nd.DerTag

Schlaf ist Geld

- Regina Stötzel

Vermutlich kann man Christian Lindner in tiefster Nacht aus dem Schlaf reißen und er wird wie aus der Pistole geschossen von sich geben, dass es gerecht sei, wenn Menschen, die ihr Leben lang für ihre Arbeit schlecht bezahlt wurden, auch im Alter arm sind (Seite 3). Doch im Schlaf könnte auch die Lösung dieses Problems liegen, das Herr Lindner und seinesglei­chen darstellen. Einer neuen Studie zufolge kann man doch im Schlaf so einiges lernen, und daher sollte es möglich sein, jemandem eine Wahrheit einzutrich­tern, für die er bei Lichte nicht zugänglich ist: etwa dass »Grundrente, von der man leben kann«, ansatzweis­e etwas mit dem Wörtchen »gerecht« zu tun hat, »Grundrente, von der man nicht leben kann«, dagegen definitiv mit »ungerecht« (Seite 22). Die Details der Versuchsan­ordnung wären noch zu klären, ganz sicher sollte Hubertus Heil in das Experiment einbezogen werden, zum Beispiel um zu erreichen, dass auch Menschen, die keine 35 Jahre für Lohn geackert haben, nicht unnötig darben müssen.

Jedenfalls keimt neue Hoffnung auf, dass sich schlechte Angewohnhe­iten und Überzeugun­gen, nicht nur bei Politikern, mit der richtigen nächtliche­n Beschallun­g besser in den Griff bekommen lassen. »Aggressive­s Verhalten« ist »nicht gut«, »solidarisc­hes Verhalten« ist »gut«, »andere übers Ohr hauen«, das »macht man nicht« – so schwer kann das doch nicht sein! Und sollte auch der Grundkurs in Esperanto nicht den gewünschte­n Erfolg bringen, weil es mit dem Vokabeller­nen im Schlaf nicht klappt, so könnte vielleicht wenigstens die Fähigkeit verbessert werden, Vöglein an ihrem Gesang zu erkennen (»piep, piep, piep« = »kleiner Vogel«/»Spatz«; »aak, aak, aak« = »großer Vogel«/»Rabe«).

Ginge nur nicht alles nach hinten los! Man muss nicht gleich Huxleys »Schöne neue Welt« im Kopf haben und ahnt doch, dass jene, die dem Staat bisher als unnütz erschie- nen, zukünftig schon irgendwie im Schlafe auf tauglich getrimmt werden könnten. Aus den Kinderzimm­ern dürfte statt »Schlaf, Kindchen, schlaf« Business-Chinesisch zu hören sein, weil vielleicht ja doch ... Ganz sicher wird jene vermeintli­ch verlorene Zeit des menschlich­en Lebens, die bisher, abgesehen von Hightech-Matratzen, feinster Bettwäsche und Anti-Schnarch-Vorrichtun­gen, kapitalist­isch nur rudimentär verwertet wurde, eine neue Branche florieren lassen. »Learning by Sleeping« wird ganze Abteilunge­n in den einschlägi­gen Medienkauf­häusern füllen, und zweifellos werden Menschen dank »Sleep-Tracking« ihre Umwelt mit Informatio­nen darüber drangsalie­ren, welche nächtliche­n Lernerfolg­e sie vorzuweise­n haben (Seite 21). Eine App, die anderen in Echtzeit mitteilt, wie effektiv man seine Ruhephase gerade nutzt, ist dann nur eine Frage der Zeit. Schlaf ist Geld, wird die neue Devise lauten. In diesem Sinne: Gute Nacht!

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