Kein leichtes Spiel
In einem »Erzählsalon« erinnern sich Zeitzeugen an die DDR-Spielwarenindustrie im Erzgebirge
Das Urteil über die DDR-Wirtschaft scheint fest gefügt. Eine Veranstaltungsreihe lässt jetzt Verantwortliche aus Betrieben zu Wort kommen – die vieles differenzierter sehen.
Als das Volkseigentum ins Erzgebirge kam, änderte sich erst einmal nichts. »Die Umwandlung«, sagt Sigfrid Wiedemann, »bestand darin, dass alles so weiterging«. Auch nach dem 1. November 1948 wurde in Seiffen Holz gedrechselt, bemalt und zu Spielwaren verarbeitet. Nur, dass vier zuvor private Betriebe nun gemeinsam arbeiteten – als »Volksbetrieb«, wie die Gebirgler ihn nannten. Ein paar Neuerungen gab es aber doch, sagt Wiedemann: eine Kantine etwa, die in einer Waschküche eingerichtet wurde und beliebt war – auch wenn es zuerst nur Rote-Rüben-Suppe gab.
Wiedemann hat nicht nur die Anfänge des neuen Wirtschaftens in der Spielwarenindustrie der sowjetischen Besatzungszone und der DDR miterlebt, sondern auch ihren späteren Aufstieg zu internationaler Größe – und den Absturz nach dem Ende der DDR. Der 1925 Geborene begann als Leiter der Malwerkstatt und war zuletzt Produktionsdirektor im Kombinat Holzspielwaren VERO Olbernhau – einem Firmenverbund, der nicht nur Kinder in der DDR mit formschönem und pädagogisch wertvollem Spielzeug beglückte, sondern auch im Westen: 1985 lag der Exporterlös bei 18 Millionen D-Mark. Im Jahr 1991, als ein Geschäftsführer aus dem Westen die Preise auf das Vierfache erhöhen zu müssen meinte, sank der Absatz auf 2,5 Millionen. Kurz danach war VERO Geschichte.
An diese Geschichte wurde jetzt noch einmal erinnert: bei einem »Erzählsalon« in Olbernhau, bei dem außer Wiedemann auch weitere Direktoren und Werkleiter über die DDRJahre in der Spielwarenindustrie des Erzgebirges berichteten. Die Veranstaltung ist Teil einer Reihe namens »Wirtschaft erzählt«, die der Berliner Verlag Rohnstock Biografien mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung ausrichtet. Sie hatte sich in acht vorangegangenen Veranstaltungen auch Branchen wie der Textilindustrie und dem Instrumentenbau gewidmet; eine abschließende Runde dreht sich am 19. Februar in Weimar um die Konsumgenossenschaften. Im Anschluss sollen die Berichte und Erkenntnisse in Buchform gebracht werden.
In den »Erzählsalons« geht es zum einen darum, Wirtschaft verständlich zu erklären – ohne »Fachchinesisch«, das, wie Verlegerin Katrin Rohnstock sagt, »Misstrauen weckt«. Vor allem jedoch soll ein differenzierterer Blick auf die Wirtschaft der DDR geworfen werden. Sie gilt der dominierenden Sicht zufolge als marode und ineffizient; das »Volkseigentum« wird gern als leere Worthülse und die zentrale Planwirtschaft als Irrweg dargestellt. Viele Beteiligte hätten die Realität indes anders erlebt: vielfältiger, widersprüchlicher. Zugleich gab es bisher wenig Gelegenheit, diese Sicht darzulegen – was für die Einzelnen bedrückend und für die ostdeutsche Gesellschaft insgesamt problematisch sei, sagt Rohnstock. Bei den »Erzählsalons« scheint es zeitweise, als sei ein Ventil geöffnet worden, die Atmosphäre erinnert an Klassentreffen.
Das Bild, das von der DDR-Wirtschaft entsteht, ist dabei durchaus fa- cettenreich und widersprüchlich. Die Verstaatlichung und Zusammenführung vieler vormals kleiner Handwerksbetriebe sorgte in der Spielwarenbranche beispielsweise dafür, dass sie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig war. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei VERO sei »in der Branche führend gewesen«, sagt Joachim Hoyer, der diese ab 1983 geleitet hatte: »Wir mussten uns vor kei- nem verstecken.« Gleichzeitig deutet er an, dass die Zentralisierung auch Schattenseiten hatte: Entfernungen zwischen Teilbetrieben von bis zu 100 Kilometer etwa, was Probleme bei der Auslastung gemeinsamer Anlagen zur Folge hatte. Freilich: In Zeiten der Globalisierung wirken derlei Distanzen fast lächerlich.
Auch die Preispolitik in der DDR sehen viele Beteiligte kritisch; dagegen scheint die strategische Planung bei der Besetzung von Führungspositionen manchem für heute beispielhaft. Unterschiedliche Bewertungen offenbarten die Runden mit Blick auf die verschiedenen Eigentumsformen in der DDR-Wirtschaft. Es werde oft vergessen, dass es lange Jahre ein »kooperatives Miteinander« von staatlichen, halbstaatlichen und privaten Unternehmen gab, sagt Rohnstock, die aber auch anmerkt, dass sie die Verstaatlichungswelle von 1972 für einen »Kardinalfehler« der DDR-Wirtschaftspolitik hält. In der traditionell kleinteiligen Spielzeugindustrie sorgte die Eingliederung in Volkseigene Betriebe (VEB) teils nicht nur für mehr Effizienz, sondern auch für bessere Arbeitsbedingungen. So habe es in einigen der Zwickauer Firmen, die als Hersteller von Modellbahnen im VEB Plasticard aufgingen, bis weit in die 1970er Jahre nur Trockenklos für die Mitarbeiter gegeben, sagt Ulrich Modes, der spätere Werkleiter. Ein anderer Plasticard-Vorläufer, die »Georg Reinhard Franz KG« in AnnabergBuchholz, sei indes bis zur Verstaatlichung 1972 ein funktionierendes Unternehmen mit 240 Arbeitern gewesen, sagt Reinhard Franz, Sohn des damaligen Inhabers. Dessen Enteignung und spätere Degradierung zum Brandschutzinspektor erlebte er als dramatisch: »Man zerschlug das Erbe unserer Vorväter.« Und während Sigfrid Wiedemann mit Blick auf die Reprivatisierungen nach dem Ende der DDR anmerkt, man habe den früheren Eigentümern in Seiffen »einen anständigen Betrieb« zurückgegeben, klagt Franz, die Firma, die er sich mit Mühe von der Treuhand zurückholte, sei nach 18 Jahren VEB-Zeit »nicht schön angerichtet, sondern völlig heruntergewirtschaftet« gewesen.
Heute behauptet sich seine »reifra Kunststofftechnik« auf einem schwierigen Markt gegen harte Konkurrenz aus China – mit noch 25 Mitarbeitern. Ingesamt sind von einst 23 000 Arbeitsplätzen die die DDRSpielwarenindustrie im Erzgebirge und um Sonneberg in Thüringen bot, noch 800 übrig.
Laut der dominierenden Sicht gilt die Wirtschaft der DDR als marode und die Planwirtschaft als Irrweg. Die einst Beteiligten haben die Realität aber in ganz anderer Erinnerung.