Schlummernd schlauer
Eine Studie belegt: Lernen im Schlaf ist möglich.
Mit dem Vokabellernen klappt es nicht so gut – eine Studie lässt dennoch hoffen, dass Fortbildung in der Waagerechten möglich ist.
Vielen gilt der Schlaf als vertane Zeit. Denn Menschen, die schlafen, sind ihres Bewusstseins beraubt und damit zur Untätigkeit verdammt. Schön wäre es, wenn man im Schlaf wenigstens etwas lernen könnte, zum Beispiel Vokabeln oder Geschichtsdaten. In manchen Büchern wird behauptet, dass dies tatsächlich möglich sei. Eine angeblich erfolgreiche Methode hierfür hat der US-amerikanische Psychologe Tony Gaschler entwickelt. In seinem Buch »Lernen im Schlaf« verspricht er seinen Lesern: »Alles, was Sie lernen wollen oder müssen, können Sie zum größten Teil im Schlaf erwerben: Sprachen und Wissen jeder Art.«
Andere Schlafforscher halten solche weitreichenden Versprechungen für nicht einlösbar. Zwar ist Schlafen wichtig, um das im Wachzustand Gelernte zu konsolidieren. So werden etwa bewusst aufgenommene Informationen in bestimmten Schlafphasen vom Gehirn rekapituliert und auf diese Weise gefestigt sowie mit bereits angelegten Wissensbeständen verknüpft. Das Erlernen neuer Inhalte erfordert dagegen Bewusstsein und andere physiologische Voraussetzungen, die in einem schlafenden Gehirn nicht gegeben sind. Vielmehr ist das schlafende Gehirn von der Außenwelt abgekoppelt und reagiert nur sehr eingeschränkt auf äußere Reize. Hinzu kommt eine verminderte neuronale Plastizität in Hirnregionen, die entscheidend an Lernprozessen beteiligt sind.
In einer jetzt veröffentlichten Untersuchung wird an diesem »Dogma« gerüttelt und behauptet, dass Wörter einer fremden Sprache auch im Tiefschlaf bis zu einem gewissen Grade erlernt werden können. Anlass für diese Folgerung ist ein Experiment, das ein Team um die Psychologin Katharina Henke vom Institut für Psychologie der Universität Bern durchgeführt hat. Dabei bekamen 41 schlafende Personen über Kopfhörer viermal hintereinander Wortpaare vorgespielt, von denen das erste Wort aus einer Fantasiesprache stammte und das zweite die entsprechende deutsche »Übersetzung« darstellte. Wie zum Beispiel »Tofer – Schlüssel« oder »Guga – Elefant«. Die deutschen Wörter waren dabei so gewählt worden, dass sie mal einen besonders großen, mal einen kleinen Gegenstand bezeichneten. Anzumerken bliebe noch, dass die Versuchspersonen nicht wussten, was während des Schlafs mit ihnen geschah.
Nach dem Erwachen testeten Henke und ihre Kollegen das Wissen der Probanden. Zwar waren diese nicht in der Lage, sich aktiv an eines der Fantasiewörter zu erinnern. Sie konnten jedoch in 60 Prozent der Fälle die Frage korrekt beantworten, ob zum Beispiel das Wort »Guga« etwas Großes und das Wort »Tofer« etwas Kleines bezeichnete. So, wie sie es zuvor im Schlaf gehört hatten. Das berichten die Forscher im Fachblatt »Current Biology« (DOI: 10.1016/j.cub.2018.12.038).
Die unbewussten Lernerfolge hingen allerdings maßgeblich vom Zeitpunkt der akustischen Beeinflussung im Schlaf ab. Am größten waren sie, wenn das zweite Wort des Paares in einer sogenannten Up-state-Phase des Tiefschlafs präsentiert wurde. Diese ist durch eine koordinierte Aktivität der Gehirnzellen gekennzeichnet und dauert etwa eine halbe Sekunde. Auf jede Up-state-Phase folgt eine Down-state-Phase, in der die Gehirnzellen ihre Aktivität einstellen. In welcher Phase das Gehirn sich gerade befindet, lässt sich mit einer EEG-Messung feststellen.
»Wir nehmen an, dass die Nervenzellen während der Up-states in der Lage sind, Informationen zu speichern ähnlich wie im Wachzustand«, sagt Henke, die mit ihren Kollegen auch die Hirnaktivität der Probanden mittels funktioneller Magnetresonanztomografie gemessen hat. Dabei stellte sich heraus, dass im Up-state-Tiefschlaf sowohl Sprachareale als auch der an Lernprozessen maßgeblich beteiligte Hippocampus aktiv waren. »Diese Strukturen vermitteln die Gedächtnisbildung also unabhängig vom herrschenden Bewusstseinszustand, unbewusst im Schlaf, bewusst bei Wachheit«, ergänzt Co-Autor Marc Züst.
Obwohl die Möglichkeit besteht, dass bei der relativ geringen Probandenzahl die Ergebnisse des Experiments nicht zu verallgemeinern sind, hat die Veröffentlichung ein überwiegend positives Echo gefunden. So spricht der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, der Münsteraner Neurologe Peter Young, von einer bahnbrechenden Studie. »Dies ist eine neue Dimension des Verständnisses von Schlaf.« Schon länger wisse man, so Young, dass Schlaf zur Verfestigung des zuvor Gelernten beitrage. »Wer abends Flöte spielt, kann das Stück oft morgens besser, weil der Lerneffekt bei gutem Schlaf konsolidiert wird.« Dass hingegen auch ohne Bewusstsein im Tiefschlaf Assoziationen stattfinden, sei neu.
Beschallung im Schlaf
Eine mögliche Anwendung dieser Erkenntnis sieht Katharina Henke bei Menschen mit Lernschwierigkeiten. Hier könnte eventuell ein zweistufiges Verfahren zum Einsatz kommen: Im ersten Schritt werden die Betreffenden im Schlaf durch Beschallung zu einer unbewussten Aufnahme bestimmter Lerninhalte angeregt, die es im zweiten Schritt durch das Lernen im wachen Zustand zu verstärken gilt. Young kann sich außerdem vorstellen, dass dieses Verfahren auch bei der Rehabilitation nach Krankheit oder Unfällen von Nutzen ist.
Nach alldem dürfte eine Frage besonders interessant sein: Können Menschen im Schlaf tatsächlich neue Vokabeln lernen? Hierauf gibt das Experiment keine Antwort. Denn darin wurde nur die Assoziation zu einem gegebenen Wort abgefragt, nicht aber das Wort selbst. Gleichwohl gibt sich Henke optimistisch: »In welchem Ausmaß und mit welchen Folgen die Zeit des Schlafens zum Erwerb neuen Wissens genutzt werden kann, wird sich in der Forschung der kommenden Jahre zeigen.«