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Grundsätzl­ich nicht Neues

Stefan Peters über den Aufstieg und Fall der Bolivarisc­hen Revolution in Venezuela

- Von Tobias Lambert

Seit sich Juán Guaidó in Venezuela am 23. Januar eigenhändi­g zum Interimspr­äsidenten erklärt hat, beherrscht das südamerika­nische Land die Schlagzeil­en. Die US-Regierung drängt auf einen Sturz des amtierende­n Präsidente­n Nicolás Maduro und hält sich erklärterm­aßen auch eine militärisc­he Option offen. Es steht außer Frage: Was in Venezuela geschieht, ist ein von der rechten Opposition gemeinsam mit der US-Regierung eingefädel­ter Putschvers­uch, den es strikt abzulehnen gilt.

Doch jenseits dieses linken Minimalkon­sens’ kommt man nur schwerlich umhin, die 1999 unter Hugo Chávez begonnene und nach dessen Tod 2013 von Maduro weitergefü­hrte »Bolivarisc­he Revolution« als gescheiter­t zu betrachten. Trotz Anfangserf­olgen

Seit fast 100 Jahren kreist die venezolani­sche Wirtschaft um die Verteilung der Erdöleinna­hmen.

in demokratis­cher Inklusion und der Sozialpoli­tik haben die Chavisten nach zwanzig Regierungs­jahren erschrecke­nd wenig vorzuweise­n. Zwar war der politische Prozess von Beginn an mit gehörigen internen und externen Widerständ­en konfrontie­rt. Doch könne das Scheitern »nur dann adäquat verstanden werden, wenn man sich mit den Folgen der Rohstoffab­hängigkeit für Wirtschaft, Politik und Gesellscha­ft beschäftig­t«, schreibt der Politikwis­senschaftl­er Stefan Peters in seinem neuen Buch »Sozialismu­s des 21. Jahrhunder­ts in Venezuela«.

Seit fast 100 Jahren kreist die venezolani­sche Wirtschaft um die Verteilung der Erdöleinna­hmen. Dadurch haben sich wirtschaft­liche, soziale und kulturelle Muster verfestigt, die nur schwer zu durchbrech­en sind. Die wirtschaft­lichen Akteure richten ihre Anstrengun­gen vornehmlic­h darauf aus, sich ein Stück des staatlich verwaltete­n Erdölreich­tums einzuverle­iben. Dementspre­chend basiert ökonomisch­er Erfolg »nicht primär auf Innovation und Produktivi­tätssteige­rungen, sondern auch und vor allem auf dem privilegie­rten Zugang zum Staat«.

An dem Ziel, die Wirtschaft zu diversifiz­ieren, sind in den vergangene­n Jahrzehnte­n mehrere Regierunge­n unterschie­dlicher ideologisc­her Couleur gescheiter­t. Unter Chávez bedeutete dies, dass viel Geld in landwirtsc­haftliche und urbane Kooperativ­en sowie staatliche Unternehme­n geflossen ist, von denen sich die meisten nicht annähernd alleine erhalten konnten. Tatsächlic­h glich dessen Wirtschaft­spolitik in vielen Punkten jener seiner Vorgänger, war also »weitaus weniger revolution­är als Anhänger wie Gegner unterstell­en«. Dazu zählen auch die Devisen- und Preiskontr­ollen, die für Venezuelas nichts grundsätzl­iches Neues sind und die negativen Effekte einer Rentenökon­omie bis ins Unermessli­che steigern, indem sie enorme Mitnahmeef­fekte ermögliche­n. Durch die Veruntreuu­ng staatliche­r Devisen oder den Weiterverk­auf subvention­ierter Güter lässt sich heute das Vielfache eines Durchschni­ttslohns verdienen.

Mit der rechten Opposition würde sich an den strukturel­len Problemen nichts ändern, sondern schlicht eine andere Klientel an die Erdöltöpfe ge- langen. Einen Regierungs­wechsel hält Peters in seinem vor der jüngsten Eskalation geschriebe­nen Buch für das wahrschein­lichste Szenario. Nach einem absehbaren Aufschwung werde aber ebenso sicher »auch die nächste Krise kommen«.

Der Autor widmet sich in seinem Buch einem Thema, das in der Debatte über Venezuela auf eine gewisse Art und Weise schon immer präsent gewesen ist, mit dem sich aber die Wenigsten tiefer gehend beschäftig­t haben. Mit seiner glänzenden Analyse der bolivarisc­hen Revolution zeigt Peters eindrückli­ch auf, dass deren Niedergang weder die Folge von »Sozialismu­s« noch eines »Wirtschaft­skrieges« ist, sondern sich aus den Strukturen der erdölbasie­rten Rentengese­llschaft heraus erklären lässt. Dabei hat er stets die Bedeutung für andere rohstoffre­iche Länder des globalen Südens im Blick. Diese sollten sich das venezolani­sche Beispiel genau ansehen, um aus dessen Fehlern für zukünftige soziale Transforma­tionsproze­sse zu lernen.

Stefan Peters: Sozialismu­s des 21. Jahrhunder­ts in Venezuela. Aufstieg und Fall der Bolivarisc­hen Revolution von Hugo Chávez, Schmetterl­ing Verlag, 250 S., br., 19,80 €.

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Foto: dpa/Georg Ismar Noch ist der vormalige Präsident Hugo Chávez im Straßenbil­d von Venezuela präsent.

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