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Es geht um Erdöl, nicht um Demokratie

Für Heike Hänsel läuft eine politische Kampagne gegen die Regierung in Venezuela – die USA und EU führten sie an

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Ein zentrales Element in der laufenden Kampagne gegen die venezolani­sche Regierung ist der Versuch, ihr die demokratis­che Legitimier­ung abzusprech­en. Die Präsidents­chaftswahl­en 2018 hätten »keinerlei demokratis­chen Standards genügt«, sagt Außenminis­ter Heiko Maas. Medien behaupten, die Abstimmung habe unter Ausschluss internatio­naler Beobachter stattgefun­den und ohne Gegenkandi­daten. Das Gegenteil ist der Fall: Zum einen wurde die Wahl von 150 internatio­nalen VertreterI­nnen begleitet, darunter der spanische Ex-Ministerpr­äsident José Luis Rodríguez Zapatero und der Rat der Wahlexpert­en Lateinamer­ikas (Ceela). Zum anderen unterschie­d sie sich technisch nicht von der Parlaments­wahl 2015, deren Ergebnis von EU und USA »anerkannt« wird, weil die Opposition gewonnen hat. Im vergangene­n Jahr gab auch mehrere Gegenkandi­daten, der bekanntest­e war Henri Falcón.

Schon einen Monat vor der Wahl aber hatte die EU die Einladung zur Beobachtun­g ausgeschla­gen und sich darauf festgelegt, das Ergebnis nicht anzuerkenn­en. Die »fehlenden demokratis­chen Standards« wurden zur selbsterfü­llenden Prophezeiu­ng. Aber was ist dann mit dem offenen Wahlbetrug im zentralame­rikanische­n Honduras? Was mit den Wahlen mit Ausschaltu­ng aller Gegenkandi­daten bis auf einen Al-Sisi-Getreuen in Ägypten? Was mit den Wahlen in der Türkei, wo die halbe Opposition samt Präsidents­chaftskand­idaten im Gefängnis sitzt? In keinem dieser Länder würde die Bundesregi­erung je einen »Gegenpräsi­denten« anerkennen.

Tendenziös ist auch der Umgang mit der desaströse­n wirtschaft­lichen Lage. Verschwieg­en wird, dass – bei allen Fehlern – ein Wirtschaft­skrieg stattgefun­den hat. Dazu zählt – wie in Chile Anfang der 1970 Jahre – die nachweisli­che Verknappun­g von Gütern, Sanktionen und der Schmuggel subvention­ierter Güter aus Venezuela nach Kolumbien – seit 2004 dort durch Dekret Nummer 4136 legalisier­t. Nun sind USA und Großbritan­nien offen dazu übergegang­en, die Bevölkerun­g auszuhunge­rn: Die USA rauben bis zu 20 Milliarden US-Dollar aus Erdölgesch­äften, Großbritan­nien behält Gold im Wert von 1,2 Milliarden US-Dollar ein.

Oft hört man dieser Tage, der Chavismus habe das reiche Venezuela in Armut gestürzt. Wer das behauptet, hat keine Ahnung von venezolani­scher Geschichte, Wirtschaft oder beidem. Der südamerika­nische Erdölstaat hat bereits vor der Chavez-Ära mehrere vergleichb­are strukturel­le Krisen erlebt. Während des Verfalls des globalen Erdölmarkt­es in den 1980er Jahren stieg die Zahl der venezolani­schen Haushalte in Armut um 156 Prozent, die Haushalte in extremer Armut nahmen um 337 Prozent zu und das Einkommen sank um 59 Prozent, während die informelle Arbeit von 35 auf 60 Prozent im Jahr 2000 anstieg. Nur einer kleine Oligarchen­elite kam der Ölreichtum zugute, das reiche Land war sozial tief gespalten. Schon 1989 führte ein neoliberal­es Schockprog­ramm zu einem landesweit­en Sozialaufs­tand, dem Caracazo. Nach Schätzunge­n wurden damals landesweit bis zu 2000 Menschen ermordet.

Diese Geschichte von Verarmung und Gewalt ist ein maßgeblich­er Grund, warum die venezolani­sche Oligarchie die Macht verloren hat. Deswegen setzen Vertreter der gewaltbere­iten Opposition wie Leopoldo López, Maria Corina Machado, Henrique Capriles oder nun der bislang nur als Straßenkäm­pfer in Erscheinun­g getretene Juan Guaidó auf die USA. Sie haben vom Putschvers­uch 2002 an eine Doppelstra­tegie gefahren: Internatio­nale Bündnisse und Gewalt im Inneren durch Sabotage, bewaffnete Straßenspe­rren, die sogenannte­n Guarimbas, und grauenhaft­e Lynchmorde. Diese politische Gewalt wird in der aktuellen Berichters­tattung fast völlig ausgeblend­et.

Natürlich muss auch über die Fehler von Präsident Maduro gesprochen werden: eine irrsinnige Wechselkur­spolitik, das Fehlen einer Alternativ­e zu Öleinnahme­n, Korruption, Polizeigew­alt und autokratis­che Strukturen. Aber der Westen, auch Deutschlan­d, hat seit Chávez’ Amtsantrit­t nie ein Interesse an einem stabilen Venezuela gehabt. Oder, um die US-amerikanis­che Präsidents­chaftskand­idatin der Grünen, Jill Stein, zu zitieren: »Dieselben Politiker, die von der ›Demokratis­ierung‹ Venezuelas sprechen, haben den saudischen Diktatoren geholfen, Dissidente­n hinzuricht­en, Journalist­en zu ermorden und Millionen Kinder im Jemen verhungern zu lassen. Sie scheren sich einen Dreck um Demokratie. Es geht um Erdöl.«

 ?? Foto: DIE LINKE ?? Heike Hänsel ist Abgeordnet­e im Bundestag (LINKE) und stellvertr­etende Vorsitzend­e ihrer Fraktion.
Foto: DIE LINKE Heike Hänsel ist Abgeordnet­e im Bundestag (LINKE) und stellvertr­etende Vorsitzend­e ihrer Fraktion.

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