Höchst fragwürdige Polizeiarbeit
Bereits die ersten Zeugenaussagen zu den Rocker-Ermittlungen im Kieler Landtag werfen viele neue Fragen auf
In Kiel beschäftigt sich der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Landtages mit der Polizeiarbeit bei Ermittlungen gegen Rockerkriminalität. Es gibt viele Unstimmigkeiten.
Schon die ersten beiden Zeugenbefragungen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) des schleswig-holsteinischen Landtages zur Aufarbeitung offenbar höchst fragwürdiger Polizeiarbeit bei Ermittlungen gegen Rockergruppierungen lassen tief blicken. Aktenmanipulation, Unterdrückung von Beweismitteln, unprofessionelle Hausdurchsuchungen, Rätsel über einen VMann, Polizei-Interna in Rockerbesitz, Mobbingvorwürfe – der Katalog von Unstimmigkeiten bis zu eklatantem Fehlverhalten im Polizeiapparat ist mehr als aufklärungsbedürftig.
Die Vorgänge, die jetzt parlamentarisch untersucht werden, gehen zurück bis ins Jahr 2010, als in den Abendstunden des 13. Januar Bandido-Rocker in Neumünster in einem Schnellrestaurant verfeindete Rocker der die Hells Angels unterstützenden Red Devils mit Messern angriffen. Die Ermittlungen stehen jetzt noch einmal auf dem Prüfstand, nachdem sich zwei mit dem Fall beschäftigte Beamte des Landeskriminalamtes im Nachgang offenbarten und Missstände wie Ungereimtheiten publik machten. Ihr korrektes Verhalten bei den Ermittlungen passte offenbar nicht allen in der Polizeiführungsebene. Die Folge: Ein Beamter wurde von seinem Vorgesetzten gegen seinen Willen aus der »Soko Rocker« abgezogen, der zweite hat wegen seiner Solidarität mit dem geschassten Kollegen ebenfalls die Spezialabteilung verlassen müssen.
Die erstmals 2017 bekannt gewordenen Vorgänge wurden nun von den erfahrenen Kriminalbeamten in einer Befragung durch die PUA-Mitglieder bekräftigt, ja sogar noch um brisante Details ausgeweitet. Was der PUA ans Licht bringt, ist nicht nur ein Affront gegen alle rechtsstaatlichen Prinzipien und rüttelt an der Verantwortung des Innenministeriums, sondern tangiert auch den Justizbereich. Denn den Aussagen der beiden Polizei-Kronzeugen zufolge könnte auch der für Rockerkriminalität zuständige Kieler Staatsanwalt Kenntnis von den nicht vollständigen bzw. abgeänderten Aktenvermerken im Verfahren bezüglich des damaligen Restaurantangriffs ge- habt haben. Die Staatsanwaltschaft rückt somit auch in den Fokus des PUA. Es stellt sich die Frage, warum ein polizeiinterner achtseitiger Ausdruck, der in einem Bandido-Fahrzeug entdeckt wurde und auf dem die Dienstausweisnummer des Beamten zu lesen war, der sie ausgedruckt hatte, 2016 durch die Anklagebehörde geschreddert wurde.
Spannend dürfte die Zeugenanhörung am 18. Februar werden, wenn V-Mann-Führer Sch. befragt wird. Einer der bereits vernommenen Ex-LKABeamten hat zu Protokoll gegeben, dass Sch. bei den Ermittlungen zum Schnellrestaurantangriff und in anderen Verfahren Einfluss genommen habe. Somit gilt es zu klären, ob es in den Reihen der Rocker, vornehmlich der Bandidos, Informanten gegeben hat, wofür einige Indizien sprechen. Das würde den heutigen Landtagspräsidenten Klaus Schlie (CDU) in Bedrängnis bringen, der als Innenminister im April 2010 das BandidosChapter in Neumünster verbieten ließ. Das erste Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte 2003 beim Bundesverfassungsgericht just deshalb, weil sich die herangezogenen Kenntnisse auch aus von NPD-Spitzeln zusammengetragenen Informationen speisten. Das von Schlie ausgesprochene Rocker-Verbot erscheint womöglich also in einem anderen Licht.
CDU-Innenminister Hans-Joachim Grote hatte bereits personelle Konsequenzen auf polizeilichen Führungspositionen veranlasst. Ein von ihm angeforderter Sonderbericht, erstellt durch einen seiner Amtsvorgänger, Klaus Buß (SPD), kam zum Schluss, in der polizeilichen Arbeit habe es vereinzelt Verfehlungen gegeben, sie seien aber nicht systematisch gewesen, weshalb man auch von keiner Affäre, geschweige denn von einem Skandal sprechen könne. Diese Erkenntnis könnte durch die PUA-Aufklärung gehörig ins Wanken geraten.
Zur zweiten öffentlichen PUAZeugenvernehmung im Landtag erschien mit Peter B. übrigens ein illustrer Gast auf den Besucherplätzen. Der 45-Jährige war zwischenzeitlich NPD-Landesvorsitzender und Bandidos-Mitglied. Er wurde für die Messerstiche im Schnellrestaurant zu einer dreieinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Gerüchte, B. sei nicht nur Neonazi und Krimineller, sondern eben auch ein V-Mann.
Rund 100 Zeugen sollen dem Ausschuss nun Rede und Antwort stehen.