Sozialpartner mit Flügeln
Hicks, Hacks, Haudrauf und Humanität: »Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt« erklärt den Kapitalismus
Die unbestreitbare Schönheit dieses Films konzediert, scheint es nicht verkehrt, anstelle einer Rezension die gesamte Reihe in Blick zu nehmen. Regisseur Dean DeBlois selbst gibt an, dass er mit den drei Filmen eine übergreifende Story erzählen will. Gelungen ist ihm allerdings viel mehr als das. »Drachenzähmen« zeichnet, vielleicht unwillentlich, ein Sittenbild dieser Epoche. Im Kunstwerk decken sich Absicht und Ergebnis nie ganz. Erzähler packen die Welt oft intuitiv und könnten es nicht begrifflich machen. Zum anderen folgen sie der Logik des Erzählens, wodurch sie unvermeidlich Bedeutung herstellen. »In der Kunst«, schreibt Peter Hacks, »verändern Sachverhalte ihr Wesen; sie hören auf zu sein und fangen an zu bedeuten.« Wie die Literatur, so übersetzt auch der Film Strukturen der Wirklichkeit in Ideenstrukturen. Die Frage ist nicht, ob, sondern wie gut er das tut.
Eine Absicht DeBlois’ war wohl, eine komplexe Fabel übers Erwachsenwerden zu schreiben; das gelingt ihm auf intelligente, reife, ironische Weise. Im ersten Teil lernen wir Berk kennen, ein Dorf rauer Wikinger, die seit je gegen Drachen kämpfen. Ausgerechnet Hicks aber, der Sohn des Häuptlings Haudrauf, schlägt aus der Art. Körperlich eher schmal, liegt ihm zudem das Töten nicht. Beim Versuch, sich im Kampf zu beweisen, trifft er auf den Drachen Ohnezahn, der zur besonders raren Gattung der Nachtschatten gehört. Hicks kann ihn nicht töten, und so freunden sie sich an. Der Junge erfindet die Kunst des Drachenzähmens. Im Finale töten die Wikinger gemeinsam mit einer Drachenschar einen riesigen Alphadrachen, der die Kreaturen zu den Angriffen auf die Menschen zwingt.
Es erinnert ein wenig an Peter Hacks’ »Das musikalische Nashorn«. Auch dort lebt ein auffällig unmännlicher, eher musisch, intellektuell, technisch orientierter Jüngling unter Kriegern, die ihn nicht anerkennen, bis er ihnen schließlich beibringt, dass es auch weiche Formen des Kampfes gibt. Die Gemeinschaft wächst an ihrem (begabten) Außenseiter.
Im zweiten Teil der Filmreihe wächst Hicks selbst, in die Rolle des Erwachsenen nämlich. Seine Idee, Drachen zu domestizieren, ist jetzt etabliert, und Haudrauf bereitet ihn auf seine Nachfolge vor, während die Kreaturen vom Drachenjäger Drago bedroht werden. Hicks’ totgeglaubte Mutter kehrt zurück, doch die drei sind nur kurz vereint, denn Haudrauf stirbt im Kampf. So rochiert die äußerliche Erziehungsinstanz mit einer Hicks verbundenen, die seine neuen Werte immer schon teilte; Außenseiter und Gesellschaft wachsen organisch zusammen.
