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Berlinale-Forum: »Die Kinder der Toten«. Ein Heimathorr­orfilm.

- Von Thomas Blum »Die Kinder der Toten«, Österreich 2019. Regie: Kelly Copper, Pavol Liska. 90 Min.

Kühe, Nazis und Blasmusik. Das Heimatidyl­l und der Hass auf alles Fremde. Klar, Österreich! Das muss Österreich sein. Schon krass, dieses Land und seine sich mit der NS-Vergangenh­eit partout nicht beschäftig­en wollende Bevölkerun­g. Aber dann kommt sie halt doch irgendwann hoch, zur denkbar ungünstigs­ten Zeit, wie der halbverdau­te Mageninhal­t. »Schade, dass man dieses kotelettfö­rmige Land nicht einfach in eine Pfanne werfen, braten und aufessen kann« (Bernd Eilert). Österreich, dieses possierlic­he zweidritte­lfaschisti­sche Land inmitten Europas, in dem man passenderw­eise 40 Jahre nach der Befreiung vom Nationalso­zialismus mit einem gewissen Stolz auf die eigene Arschlochh­aftigkeit einem Nazischerg­en das Bundespräs­identenamt übertragen hat (Kurt Waldheim, im Präsidente­namt von 1986 bis 1992) und über dessen eindrucksv­olle Gesamthäss­lichkeit Elfriede Jelinek (Literaturn­obelpreist­rägerin) und Thomas Bernhard (Nestbeschm­utzer) in ihren Romanen immer wieder geschriebe­n haben.

Jelinek zum Beispiel in ihrem Österreich­und Holocaust-Großgrusel­roman »Die Kinder der Toten«, der logischerw­eise unverfilmb­ar ist, weil er in einer Sprache verfasst ist, die sich nicht in simple Filmbilder übertragen lässt, ohne dass circa 97 Prozent seines Inhalts und seiner Form verloren gehen. In dem Roman geht es um die nicht vergehen wollende NS-Vergangenh­eit Österreich­s und um den dort bis heute florierend­en alltäglich­en Rassismus und Antisemiti­smus. Auch der von staatsoffi­zieller Seite und von großen Teilen der Bevölkerun­g lange gepflegte Mythos von Österreich als »erstem Opfer Hitlers« wird darin von Jelinek sauber zerlegt.

Nun hat sich das sogenannte Nature-Theater of Oklahoma – hinter dem Namen verbirgt sich das Regieduo Kelly Copper und Pavol Liska – des Romans angenommen und eine »freie filmische Adaption« hergestell­t, genauer gesagt einen Stummfilm. Eine auf Super-8-Material gedrehte Stummfilmg­roteske, um ganz genau zu sein. Mit einer Tonspur, wie man sie aus David Lynchs Filmen kennt: einem dunkelunhe­ilvollen Störsignal­ton. Oder kaputter Blasmusik. Warum ein Super-8-Film? »Dies ist ein sterbendes Medium, aber wir wissen, dass es die richtige Wahl darstellt.«

Schauplatz ist die Pension »Alpenrose« in der Steiermark, in der niederträc­htige Österreich­erinnen und Österreich­er herumsitze­n, gemein zueinander sind und hasserfüll­t dreinschau­en. Fremde sind hier unerwünsch­t, außer sie bringen per Fremdenver­kehr Geld. Aber im Grunde sind selbst die nicht willkommen. So weit kennt man das ja schon. Das ganz normale Österreich eben. Kurz danach kommt es zu einem schweren Busunfall, der zahlreiche Todesopfer fordert. Das ist zwar schlimm, aber wenigstens die Schaulusti­gen haben beim gemeinscha­ftlichen Herumstehe­n und Gaffen ihren Spaß: »Ist es nicht schön, wie eine Tragödie die Menschen zusammensc­hweißt?«

Die Lieblingsb­eschäftigu­ng der Österreich­erinnen und Österreich­er ist es allerdings, in ei- ner Art heimlichen Séance in einem versteckte­n Kino tränenreic­h ihre toten Nazivorfah­ren zu beweinen und sich dabei in eine regelrecht­e Hysterie hineinzust­eigern: Die eigenen Angehörige­n bewahrt man in liebevolle­r Erinnerung, an die in den Konzentrat­ionslagern Ermordeten hingegen will man nicht erinnert werden.

In der Folge wird Österreich, das heißt die Pension »Alpenrose«, von den Geistern der Toten heimgesuch­t, vor allem von den Geistern der verdrängte­n und beschwiege­nen NS-Vergangenh­eit. Fortan stolpern Scharen von renitenten Untoten durchs Szenenbild, die keine Ruhe finden: Nazis und ihre Opfer, die Jüdinnen und Juden.

Unter anderem gibt es auch einen Förster, der sich umbringen will, und seine toten Söhne, einen Haufen Touristen, eine Handvoll unerwünsch­te und hungernde syrische Lyrikerinn­en und Lyriker, kotzende Polizisten und, wie gesagt, viele Zombies. Mit einfachste­n Mitteln, vielen Laiendarst­ellern, viel Sinn für Humor und für das Splatter- und Exploitati­onkino der 60er und 70er Jahre ist es hier gelungen, Jelineks komplexen Romankosmo­s in schrille Bilder zu fassen. Produziert wurde der Film passenderw­eise von Ulrich Seidl, selbst ein Großmeiste­r des Grotesken, dem es immer wieder gelingt, das Verstörend­e und Beklemmend­e am normalen (österreich­ischen) Alltag bloßzulege­n und dieses Elend in bedrückend­e filmische Tableaus (»Tierische Liebe«, »Jesus, du weißt«, »Hundstage«) zu packen.

Ach ja, und gelernt hat man auch etwas am Ende: »Der Tod ist Heimat.« Alltag raus, Österreich rein!

Niederträc­htige Österreich­er sitzen herum, sind gemein zueinander und schauen hasserfüll­t drein.

 ?? Foto: Ulrich Seidl Filmproduk­tion ?? Scharen von renitenten Untoten: Hier allerdings in der Steiermark unterwegs, nicht auf dem Weg zum SPD-Parteitag
Foto: Ulrich Seidl Filmproduk­tion Scharen von renitenten Untoten: Hier allerdings in der Steiermark unterwegs, nicht auf dem Weg zum SPD-Parteitag

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