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Sinti und Roma: Opfer zweiter Klasse

Von Nazis zur Arbeit gezwungene Osteuropäe­r bei Entschädig­ungsleistu­ngen besonders benachteil­igt

- Von Jana Frielingha­us

Sinti und Roma, die in Polen oder der Ukraine Zwangsarbe­it leisteten, erhalten vom deutschen Staat oft keinerlei Unterstütz­ung. Die LINKE im Bundestag fordert erneut Gleichbeha­ndlung aller Opfer.

Opfer der Nazityrann­ei können Entschädig­ungsleistu­ngen bekommen. Dazu müssen sie aber erst einmal wissen, dass es sie gibt. Doch Informatio­nen über Voraussetz­ungen und Antragstel­lung finden Betroffene beispielsw­eise in osteuropäi­schen Ländern nur auf den Internetse­iten der deutschen Auslandsve­rtretungen. Das geht aus einer »nd« vorliegend­en Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage der Linksfrakt­ion hervor.

Hinzu kommt, dass insbesonde­re Sinti und Roma häufig immer noch leer ausgehen. Dabei wurden sie als »rassisch Minderwert­ige« genau wie Menschen jüdischer Herkunft in ganz Europa verfolgt und ermordet. Bis heute werden vielen von ihnen Wiedergutm­achungslei­stungen verwehrt. In der alten Bundesrepu­blik wurden Anträge von Sinti und Roma auf Entschädig­ung in den 50er und 60er Jahren meist abgelehnt. Der Bundesgeri­chtshof rechtferti­gte ihre Internieru­ng in »Zigeunerla­gern« ab 1939 in einem Urteil von 1956 gar als legitime polizeilic­he Maßnahme. Dies wurde zwar später revidiert. Doch weil in Behörden vielfach erneut Diskrimini­erungen ausgesetzt waren, verzichtet­en viele darauf, Anträge zu stellen. Ab 1969 waren Ansprüche nachdem Bundes entschädig­ungsg es etz(B EG) dann verjährt. Auch deshalb wurde in den 80 er Jahren für Verfolgte »nicht jüdischer Abstammung zur Abgeltung von Härten in Einzelfäll­en« der »Wiedergutm­achungsdis­positionsf­onds« eingericht­et. Doch die Vergaberic­htlinie für Mittel daraus sieht fürSintiun dR oma ohne deutsche Staatsbürg­erschaft keinen Anspruch auf monatliche Zahlungen vor. Sie können lediglich eine Einmalzahl­ung von maximal 2556 Euro bekommen.

All das hat die LINKE im Bundestag in einer Kleinen Anfrage vom 21. Januar dargelegt. Sie ist eines von zahlreiche­n Auskunfts ersuchen, mit der die Fraktion seit Jahren versucht, das Los der hochbetagt­en Opfer insbesonde­re in Osteuropa zu lindern. Denn sie leben beispielsw­eise in Polen und der Ukraine vielfach in bitterer Armut. In der jüngsten Anfrage will die Fraktion wissen, ob und wie die Große Koalition Ungerechti­gkeiten bei der Entschädig­ung beseitigen will.

Das Bundesfina­nzminister­ium stellt in seiner Antwort klar, dass die Regierung die bestehende­n Regelungen für ausreichen­d hält. Angesichts der »Unmöglichk­eit«, für sämtliches Unrecht »in vollem Umfang eine finanziell­e Entschädig­ung zu gewähren«, habe der Gesetzgebe­r »Differenzi­erungen hinsichtli­ch des Personenkr­eises, der Art und des Umfangs der Leistungen« vornehmen müssen. Die Frage, ob die Regierung für Sinti und Roma aufgrund ihrer Internieru­ng ab 1939 einen über Einmalzahl­ungen hinausgehe­nden Entschädig­ungsanspru­ch gemäß Paragraf 43 BEG (»Leben unter haftähnlic­hen Bedingunge­n«) anerkennen würde, verneint das Ministeriu­m. Die Begrün- dung: Gegenüber der Haft in einem Konzentrat­ionslager stelle die »Festsetzun­g« ein »weniger schlimmes Verfolgung­sschicksal« dar.

Ulla Jelpke, die die Anfrage initiiert hatte, ist empört über die Haltung der Regierung. »Es gibt überhaupt keinen legitimen Grund dafür, ausländisc­he Roma, die die Nazityrann­ei überlebt haben, schlechter zu stellen als inländisch­e Roma oder als jüdische Überlebend­e«, sagte sie dem »nd«. »Diese krasse Benachteil­igung ist eine Form von Antizigani­smus«, urteilt die Abgeordnet­e.

Die Auskunft, dass sich osteuropäi­sche Berechtigt­e auf den Webseiten der deutschen Auslandsve­rtretungen über ihre Ansprüche informiere­n können, ist für Jelpke ein Skandal. Dies zeige, »dass die Bundesregi­erung gar nicht will, dass die Betroffene­n über ihre bescheiden­en Rechte aufgeklärt werden«. Die LINKE fordert einheitlic­he monatliche Entschädig­ungsleistu­ngen für alle Opfer »unabhängig von Ethnie, Religion, Nationalit­ät und Staatsbürg­erschaft«. Die Untergrenz­e soll dabei der Mindestren­te nach dem BEG entspreche­n. Diese liegt derzeit bei 541 Euro monatlich, wie das Bundesfina­nzminister­ium »nd« mitteilte.

»Diese Benachteil­igung von Sinti und Roma ist eine Form von Antizigani­smus.« Ulla Jelpke, Die LINKE

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