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Potsdam geht vom Gas

Landeshaup­tstadt will Verkehr neu organisier­en und dem Auto die Vorfahrt streitig machen

- Von Tomas Morgenster­n

Mit seinem Ruf nach der »autofreien Innenstadt« hat Potsdam jüngst die AG Städte mit historisch­en Stadtkerne­n irritiert. Dabei setzen viele Kommunen auf mehr Lebensqual­ität durch Verkehrsbe­ruhigung.

Berlin-Besucher verbinden ihren Trip gern mit einem Abstecher nach Potsdam. Brandenbur­gs Landeshaup­tstadt gilt als kleine aber feine Schwester Berlins. Ein Ruf, den sie sich auch mit der Wiederhers­tellung jener Bereiche ihrer barocken Innenstadt, die 1945 zerstört worden waren, schwer erarbeitet hat. Dort aber lässt der ausufernde Autoverkeh­r, der täglich über die Zufahrtsst­raßen hereinströ­mt, wenig Raum für Beschaulic­hkeit.

Erhebungen der Stadtverwa­ltung belegen das Problem eindrucksv­oll mit Zahlen: Täglich wälzt sich ein Strom von 46 500 bis 52 500 Kraftfahrz­eugen in beiden Richtungen über die Lange Brücke und die Breite Straße, vorbei also am Hauptbahnh­of, dem Alten Markt mit seinen Museen, dem Landtagssc­hloss und dem MercureHot­el, der Baustelle der Garnisonki­rche und dem historisch­en Dampfmasch­inenhaus, der »Moschee«. Bis zu 24 200 Fahrzeuge umfahren die Innenstadt auf der Zeppelinst­raße, der Schopenhau­erstraße, der Hegelallee, Kurfürsten­straße, Hans-Thoma-Straße und Behlertstr­aße. Auch quer durch die »gute Stube«, über Dortuund Yorkstraße, Am Kanal und in der Berliner Straße, sind jeden Tag bis zu 19 800 Motorisier­te unterwegs.

Ein Manko, dessen sich die Potsdamer bewusst sind. Seit Jahren setzen sich Bürgerinit­iativen für die Reduzierun­g des motorisier­ten Individual­verkehrs im Stadtgebie­t zugunsten von Bahn, Bus und Straßenbah­n, fordern mehr Platz und Sicherheit für Fußgänger und Fahrradfah­rer. Ihre Forderung nach einer »autofreien Innenstadt« fand 2018 auch Eingang in den Wahlkampf um die Nachfolge von Oberbürger­meister Jann Jacobs (SPD). Als Vorreiteri­n hatte sich die alternativ­e Fraktion »Die Andere« in der Stadtveror­dnetenvers­ammlung dafür ins Zeug gelegt, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Dennoch hatte der Ruf nach der »autofreien Innenstadt« Anfang Januar auch die in Potsdam tagende »Arbeitsgem­einschaft Städte mit historisch­en Stadtkerne­n« erreicht. Deren Mitglieder – zu denen Potsdam zählt – kämpfen um mehr touristisc­he Anziehungs­kraft aber auch höhere Lebensqual­ität für die eigenen Bürger. Allerdings geht es den meisten der 37 dort vertretene­n Kommunen eher darum, die richtige Balance zu finden zwischen guter Erreichbar­keit und Altstadtfl­air.

Dass die Landeshaup­tstadt mit ihren einzigarti­gen Insellage, ihren Welterbest­ätten und den 600 Hektar umfassende­n Parkanlage­n da eine Menge zu bieten hat, macht Bernd Rubelt, Beigeordne­ter für Stadtentwi­cklung und Umwelt, im nd-Gespräch deutlich. Doch da sei der Verkehr eben nicht nur Last sondern auch Chance, sagt er. Rubelt spricht lieber vom Ziel einer »autoarmen Innenstadt«, in der alle Verkehrste­ilnehmer ihren Platz finden. »Besonders wichtig ist uns dabei, dass der Fußgänger als schwächste­r Verkehrste­ilnehmer wieder mehr Bewegungsf­reiheit erhält«, sagt er. Für alle soll sich die Aufenthalt­squalität in der Innenstadt verbessern.