Der dritte Teil schließlich erzählt von der Unvermeidlichkeit des Lösens beim Erwachsenwerden. Hicks gerät gegenüber Ohnezahn selbst in die Elternposition. Er muss erkennen, dass Liebe zu den Kindern die Entscheidung einschließt, sie gehen zu lassen. Die ambivalente Wehmut zieht sich in einem poetischen Satz zusammen, der das noch eben im Filmgeschehen sehr Gegenwärtige mit einem Cut in weite Vergangenheit rückt: »Es gab eine Zeit, da hatten wir Drachen.«
Auf der psychologischen Ebene kommt unterdes eine gesellschaftliche zu sitzen, denn das Verhältnis von Wikingern und Drachen hat sozialen Charakter. Hicks bringt seinem Dorf bei, dass man Drachen nicht bekämpfen muss, weil man sie auch zähmen kann. Doch ist Gezähmtwerden kein freiwilliger Vorgang, und die Freundschaft von Hicks und Ohnezahn, ebenso wie die eines Halters mit seinem Hund, immer schon belastet. Das nicht auszusprechen, ehe es am Ende des dritten Films doch Thema wird, ist eine Pointe der Reihe. Schritt für Schritt wird die Illusion zerlegt. Schon im zweiten Teil hatte Hicks die asymmetrische Freundschaft dem Eigennutz untergeordnet: »Hat man erst mal seine Treue gewon- nen, gibt es nichts, was ein Drache nicht für einen tun würde.« Am Ende des dritten Teils wächst dieses Wissen in praktische Konsequenz hinüber; Hicks gibt die Drachen frei: »Ihr habt euch lange um uns gekümmert. Jetzt müsst ihr euch um euch selbst kümmern.«
Derart sozial gefasst beginnt die Story bei etwas – dem dauerhaften Krieg der Drachen und Wikinger –, das der ursprünglichen Akkumulation gleicht, einem vorkapitalistischen Zustand also, in dem das Wirtschaften vielfach noch unmittelbare Gewaltform hat. Im Verhältnis von Kapital und Arbeit dann werden die Lohnarbeiter – zuvor noch freilaufende Bauern, Vagabunden, Konkurrenten – eingefangen und, nunja: domestiziert. Die Domestizierung hat zwei Seiten: Sie ist eine weiche Form der Unterdrückung, und sie bedeutet, dass der Unterdrückte die Perspektive des Unterdrückers zur eigenen macht. Beides scheint unmittelbar durch das Kapitalverhältnis gegeben, doch was die graduelle Steigerung innerhalb des Verhältnisses bedeutet, lässt sich an der Arbeitswelt von heute ablesen, wo das Proletariat mehr Rechte genießt als dereinst, doch nicht mehr bloß zu arbeiten, sondern sich zu identifizieren, sogenannte Firmenphilosophien zu lernen, kreativ zu sein hat bei Bewerbungen und anderen Formen der geistigen Unterwerfung. Kurzum, die Drachen werden Sozialpartner.
In diesem Zusammenhang lässt sich der Sieg über den Alphadrachen als Sieg gegen den aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Sozialismus deuten. Der Alpha hetzt seinesgleichen gegen die Menschen auf, obgleich die Drachen es bei den Menschen besser hätten. So in der Tat nahm der Kapitalismus seinen Kampf gegen die RGW-Staaten wahr: Seine Unterdrückung sei eigentlich human, die Gleichheit da drüben eigentlich Unterdrückung.
Die Sequels von »Drachenzähmen leicht gemacht« lassen den Kalten Krieg hinter sich; die Differenz von liberaler und autoritärer Spiel- art des Kapitalismus wird geopolitisch. Wie die NATO-Staaten haben Hicks und seine Freunde sich zur Aufgabe gemacht, ihre Lebensweise allenthalben durchzusetzen, und befreien Drachen aus der Gefangenschaft anderer Menschen. Ihr Interventionismus aber wird im dritten Teil der Filmreihe entmutigt, weil sie mit einem vollends destruktiven Feind konfrontiert sind. Die USamerikanische Außenpolitik versteht sich spätestens seit 2001 zuerst als Abwehrkampf und leugnet ihren expansiven Charakter. Im Islamismus hat sie einen Feind, der sich aller Rationalität verweigert, was sich in der Filmreihe an der Bösewicht-Klimax von Drago zu Grimmel zeigt. Drago will Drachen noch fangen, Grimmel will sie einfach brennen sehen. Hicks’ Suche eines geheimen Orts für sein Lebensmodell drückt somit die Verunsicherung des Kapitalismus an sich selbst aus. Folgerichtig kann das nur in der Auflösung enden, doch auch hier nicht ohne ideologische Verzerrung, insofern das Freigeben der Drachen ohne Machtwechsel, aus freier Einsicht der Unterdrücker passiert.
Dieses kleine, scheinbar harmlose Franchise serviert nicht weniger als eine kurze Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, interpretiert von ihr selbst. Der englische Titel »How to Train Your Dragon« ist exemplarisch, denn es heißt unehrlicherweise nicht »tame«, sondern »train«, doch ehrlicherweise »your« und nicht »a«. Ideologie hat die Eigenschaft, Wahrheit so geschwätzig zu verzerren, dass sie wiederum preisgibt, was sie verdeckt. Ein Grund für die Beliebtheit der drei Filme liegt darin, dass sie dennoch ein hohes Maß an Wirklichkeit enthalten. Wir lieben gute Geschichten und lieben es noch mehr, wenn darin Fragen verhandelt werden, die von Belang sind.
Dieses kleine, scheinbar harmlose Franchise serviert nicht weniger als eine kurze Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, interpretiert von ihr selbst.
»Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt«, USA 2019. Regie/Drehbuch: Dean DeBlois. Darsteller: Jay Baruchel, Cate Blanchett, Jonah Hill. 104 Min.