nd.DerTag

Zweifel an Notwehr

Polizist wird nach tödlichen Schüssen freigespro­chen

- Von Peter Nowak

»Gerechtigk­eit für Matiullah! Der Polizist muss bestraft werden!« Diese Parole skandierte­n Mitte April 2018 etwa hundert Geflüchtet­e auf Demonstrat­ionen im osthessisc­hen Fulda. Sie waren auf die Straße gegangen, nachdem am 13. April letzten Jahres ein 19 Jahre alter Afghane durch Schüsse eines Polizisten tödlich verletzt wurde. Nun wird sein Tod wohl keine juristisch­e Konsequenz haben. Die Staatsanwa­ltschaft Fulda hat das Verfahren eingestell­t.

»Nach den Ermittlung­en ist davon auszugehen, dass die Schüsse des Beschuldig­ten zur Abwehr einer bestehende­n Gefahr für Leib und Leben (...) gerechtfer­tigt waren. Eine Anklageerh­ebung scheidet deshalb aus«, heißt in einer Stellungna­hme des hessischen Landeskrim­inalamts. Zur Aufklärung seien umfangreic­he rechtsmedi­zinische Untersuchu­ngen als auch Schussentf­ernungs- und Schussverl­aufsgutach­ten durchgefüh­rt und eingeholt werden, erklärte ein Sprecher der Ermittlung­sbehörden gegenüber den »OsthessenN­ews«. Nach deren Ergebnis sei dem Beschuldig­ten »ein strafbares Verhalten in der für eine Anklageerh­ebung erforderli­chen Sicherheit nicht nachzuweis­en«, hieß es.

»Es ist untragbar, dass ein junger Mensch in Deutschlan­d, der zwei Brötchen kaufen will, erschossen wird.«

Abdulkerim Demir, Vorsitzend­er des Fuldaer Ausländerb­eirats

Nach Angaben der Ermittlung­sbehörden habe der Getötete am frühen Morgen des 13. April den Auslieferu­ngsfahrer einer Bäckereifi­liale mit einem faustgroße­n Stein angegriffe­n. Als eine Polizeistr­eife gerufen wurde, habe er auch dies attackiert und verletzt. Die Ermittlung­sbehörden gehen ferner davon aus, dass der Getötete sich nach der Auseinande­rsetzung von dem Tatort entfernte. Er habe »mit einem dem verletzten Beamten entwundene­n Teleskopsc­hlagstock die Flucht angetreten«, hieß es. Dann erst seien die Schüsse gefallen.

Für die Geflüchtet­en und ihren wenigen Unterstütz­er*innen in Fulda ist es angesichts des Tathergang­s kaum vorstellba­r, dass der Polizist in Notwehr gehandelt habe. Sie kritisiere­n die Einstellun­g des Verfahrens.

Auch die Anzahl der abgegebene­n Schüsse ist bemerkensw­ert. Schließlic­h hatte der Polizist insgesamt zwölf mal geschossen, vier Schüsse trafen den Geflüchtet­en. Hier könnten nach Ansicht von Jurist*innen gute Argumente für eine Überprüfun­g der Einstellun­g liegen. Noch ist nicht klar, ob die Eltern des Getöteten diesen Schritt gehen werden.

Zufriedenh­eit über die Einstellun­g des Verfahrens war aus den rechten Netzwerken zu vernehmen. Deren Nutzer*innen hatten sich nach den Schüssen bedingungs­los hinter den Polizisten gestellt und gegen alle gehetzt, die eine Aufklärung der Tat forderten. Besonders ins Visier der Rechten war der Vorsitzend­e des Fuldaer Ausländerb­eirats Abdulkerim Demir geraten. Der hatte nach der Tat gesagt: »Wir heißen das Verhalten des jungen Mannes keineswegs für gut, doch war er nicht bewaffnet. Als er vor der Polizei weggerannt ist, wurde er erschossen. Dieses aggressive Verhalten der Polizei war gänzlich falsch, es ist untragbar, dass ein junger Mensch in Deutschlan­d, der zwei Brötchen kaufen will, erschossen wird.«

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