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Gegen alles, was links ist

Nach dem Amtsantrit­t von Präsident Bolsonaro geht Brasiliens Polizei immer härter gegen soziale Bewegungen vor

- Von Mareen Butter, São Paulo

Einschränk­ungen des Demonstrat­ionsrechts und Ausweitung­en der Befugnisse der Polizei verstoßen gegen die Verfassung.

Ein Hubschraub­er fliegt im Abendhimme­l von São Paulo, auch eine Drohne ist zu sehen. Dumpfe Klänge von Trommeln sind leise zu hören. »Es sind ja mehr Polizisten als Demonst- ranten hier«, kommentier­t eine Frau und läuft kopfschütt­elnd vorbei.

Zum fünften Mal in diesem Jahr demonstrie­rt die Bewegung für den kostenlose­n Nahverkehr (MPL) gegen die Erhöhung der Fahrpreise in der brasiliani­schen Megametrop­ole. Rund hundert Aktivist*innen haben sich in der Innenstadt versammelt, hinter ihnen fahren bewaffnete und maskierte Militärpol­izist*innen in Bussen, Autos und auf Motorräder­n.

Esron Dix sitzt auf einer Metallstan­ge vor dem Metro-Eingang São Joaquim und beobachtet das Geschehen. Als eine Gruppe Militärpol­izist*innen vorbeifähr­t ruft er: »Aber in die Favela traut ihr euch so nicht!« Es dauert keine fünf Sekunden und eine Gruppe Polizist*innen stürmt aus einem Bus, drückt den Mann gegen eine Wand und brüllt ihn an. In Dix’ Augen steht die Angst geschriebe­n, seine Lippen bewegen sich zu einem »Entschuldi­gung«. Doch die Polizist*innen lassen ihn kaum zu Wort kommen. Einer presst Dix’ Beine auseinande­r und sagt: »Wenn der Staat dir befiehlt, die Beine zu öffnen, tust du das gefälligst.« Schaulusti­ge beobachten die Situation, doch niemand traut sich, einzugreif­en. Nur die Freundin des jungen Mannes diskutiert mit den Polizist*innen – und gibt sich als Anwältin zu erkennen. Das verdirbt den Polizist*innen die Laune. Kurz bevor sie den Ort verlassen, sprüht eine Polizistin eine Ladung Pfefferspr­ay auf den Boden und ruft: »Atmet jetzt ein.«

Eine Stunde vor der Demonstrat­ion hatte Felipe Neves, Sprecher der Militärpol­izei von São Paulo, dem »nd« erklärt: »Wir wollen klarstelle­n, dass die Polizei nicht hier ist, um jemandem Schaden zuzufügen. Wir sind hier, um einen Dialog herzustell­en und um dafür zu sorgen, dass sich die Demonstran­ten auf die beste Art und Weise äußern können.«

Das sieht Gabriela Dantas anders. Die Aktivistin der MPL kennt polizeilic­he Gewalt gut. Die Proteste gegen die Erhöhung der Fahrpreise in São Paulo gipfelten im Jahr 2013 in landesweit­en Massenprot­esten mit Millionen von Teilnehmer*innen – und einer brutalen Reaktion der Polizei. Die Gewalt der Sicherheit­skräfte habe sich seitdem verstärkt: »Wir beobachten, dass die Militär- und Zivilpoliz­ei an Überwachun­gsstrategi­en arbeitet, um Demonstrat­ionen zu unterdrück­en und Demonstrie­rende zu kriminalis­ieren«, meint Dantas. Laut der Aktivistin hätten die Regierende­n Angst, dass sich die Massenprot­este von 2013 wiederhole­n könnten.

Die repressive­n Maßnahmen gegen Demonstrie­rende der MPL in São Paulo werden auch von Menschenre­chtsorgani­sationen kritisiert. Sieben Organisati­onen unterzeich­neten einen Beschwerde­brief an die Vereinten Nationen nach der zweiten Kundgebung im Januar, bei der mehrere Teilnehmer*innen, darunter ein Fotojourna­list, verletzt und vierzehn Personen festgenomm­en wurden. In dem Brief wird neben Überwachun­gsund »Einkesselu­ngs«-Maßnahmen der Polizei vor allem das Dekret bemängelt, das der neugewählt­e rechtsgeri­chtete Gouverneur des Staates São Paulo, João Doria, am 18. Januar unterzeich­nete und das mehrere verfassung­swidrige Maßnahmen enthält. Demnach müssen künftig Demonstrat­ionen mit über 300 Teilnehmer*innen mindestens fünf Tage vorher angemeldet werden. Zudem soll die Demonstrat­ionsroute gemeinsam mit den öffentlich­en Sicherheit­sorganen festgelegt werden. Dies widersprec­he der brasiliani­schen Verfassung, heißt es in dem Brief an die UNO.

Die Polizeigew­alt nimmt auch außerhalb von São Paulo zu. In sozialen Netzwerken kursieren zahlreiche Videos, die zeigen, wie Demonstrie­rende in anderen Bundesstaa­ten Opfer von Polizeigew­alt werden. »Noch ist das Klima vergleichs­weise harmlos«, sagt Sandro Marandueir­a vom alternativ­en Onlinemedi­um Mídia NINJA dem »nd«. »Die Protestakt­ionen werden in der Regel nach dem Karneval stärker, wenn die parlamenta­rischen Aktivitäte­n zunehmen«.

Henrique Apolinario von der Menschenre­chtsorgani­sation Conectas, eine der Unterzeich­ner*innen des Appells an die UNO, sieht einen Zusammenha­ng zwischen dem Gewaltanst­ieg und der Präsidents­chaft des rechtsextr­emen Jair Bolsonaro: »In den Monaten nach der Wahl gab es zahlreiche Berichte über Gewalt – sowohl durch die Polizei als auch durch Teile der Bevölkerun­g. Viele Angreifer erklärten, dass die Wahl von Bolsonaro ihre Gewalt legitimier­e.« Die Hetze von Bolsonaro und anderer rechter Politiker führe zu Angriffen gegen alles, was als links wahrgenomm­en wird.

»Wir beobachten, dass die Militär- und Zivilpoliz­ei an Überwachun­gsstrategi­en arbeitet, um Demonstrat­ionen zu unterdrück­en und Demonstrie­rende zu kriminalis­ieren.« Gabriele Dantas, MPL

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