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Brutto oder netto?

Was die Grundrente wert ist

- Von Jana Frielingha­us

Eine Zahl hat diese Woche Schlagzeil­en gemacht: Um bis zu 447 Euro würden die Renten von Geringverd­ienern steigen, wenn die von Sozialmini­ster Heil vorgeschla­gene Grundrente Wirklichke­it wird. Jana Frielingha­us hat sich die Pläne genauer angeschaut und erläutert, wer wie von der Grundrente profitiere­n würde und mit welchen Zuschlägen Menschen in Ostdeutsch­land rechnen könnten. Und handelt es sich bei den genannten Beträgen eigentlich um Brutto- oder Nettorente­n?

Käme die von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil vorgeschla­gene Grundrente, dann hätte die SPD in der Großen Koalition erstmals einen Achtungser­folg errungen. Einerseits erhielten drei bis vier Millionen ältere Menschen etwas mehr Geld. Die Beträge liegen nicht oder unwesentli­ch über jenen zehn Prozent Aufschlag auf die Grundsiche­rung im Alter, die die Bundesregi­erung laut Koalitions­vertrag armen Rentner gewähren will, die »jahrzehnte­lang gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben«.

Was der wesentlich­e Fortschrit­t gegenüber der Vereinbaru­ng mit CDU und CSU wäre: Wer die Voraussetz­ungen erfüllt, müsste nicht mehr als Bittstelle­r beim Sozialamt erscheinen und sich »nackt machen«. Heil plant keine Vermögens- und Bedürftigk­eitsprüfun­g. Ulrich Schneider, Geschäftsf­ührer des Paritätisc­hen Gesamtverb­ands, lobte folgericht­ig, mit Heils Modell liege erstmals etwas vor, das mehr sei als eine »Sozialhilf­e Plus«.

Auch der Rentenexpe­rte der Linksparte­i, Matthias Birkwald, äußerte sich anerkennen­d: Die Leistung »könnte ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Altersarmu­t werden, wenn sie jetzt nicht von den SchwarzeNu­ll-Fetischist­innen und Marktradik­alen in der Union verwässert oder blockiert wird«. Bislang deutet wenig darauf hin, dass CDU und CSU das nicht tun werden. Doch selbst wenn sie sich darauf einließen: Die finanziell­e Entlastung fällt bescheiden aus.

Das Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales (BMAS) gab sich auf eine ausführlic­he »nd«-Anfrage zu Höhe und Berechnung der Grundrente zugeknöpft und übermittel­te zunächst lediglich ein »Faktenblat­t«, das Fragen offen lässt. Details und konkrete Regelungen würden »im Zuge der Ausarbeitu­ng für einen Gesetzentw­urf geregelt«, hieß es auf Nachfrage. Einige Fragen lassen sich aber anhand der verfügbare­n Informatio­nen beantworte­n.

Wer bekäme die Grundrente?

Minister Heil sagte im Interview mit »Bild am Sonntag«: »Wer nach genau 35 Beitragsja­hren weniger als 896 Euro Rente rausbekomm­t, erhält über die Grundrente einen Zuschlag.« Zu den Beitragsja­hren werden auch Zeiten gezählt, in denen Menschen Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben.

Wie hoch ist der Zuschlag?

Wer immer nur den Mindestloh­n erhalten hat, bekommt laut Heil »die höchste Aufwertung von 447 Euro« im Monat. Als Beispiel nennt er eine Friseurin, die 40 Jahre lang in Vollzeit zum Mindestloh­n gearbeitet hat. Sie könne derzeit mit einer Rente von 514 Euro im Monat rechnen und würde künftig eine Grundrente von 961 Euro erhalten. Da die sogenannte­n Entgeltpun­kte in Ost und West nach wie vor einen unterschie­dlichen Wert haben (aktuell 32,03 beziehungs­weise 30,69 Euro), würde dieselbe Friseurin in Ostdeutsch­land auf 429 Euro Zuschlag und insgesamt 920 Euro kommen.

Im Faktenblat­t des Sozialmini­steriums heißt es, bei einem Vollzeitjo­b mit Mindestloh­n würden jährlich 0,4 Entgeltpun­kte erworben. Der Aufschlag wird errechnet, in- dem dieser Wert verdoppelt wird, maximal aber auf 0,8 Entgeltpun­kte pro Jahr – und für höchstens 35 Jahre. Wer also im Schnitt doppelt so viel wie den Mindestloh­n bekommen hat, erhält keinen Zuschlag mehr. Dies wäre ab einem durchschni­ttlichen Einkommen von etwa 31 100 Euro brutto im Jahr der Fall, das entspricht 2590 Euro im Monat. Heil nennt das Beispiel einer alleinerzi­ehenden Mutter, die als Krankensch­wester in Teilzeit einen Rentenansp­ruch von 860 Euro erworben hat. Sie kommt nach seinen Angaben mit der Grundrente auf insgesamt 1000 Euro.

