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Schlummern­d schlauer

Eine Studie belegt: Lernen im Schlaf ist möglich.

- Von Martin Koch

Mit dem Vokabeller­nen klappt es nicht so gut – eine Studie lässt dennoch hoffen, dass Fortbildun­g in der Waagerecht­en möglich ist.

Vielen gilt der Schlaf als vertane Zeit. Denn Menschen, die schlafen, sind ihres Bewusstsei­ns beraubt und damit zur Untätigkei­t verdammt. Schön wäre es, wenn man im Schlaf wenigstens etwas lernen könnte, zum Beispiel Vokabeln oder Geschichts­daten. In manchen Büchern wird behauptet, dass dies tatsächlic­h möglich sei. Eine angeblich erfolgreic­he Methode hierfür hat der US-amerikanis­che Psychologe Tony Gaschler entwickelt. In seinem Buch »Lernen im Schlaf« verspricht er seinen Lesern: »Alles, was Sie lernen wollen oder müssen, können Sie zum größten Teil im Schlaf erwerben: Sprachen und Wissen jeder Art.«

Andere Schlaffors­cher halten solche weitreiche­nden Versprechu­ngen für nicht einlösbar. Zwar ist Schlafen wichtig, um das im Wachzustan­d Gelernte zu konsolidie­ren. So werden etwa bewusst aufgenomme­ne Informatio­nen in bestimmten Schlafphas­en vom Gehirn rekapituli­ert und auf diese Weise gefestigt sowie mit bereits angelegten Wissensbes­tänden verknüpft. Das Erlernen neuer Inhalte erfordert dagegen Bewusstsei­n und andere physiologi­sche Voraussetz­ungen, die in einem schlafende­n Gehirn nicht gegeben sind. Vielmehr ist das schlafende Gehirn von der Außenwelt abgekoppel­t und reagiert nur sehr eingeschrä­nkt auf äußere Reize. Hinzu kommt eine vermindert­e neuronale Plastizitä­t in Hirnregion­en, die entscheide­nd an Lernprozes­sen beteiligt sind.

In einer jetzt veröffentl­ichten Untersuchu­ng wird an diesem »Dogma« gerüttelt und behauptet, dass Wörter einer fremden Sprache auch im Tiefschlaf bis zu einem gewissen Grade erlernt werden können. Anlass für diese Folgerung ist ein Experiment, das ein Team um die Psychologi­n Katharina Henke vom Institut für Psychologi­e der Universitä­t Bern durchgefüh­rt hat. Dabei bekamen 41 schlafende Personen über Kopfhörer viermal hintereina­nder Wortpaare vorgespiel­t, von denen das erste Wort aus einer Fantasiesp­rache stammte und das zweite die entspreche­nde deutsche »Übersetzun­g« darstellte. Wie zum Beispiel »Tofer – Schlüssel« oder »Guga – Elefant«. Die deutschen Wörter waren dabei so gewählt worden, dass sie mal einen besonders großen, mal einen kleinen Gegenstand bezeichnet­en. Anzumerken bliebe noch, dass die Versuchspe­rsonen nicht wussten, was während des Schlafs mit ihnen geschah.

Nach dem Erwachen testeten Henke und ihre Kollegen das Wissen der Probanden. Zwar waren diese nicht in der Lage, sich aktiv an eines der Fantasiewö­rter zu erinnern. Sie konnten jedoch in 60 Prozent der Fälle die Frage korrekt beantworte­n, ob zum Beispiel das Wort »Guga« etwas Großes und das Wort »Tofer« etwas Kleines bezeichnet­e. So, wie sie es zuvor im Schlaf gehört hatten. Das berichten die Forscher im Fachblatt »Current Biology« (DOI: 10.1016/j.cub.2018.12.038).

Die unbewusste­n Lernerfolg­e hingen allerdings maßgeblich vom Zeitpunkt der akustische­n Beeinfluss­ung im Schlaf ab. Am größten waren sie, wenn das zweite Wort des Paares in einer sogenannte­n Up-state-Phase des Tiefschlaf­s präsentier­t wurde. Diese ist durch eine koordinier­te Aktivität der Gehirnzell­en gekennzeic­hnet und dauert etwa eine halbe Sekunde. Auf jede Up-state-Phase folgt eine Down-state-Phase, in der die Gehirnzell­en ihre Aktivität einstellen. In welcher Phase das Gehirn sich gerade befindet, lässt sich mit einer EEG-Messung feststelle­n.

»Wir nehmen an, dass die Nervenzell­en während der Up-states in der Lage sind, Informatio­nen zu speichern ähnlich wie im Wachzustan­d«, sagt Henke, die mit ihren Kollegen auch die Hirnaktivi­tät der Probanden mittels funktionel­ler Magnetreso­nanztomogr­afie gemessen hat. Dabei stellte sich heraus, dass im Up-state-Tiefschlaf sowohl Spracharea­le als auch der an Lernprozes­sen maßgeblich beteiligte Hippocampu­s aktiv waren. »Diese Strukturen vermitteln die Gedächtnis­bildung also unabhängig vom herrschend­en Bewusstsei­nszustand, unbewusst im Schlaf, bewusst bei Wachheit«, ergänzt Co-Autor Marc Züst.

Obwohl die Möglichkei­t besteht, dass bei der relativ geringen Probandenz­ahl die Ergebnisse des Experiment­s nicht zu verallgeme­inern sind, hat die Veröffentl­ichung ein überwiegen­d positives Echo gefunden. So spricht der Vorsitzend­e der Deutschen Gesellscha­ft für Schlaffors­chung und Schlafmedi­zin, der Münsterane­r Neurologe Peter Young, von einer bahnbreche­nden Studie. »Dies ist eine neue Dimension des Verständni­sses von Schlaf.« Schon länger wisse man, so Young, dass Schlaf zur Verfestigu­ng des zuvor Gelernten beitrage. »Wer abends Flöte spielt, kann das Stück oft morgens besser, weil der Lerneffekt bei gutem Schlaf konsolidie­rt wird.« Dass hingegen auch ohne Bewusstsei­n im Tiefschlaf Assoziatio­nen stattfinde­n, sei neu.

Beschallun­g im Schlaf

Eine mögliche Anwendung dieser Erkenntnis sieht Katharina Henke bei Menschen mit Lernschwie­rigkeiten. Hier könnte eventuell ein zweistufig­es Verfahren zum Einsatz kommen: Im ersten Schritt werden die Betreffend­en im Schlaf durch Beschallun­g zu einer unbewusste­n Aufnahme bestimmter Lerninhalt­e angeregt, die es im zweiten Schritt durch das Lernen im wachen Zustand zu verstärken gilt. Young kann sich außerdem vorstellen, dass dieses Verfahren auch bei der Rehabilita­tion nach Krankheit oder Unfällen von Nutzen ist.

Nach alldem dürfte eine Frage besonders interessan­t sein: Können Menschen im Schlaf tatsächlic­h neue Vokabeln lernen? Hierauf gibt das Experiment keine Antwort. Denn darin wurde nur die Assoziatio­n zu einem gegebenen Wort abgefragt, nicht aber das Wort selbst. Gleichwohl gibt sich Henke optimistis­ch: »In welchem Ausmaß und mit welchen Folgen die Zeit des Schlafens zum Erwerb neuen Wissens genutzt werden kann, wird sich in der Forschung der kommenden Jahre zeigen.«

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Foto: imago/Photocase

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