herzen.« Immerhin bezahle man als Berlinale-Besucher noch immer »weniger als bei anderen Filmfestivals«.
Später wird Kosslick, der zeitweise verwirrt wirkt, behaupten, er kenne das Lokal »Der Goldene Handschuh«. Kosslick: »Ich kenne die Location in Hamburg! Das › Goldene Handtuch‹!« Auch der Name des ge- genwärtigen US-Präsidenten wird ihm kurz danach nicht einfallen.
Und als eine Journalistin von der »Jüdischen Allgemeinen« eine Frage zur Haltung der Berlinale zur als antisemitisch eingeschätzten BDS-Bewegung stellt, antwortet Kosslick nicht auf die Frage, sondern reagiert mit einer Mischung aus Selbstbeweihräucherung, Arroganz und Unverschämtheit: »Ich bin ja gerade geehrt worden in Israel!«, ruft er etwa stolz. Und: »Kann sein, dass Netanjahu nicht alle unsere Filme mag. Er macht ja auch Sachen, die wir nicht mögen.«
Der nach 18 Jahren seinen Posten abgebende Berlinale-Direktor hatte an diesem Vormittag einen seiner vorerst letzten öffentlichen Auftritte als Chef der Filmfestspiele. Es wäre wünschenswert, wenn es auf der Berlinale künftig mehr um die dort gezeigten Filme ginge und weniger um eitles Herumgegockel.