Verfassungstag in Weimar
100. Jahrestag der Nationalversammlung geprägt von Wahrzeichen und Meilensteinen
Am Mittwoch trafen die deutschen Verfassungsorgane in Weimar zusammen, um der Nationalversammlung zu gedenken, die vor 100 Jahren erstmals tagte. Gelegenheit zu feierlicher Selbstbestätigung.
Die deutschen Verfassungsorgane, das sind: der Deutsche Bundestag, vertreten durch seinen Präsidenten, Wolfgang Schäuble, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Bundesrat, vertreten durch seinen Präsidenten Daniel Günther, Ministerpräsident des Landes SchleswigHolstein, die Bundesregierung, vertreten durch Bundeskanzlerin Angela Merkel, und das Bundesverfassungsgericht, vertreten von seinem Präsidenten Andreas Voßkuhle. Straßenzüge blieben für normales Publikum verkehrsfrei, Theaterplatz und Herderplatz waren zeitweise auch für Fußgänger gesperrt. Anlass war die erste Zusammenkunft des Nationalparlaments vor 100 Jahren, am 6. Februar 1919 eben hier in Weimar, das ein halbes Jahr später, im Juli, die Weimarer Verfassung verabschiedete.
So wie damals begann die Zeremonie am Mittwoch in der Herderkirche – auch viele Abgeordnete hatten sich einst vor dem ersten Sitzungstag dort getroffen, um den Segen höherer Mächte zu erbitten. Immerhin: Die Weimarer Verfassung besiegelte auch die Trennung von Kirche und Staat, während sie zugleich Religionsfreiheit versprach. Schon 15 Jahre später freilich bedeutete die Zugehörigkeit zum Judentum höchste Lebensgefahr.
Über die irdischen Verhältnisse entschieden im Februar 1919 neben den Abgeordneten auch jene Kräfte, die in Berlin noch um die Macht rangen. Unter ihnen die Arbeiter- und Soldatenräte, deren Weimarer Einheit zunächst versuchte, den Schutz der Abgeordneten zu übernehmen und die als Vorkommando entsendete Militäreinheit entwaffnete. Die Entscheidung wurde allerdings umgehend rückgängig gemacht, nachdem die Zentrale der Soldatenräte in Berlin entsprechende Weisung erteilte. Gleichwohl demonstrierte das Weimarer Parlament seine Distanz gegenüber den Berliner Ereignissen durch das Ausweichen der rund 400 Abgeordneten nach Thüringen.
»Mutige Frauen und Männer« hätten damals die Verfassung einer freiheitlichen Demokratie entworfen, würdigte dennoch die evangelische Landesbischöfin Ilse Junkermann das Weimarer Parlament. Der katholische Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr warnte vor den Gefahren, gegen die sich Demokratie behaupten muss: Gruppenbezogene Menschenverachtung finde heute zunehmend Gehör, Antisemitismus in Worten und Taten nehme ebenfalls zu. Vor allem Christen sollten sich für ein freies, gleichberechtigtes, demokratisches Miteinander einsetzen, meinte der Bischof – ohne die moralische Sonderrolle zu erläutern, die er damit für seine Religion beanspruchte.
Ein Festakt im Deutschen Nationaltheater, dem Ort des historischen Geschehens, bot dem Bundespräsidenten die Bühne, das Weimarer Nationalparlament als Meilenstein für die Entwicklung der Demokratie in Deutschland zu würdigen. Auch die »Farben des demokratischen Patriotismus« – Schwarz-Rot-Gold – bezog Frank-Walter Steinmeier in die Reliquienpflege ein; sie seien das Wahrzeichen der deutschen Demokratie. »Überlassen wir sie niemals den Verächtern der Freiheit«.
Demokratie gründe sich auf Loyalität, Vertrauen und das Engagement derer, die in ihr leben, so der Bundespräsident. Der Thüringer Ministerpräsident, Bodo Ramelow, erinnerte als Linkspolitiker an die soziale Dimension der Demokratie. Es müsse über Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Globalisierung nachgedacht werden. Das Versprechen »Wohlstand für al- le«, das die soziale Marktwirtschaft mache, sei noch nicht eingelöst, erklärte Ramelow.
Der Tag hielt weitere Höhepunkte bereit, unter anderem einen Schulbesuch des Präsidenten und ein Bürgerfest, das Besuchern die Möglichkeit bot, mit Nachfahren der Abgeordneten von einst zu sprechen. Mit der Weimarer Verfassung erlangte Deutschland seine erste effektive demokratische Verfassung. Mit der Einführung des Frauenwahlrechts, des Achtstunden-Arbeitstages, der Trennung von Staat und Kirche und der Begründung des sozialen Rechtsstaats galt sie vor 100 Jahren als eine der modernsten Verfassungen weltweit. Nach dem Ort ihrer Verabschiedung wird das Deutsche Reich in der Zeit von 1919 bis 1933 als Weimarer Republik bezeichnet.