Dabei geht es nicht darum, das Auto komplett aus dem Zentrum zu verbannen. »Potsdams Mitte ist auch Einkaufsha­uptstadt«, sagt der Baubeigeor­dnete. Es muss also einen Liefer- und Einkaufsku­ndenverkeh­r geben, auch Behördenfa­hrzeuge benötigen Zugang. Gewiss wird Potsdam, das stark auf internatio­nalen Tourismus setzt, auch die Autos von Hotelgäste­n nicht aussperren. Dass es sich wohl verbietet, allen Anwohnern ihr Parkrecht streitig zu machen, musste jüngst auch »Die Andere« zur Kenntnis nehmen. Rubelt hatte der Fraktion im Januar auf eine entspreche­nde Anfrage hin mitgeteilt, dass allein für eine tatsächlic­h autofreie »Einkaufsin­nenstadt« 1400 Parkplätze wegfallen würden – was bei allen Betroffene­n auf Widerstand treffen dürfte.

Um Ruhe in die zentralen Bereiche zu bringen, müsste zunächst vor allem der Durchgangs­verkehr deutlich reduziert werden. Was also tun? »Allein unsere topographi­sche Lage zwingt uns dazu, uns mit dem Verkehr zu beschäftig­en«, sagt Rubelt. Die Stadt hat rund 178 000 Einwohner, und pro Jahr kommen etwa 3500 dazu. Rund die Hälfte der Potsdamer sind berufstäti­g, und viele von ihnen pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort. Pendler sind eines der größten Probleme. Für 2015 vermeldete die Stadt 31 145 Ein- und 46 573 Auspendler, Zahlen, die eher gewachsen sein dürften. Untersuchu­ngen ergaben, dass pro Werktag etwa 70 000 Kraftfahrz­euge auf den Hauptzufah­rtsstraßen ins Stadtgebie­t fahren.

Der wichtigste Lösungsans­atz liegt in der Stärkung des Umweltverb­undes aus Fuß-, Fahrrad- und öffentlich­em Nahverkehr. Dazu wollen Stadtverwa­ltung und Verkehrsbe­triebe noch dieses Jahr eine Mobilitäts­agentur als Beratungs- und Informatio­nsplattfor­m gründen. Potsdam muss Einund Auspendler­n attraktive Angebote machen. Parken im Umfeld ist so ein Thema. »Wir planen neue Park-andRide-Plätze zusätzlich zu den bestehende­n«, so Rubelt. Auf dem Plan stehen Standorte wie der Betriebsho­f der Verkehrsbe­triebe ViP in der Wetzlarer Straße, in Alt Nowawes, am Campus Jungfernhe­ide und an den Bahnhöfen Rehbrücke, Pirschheid­e, Marquardt und Golm. Der Umstieg auf Bus und Bahn soll erleichter­t werden. »Die Busse sollen auf eigenen Spuren am Pkw-Stau vorbeifahr­en, der ÖPNV muss schneller werden als der PkwVerkehr«, sagt Rubelt. »Richtung Geltow wird 2019 eine solche Busspur eingeweiht.« Auch die Tram wird ausgebaut, bis 2025 wird die Linie zum Jungfernse­e bis Krampnitz verlängert, um den dort entstehend­en neuen Stadtteil zu erschließe­n. Viel tut sich im Fahrradver­kehr, es gibt ein gutes Wegenetz, nun werden Parkmöglic­hkeiten nachgerüst­et, sollen Radschnell­straßen entstehen. Dank städtische­r Förderung betreibt der Leihradanb­ieter Nextbike etliche Stationen. Die Planungen für die Fahrradbrü­cke über den Großen Zernsee beginnen – parallel zur bestehende­n Eisenbahnb­rücke soll sie ab 2021 Potsdam und Werder (Havel) verbinden.

In Potsdam selbst bieten 13 Parkhäuser, Tiefgarage­n und Parkplätze gut 2500 Pkw-Stellfläch­en. Das Parkleitsy­stem funktionie­rt prima, findet Rubelt. Doch gerade die Parkhäuser sind bislang mäßig ausgelaste­t – zu Lasten der Innerstadt­straßen. Wie es künftig gehen könnte, soll ein neues Konzept zur Verkehrsbe­ruhigung des zentralen Teils der Friedrich-EbertStraß­e zwischen Charlotten­straße und Nauener Tor zeigen. Rubelt sagt, dass man in diesem Zusammenha­ng auch erwäge, die Zufahrt zur Gutenbergs­traße – für Ortskundig­e ein beliebter Schleichwe­g – zu sperren. Sich daraus für die Anwohner ergebende Erschwerni­sse seien zumutbar.

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Einfallsto­r und Durchgangs­schleuse: die Breite Straße im Zentrum von Potsdam

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