Zigaretten weiter in der Hauptrolle
Schon kleine Kinder können zusehen, wie in deutschen Spielfilmen ständig gequalmt wird
Mit dem Verbot der Tabakaußenwerbung hat sich die Bundesregierung viel Zeit gelassen. Wenn es jetzt kommt, bleiben die Kippen trotzdem präsent: in Spielfilmen, auch in öffentlich geförderten.
Da mögen viele tief durchatmen, sich freuen und staunen. Nämlich darüber, dass die Mehrheit der CDU/CSUBundestagsfraktion nach langer Debatte zu einem Verbot der Tabakaußenwerbung bereit scheint. Dann wird Deutschland nicht mehr Europas letztes Land sein, in dem von gewaltigen Plakaten aus der Genuss des Rauchens in die Welt geblasen werden darf. Jahrelang sah die Fraktion zu, wie vehement sich ihr Chef Volker Kauder gegen das Verbot stemmte. Nun, gut vier Monate nach seiner Ablösung, ist es damit vorbei.
Also alles in Ordnung? Nein, keineswegs. Denn auf einem anderen wichtigen, sehr populären Terrain wird die Raucherei ungehemmt wie eh und je gezeigt: in Filmen, etwa in deutschen Spielfilmen. Da wird nach Herzens Lust inhaliert und gepafft, gehustet freilich nicht. Und überhaupt füllt die krankmachende Seite des Qualmens keine Szene.
Was manchen Zuschauern schon aufgefallen sein wird, die scheinbare Nebenrolle, die Zigaretten spielen, hat er sehr oft untersucht: Reiner Hanewinkel, Leiter des Kieler Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung. Sein neuester Befund, veröffentlicht im Heft 11/2018 des Fachblatts »Pneumologie«, stellt fest: In 53 von 61 untersuchten Filmen – das sind 87 Prozent – wird geraucht. Das waren nicht zufällig herangezogene Filme, sondern die 61, die von 2016 bis 2018 für die Lola nominiert wurden, also für den Deutschen Filmpreis, der am besten dotierten und bekanntesten Auszeichnung.
Hanewinkel stößt sich nicht nur an der hohen Quote, sondern auch daran, dass sämtliche 16 Filme Rauchszenen enthielten, die unter der Rubrik FSK-0 keinerlei Altersbeschrän- kung hatten. Schon kleine Kinder können also das Rauchen mitbekommen – als ziemlich normal und ganz alltäglich.
Sind die Kinder älter, so ist es verführerisch, die meist attraktiven Rollenmodelle vieler Schauspieler zu imitieren. Zudem, so der mehrfach ausgezeichnete Psychologe und Soziologe Reiner Hanewinkel, »trägt das Rauchen zu dem Trugschluss bei, es sei in der Gesellschaft weit verbreitet und akzeptiert, was sich wiederum bewusst und unbewusst auf jugendliches Verhalten auswirken kann«. Wie schwer wird es dann, vor dem Rauchen zu warnen? Und damit durchzudringen, dass es, so ein Beitrag im Wissenschaftsmagazin »The Lancet« von 2017, weltweit die häufigste vermeidbare Todesursache ist?
Erwiesen ist auch, dass der Zigarettenkonsum meist im Jugendalter einsetzt. Was Filme vorführen und wozu sie, auch unbewusst, verführen, das kann eine Rolle für spätere Jahre spielen. Dafür ist die Werbung auf Litfasssäulen und Werbetafeln nicht allein ausschlaggebend. Sie muss übrigens auf die bedenklichen Rauchfolgen hinweisen. Für Filme gilt diese Vorschrift nicht. Die stellen, wie Hanewinkel beobachtet hat, »in aller Regel das Rauchen positiv dar«.
Angefangen hat das alles mit frühen Filmen. In Streifen der Weimarer Zeit und danach ging es kaum ohne Pafferei. Marlene Dietrich und Greta Garbo sind dafür bekannte Beispiele. Später gehörten Figuren wie James Bond und Stars wie Sylvester Stallone (der bekam dafür sogar viel Geld) zu den Dauerrauchern. Gegenwärtig sind höchst erfolgreiche Produktionen wie »Fack ju Göhte 2«, »Fack ju Göhte 3«, »Willkommen bei den Hartmanns« und viele andere Renner nicht rauchfrei.
Um das Problem zu lösen (man könnte es wenigstens versuchen), sollte die Altersfreigabe für Spielfilme strenger werden. Muss es sein, fragt Hanewinkel mit Blick auf das Jugendschutzgesetz, Filme mit Rauchszenen bereits von 0 Jahren an freizugeben? Andere Länder, darunter die USA, verbieten das schon lange. Zudem sehen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das USKrebsforschungsinstitut einen klaren Zusammenhang zwischen dem Anschauen von Rauchepisoden in Filmen und den ersten Zigaretten, auch wenn daraus keine lebenslange Abhängigkeit werden muss.
Das deutsche Aktionsbündnis Nichtrauchen fordert schon lange, Filme mit derlei Passagen erst ab 18 Jahren freizugeben. So will es auch die WHO. Die deutschen Verantwortlichen kümmert das nicht. Das gilt auch für die finanzielle Förderung. Für viele Filme gibt es hohe Beträge aus Steuertöpfen. Wenn darin auch Tabak eine Rolle spielt, ist das kein Hindernis für die Förderung.
Unzählige Filme zeigen, wie Zigaretten nach dem Qualmen achtlos auf die Straßen dieser Welt geworfen werden, aus dem Auto, beim Spaziergehen, weg damit. Wozu gibt es die Straßenreinigung? Auch daran wird sich wohl nichts ändern.