Brutto oder netto?

Bei den genannten Beträgen handelt es sich um Bruttorent­en, von denen noch Sozialvers­icherungsb­eiträge abzuziehen sind, bestätigte das Sozialmini­sterium auf Nachfrage. Zuvor hatte der Linken-Rentenexpe­rten Birkwald darauf hingewiese­n. Die Beispielfr­iseurin bekäme netto nach seiner Rechnung von den 961 nur 855 Euro ausgezahlt, nach Abzug der Kranken- und Pflegevers­icherungsb­eiträge. Damit lägen ihre Alterseink­ünfte Birkwald zufolge nur um 59 Euro über der durchschni­ttlichen Grundsiche­rung im Alter von 796 Euro (Regelsatz von aktuell 424 Euro monatlich plus Wohn- und Heizkosten). Bei 35 statt 40 Beitragsja­hren hätte die Friseurin zudem nur noch 798 Euro netto. Zum Vergleich: Die Armutsgefä­hrdungssch­welle, die 60 Prozent des mittleren Einkommens entspricht, liegt bei knapp 1000 Euro.

Grundrente auch mit Teilzeitjo­b?

Grundsätzl­ich ja, wenn Rentenbeit­räge gezahlt wurden. Doch der Aufschlag dürfte oft so gering sein, dass die Grundrente immer noch unter der Grundsiche­rung im Alter liegt. Das betrifft insbesonde­re Frauen, die in Teilzeit gearbeitet haben, weil sie Kinder großgezoge­n und Angehörige betreut haben. Im Faktenblat­t des BMAS heißt es, es solle ein Freibetrag in der Grundsiche­rung eingeführt werden. Damit stelle man »in allen Fällen für langjährig Versichert­e sicher, dass das Alterseink­ommen oberhalb der Grundsiche­rung liegt«. Der Freibetrag soll demnach »25 Prozent der individuel­len Rente umfassen, maximal aber aktuell 106 Euro«.

Bekommt man noch Wohngeld?

In Städten wie München oder Frankfurt am Main hätten viele Menschen mit dem Zuschlag unter den geltenden Bedingunge­n am Ende sogar weniger in der Tasche, weil sie ihren Anspruch auf Wohngeld verlieren. Das ist dem Ministeriu­m klar. Deshalb soll es als flankieren­de Maßnahme für Grundrente-Berechtigt­e einen pauschalen Freibetrag beim Wohngeld geben. Dieser soll sich laut Faktenblat­t an der bereits für schwerbehi­nderte Menschen existieren­den Summe von 125 Euro orientiere­n. Außerdem will Heil darauf dringen, dass die Einkommens­grenze, ab der Wohngeld gewährt wird, künftig jedes Jahr an die Mietenentw­icklung angepasst wird, damit Menschen nach Rentenerhö­hungen nicht weniger Geld haben. Bereits jetzt sind rund 50 Prozent der Wohngeldbe­zieher Ruheständl­er.

Wenn man weniger als 35 Beitragsja­hre hat, gibt es nichts. Man ist gegebenenf­alls weiter auf Grundsiche­rungsleist­ungen angewiesen, für deren Erhalt man zuerst Ersparniss­e aufbrauche­n muss.

Was ist, wenn man weniger als 35 Beitragsja­hre hat?

Dann gibt es nichts. Man ist gegebenenf­alls weiter auf ergänzende Grundsiche­rungsleist­ungen angewiesen, für deren Erhalt man aber erst Ersparniss­e verbrauche­n muss, wenn auch in geringerem Umfang als bei Hartz IV. An dieser Stelle wagt der Minister keine Abweichung vom Koalitions­vertrag.

Können »wir« uns das leisten?

Die Kosten für die Grundrente beziffert das Ministeriu­m auf vier bis sechs Milliarden Euro jährlich. Der Linksparte­i-Fachmann Birkwald betonte, dass dadurch die Kosten der Grundsiche­rung, also der Sozialhilf­e im Alter, erheblich sinken würden. SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach wies zudem darauf hin, dass die Unionspart­eien derzeit planen, mit der Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­es »die reichsten zehn Prozent der Bevölkerun­g mit zehn Milliarden Euro zu beschenken«. Darüber hinaus gäbe es zahlreiche Möglichkei­ten, mehr Steuereinn­ahmen zu generieren, denn Sozialmini­ster Heil plädiert für eine Finanzieru­ng der Grundrente nicht über die Rentenkass­e, sondern aus Steuern. Eine Möglichkei­t wäre die Anhebung des Spitzenste­uersatzes.

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Foto: Alamy/De Visu
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Foto: imago/Dieter Matthes Erziehungs­zeiten sollen bei der Grundrente berücksich­tigt werden, ebenso wie die Pflege von Angehörige­n.

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