Gorlebens Mauer kommt weg
Auch jenseits großer Mobilisierungen macht die Anti-Atomkraft-Bewegung weiter
Die Mauer rund um das Erkundungsbergwerk Gorleben war ein beliebtes Ziel von Aktionen der AKW-Gegner. Da sie jetzt weg soll, fordern die Aktivisten, einen Teil von ihr als Denkmal zu erhalten.
Die Mauer soll weg. Rund vier Meter hoch, umgibt sie seit den 1980er Jahren auf knapp zweieinhalb Kilometern Länge das Erkundungsbergwerk im Gorlebener Wald. Der Salzstock darunter wurde lange Zeit auf seine Eignung als Endlager für hoch radioaktiven Atommüll untersucht. Seit 2013 ruhen die Arbeiten. Das Bergwerk unter Tage verblieb jedoch im sogenannten Offenhaltungsbetrieb, einer Art Stand-by-Modus, die Arbeiten könnten also jederzeit wieder aufgenommen werden.
Um den Gorleben-Konflikt weiter zu beruhigen, hatte die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), Betreiberin des Bergwerks, bereits vor einem Jahr angekündigt, die Mauer abzubauen und durch einen »industrieüblichen« Sicherheitszaun zu ersetzen. Jetzt hat die bundeseigene Gesellschaft die Arbeiten für den Abriss des Bauwerks und die Neugestaltung des Geländes europaweit ausgeschrieben, wie BGE-Sprecherin Monika Hotopp dem »nd« bestätigte.
Der Auftrag beinhaltet unter anderem den Abbruch von 65 Kubikmetern Stahlbeton, 2000 Kubikmetern Schotterfläche und 2800 Kubikmetern sogenannter HGT-Schichten – diese hydraulisch gebundenen Tragschichten bestehen aus Mineralstoffen wie Splitt, Kies oder Sand, die mit Zement oder Kalk gebunden sind. Ferner müssen 1350 Meter Versorgungskabel und -leitungen abmontiert und 2000 Quadratmeter neue Schotterwege angelegt werden.
Immer wieder waren Atomkraftgegner in den vergangenen Jahren gegen die Mauer angerannt, teilweise konnten sie sie sogar überwinden: An einem Neujahrstag wurden Leitern und alte Teppiche herangeschafft, Aktivisten kletterten mit Hilfe des Materials über Mauer und Drahtverhau. Häufig gab es vor dem Tor Blocka- den. Feste wurden dort gefeiert, und einmal gar eine veritable Hochzeit. Hunderte Farbbeutel zerplatzten im Lauf der Jahre auf dem Beton, Hunderte Graffiti mit Anti-Atomkraft-Parolen sind dort verewigt.
Mit dem nun angekündigten Mauerfall erfüllt die BGE eine Forderung der örtlichen Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Gleichwohl bezeichnet deren Sprecher Wolfgang Ehmke die Maßnahme als »Oberflächenkosmetik«. Schließ- lich werde das Bergwerk nicht zugeschüttet, es werde konserviert und könne im Laufe der Endlagersuche »schnell wieder aus dem Hut gezaubert werden«. Gorleben, so die Befürchtung, bleibe bei der Suche im Rennen und sei sogar der heimliche Favorit. Die BI, aus deren Sicht die Mauer »sinnbildlich den bewehrten Atomstaat« verkörperte, möchte nun erreichen, dass ein Teil der Mauer erhalten bleibt. »Als Denkmal und als Mahnmal für eine verkorkste Atom- müllpolitik«, sagt Ehmke. »Aber auch als Meilenstein für einen erfolgreichen Kampf ›David gegen Goliath‹.«
Die Aktivisten verweisen mit einigem Stolz darauf, dass sie den Bau eines Endlagers in Gorleben bis heute verhindern konnten. Von den ursprünglichen Plänen, im Gorlebener Wald ein »Nukleares Entsorgungszentrum« mit Endlager, Zwischenlager, Wiederaufarbeitungsanlage und weiteren Nuklearfabriken zu errichten, hätten sich Staat und Atomwirt- schaft wegen des anhaltenden Widerstandes der Bevölkerung schon früh verabschieden müssen.
Die BGE zeigt sich offen für diesen Vorstoß der Umweltschützer. »In Bezug eines Stücks der Mauer sind wir mit der BI in Kontakt«, sagt Hotopp.
Das Mauerstück wäre das dritte Mahnmal im Gorlebener Wald: In Einzelteile zerlegt und auf elf Tieflader verteilt, hatte Greenpeace 2013 das frühere Aktionsschiff »Beluga« nach Gorleben gebracht. Ganz in der Nähe, in einer Schneise im Kiefernwald, stehen drei große Kreuze. Das erste hatten Umweltschützer bereits im Jahr 1988 vom bayrischen Wackersdorf zu Fuß nach Gorleben geschleppt. Seitdem versammeln sich hier bei Wind und Wetter jeden Sonntag Menschen zum »Gorlebener Gebet«.
Überhaupt ist der Widerstand im Wendland nicht eingeschlafen, seitdem keine Castortransporte mehr anrollen, die Endlagersuche offiziell für neu gestartet erklärt und 2017 das Standortauswahlgesetz verabschiedet wurde. Zwar fehlen für die Mobilisierung zu Massenaktionen derzeit die Anlässe – nur freitags vor Pfingsten während der »Kulturellen Landpartie« versammeln sich noch Tausende zum Protest. Doch ein gar nicht mal kleiner Kern von Aktiven hält das Atomthema in der Diskussion.
Thematisch beschäftigen sich die BI und die anderen Protestgruppen außer mit dem immer noch drohenden Endlager mit den weiteren Atomanlagen in der Region: Im Gorlebener Wald stehen zwei nukleare Zwischenlager und eine sogenannte Pilotkonditionierungsanlage. Diese hat den »heißen« Betrieb bislang nicht aufgenommen, könnte aber einmal defekte Castorbehälter reparieren.
Weil die wendländischen Widerständler keine Sankt-Florians-Politik betreiben, mögliche Bedrohungen und Gefahren also nicht auf andere verschieben wollen, unterstützen sie nach Kräften auch auswärtige Initiativen. Zuletzt fuhren Busse aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg zu Kundgebungen gegen die Brennelementfabrik in Lingen und gegen das geplante Atommüllendlager Schacht Konrad in Salzgitter.