Till Mischko Werbung und Einverleibung emanzipatorischer Inhalte
Wie die Werbung subkulturelle Ästhetiken domestiziert.
Der Erfolg dieser Art von Imagekampagnen zeigt:
Die Propagandamaschine des Neoliberalismus läuft auf Hochtouren. Angetrieben wird sie durch die Einverleibung einst emanzipatorischer Inhalte, entstanden in subkulturellen Bewegungen oder der historischen Avantgarde – wie sogar das Versprechen einer Befreiung von den Zwängen entfremdeter Lohnarbeit.
Hashtag #weilwirdichlieben – wer in den letzten Jahren mit der Berliner U-Bahn gefahren ist, kam an dieser Medienkampagne der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) kaum vorbei. »Alles andere ist Gelaber«, so preist sich die federführende Werbeagentur GUD ironischerweise an. Doch Gelaber oder nicht – es scheint zu wirken. Die Kampagne brachte dem öffentlich-rechtlichen Unternehmen ungeahnte Sympathiewerte ein. Die Agentur selbst erhielt dafür 2016 den »German Brand Award Gold« der privatwirtschaftlich getragenen Stiftung »Rat für Formgebung«. »Die frisch-freche und wunderbar selbstironische Kampagne offenbart eine BVG, die sich auf sympathische Weise selbst auf die Schippe nimmt und damit vor allem bei jungen Menschen genau den richtigen Ton trifft«, heißt es in der Begründung der Jury.
Ganz gleich, ob das schlecht bezahlte und chronisch überlastete Personal der BVG den freundlichen Dienst am Kunden verweigert oder das Schienennetz infolge jahrelangen Missmanagements kurz vor dem Zusammenbruch steht – mittlerweile gibt es kein Übel mehr, das sich nicht mit einem lässigen Spruch hinwegkommentieren ließe.
Die Imagekampagne der Berliner Verkehrsbetriebe wurde so zu einer der wichtigsten Vorreiterinnen des Content-Marketings in der Werbebranche. Statt der Vermarktung des Unternehmens über seine Produkte, zielt diese Technik darauf, Kunden durch unterhaltende Inhalte und aktuelle Informationen zu einer positiven Identifikation mit der Marke zu führen. Zahlreiche Nachahmer haben seither versucht, den Erfolg der Kampagne zu wiederholen und sich als progressives Unternehmen zu profilieren. Die Bandbreite der kostenintensiven Werbeoffensiven reicht von Discounterketten über die Müllabfuhr bis hinein in den öffentlichen Dienst – wichtigstes Werkzeug sind dabei die sozialen Netzwerke. Neben entwaffnender Selbstironie und einer schauderhaften Anbiederung an die schulterzuckende Hipsterkultur urbaner Kreativzentren spielen bei der Strategie der Imagekampagnen vor allem kalkulierte Provokationen eine entscheidende Rolle. Je mehrdeutiger, desto besser.
Diese Strategie verfolgt wohl auch die Bundeswehr, wenn sie unter dem Stichwort #Führen geneigte Interessenten dazu einlädt, dem Vaterland wieder zu einem standesgemäßen Ansehen in der Welt zu verhelfen. Und auch die Nachwuchskampagne der Hamburger Polizei ist ähnlich konzipiert: Vor dem Hintergrund zweier Beamter mit gezogenen Schusswaffen und dem Versprechen »Zielsicher« auf ihren Anzeigetafeln bemüht sie sich um verantwortungsvollen Nachwuchs. Derartige Werbeoffensiven werden gegenwärtig auch von den Exekutivorganen in Berlin, Sachsen-Anhalt und BadenWürttemberg gefahren.
Ist eine der Kampagnen mehr oder minder kalkuliert über das Ziel hinausgeschossen, gehört es zur Aufgabe professioneller Social-Media-Teams, den erwartbaren Shitstorm in den sozialen Netzwerken mit schlagfertigen Sprüchen und abgeklärtem Gestus aufzufangen. Jüngstes Beispiel dafür ist der Discounter Lidl, der in einem Beitrag auf Facebook für Bagels und Donuts warb.
Darüber, prominent platziert, der Slogan »Loch ist Loch«. Nach Beschwerden etlicher Nutzer, die zu Bedenken gaben, dass diese Formulierung frauenverachtende Konnotationen aufrufe, löschte Lidl den Beitrag und entschuldigte sich bei »all denen (...) die sich durch den Post verletzt fühlen«. Der Werberat hat zwar nun ein Beschwerdeverfahren eröffnet, doch ob es Lidl letztlich finanzielle Einbußen kosten wird, ist zu bezweifeln. Erreicht haben sie hingegen Aufmerksamkeit für das Unternehmen und ein Fo- rum für jene, die sich nun in ihrer Meinung über »empfindliche Feministinnen« bestärkt fühlen.
Vor dem Hintergrund ähnlicher Entgleisungen stellte das fachkundige Onlinemagazin »Business of Content« bewundernd fest: »Es gehört schon Mut dazu, sich freiwillig einem Shitstorm auszusetzen, aber letztendlich lässt sich mit provokanter Werbung auch viel Geld verdienen.« Was zählt, ist allein die Reichweite. Und die wird mittels solcher »Skandale« kostenlos erhöht. Denn: »Statt teuer für Anzeigeplätze in reichweitestarken Medien zu bezahlen, werden die Kampagnen hier in zahlreichen Berichten umsonst platziert und verbreitet.«
Die Ideengeber, die hinter den Methoden und Inhalten des Content-Marketing stecken, sind Produkte einer jungen und prekären Kreativwirtschaft, die sich infolge des postfordistischen Gesellschaftsumbaus der letzten Jahrzehnte herausgebildet hat. Künstlerische Ausdrucksmittel wie Ironie und Provokation stehen hier längst nicht mehr in Widerspruch zu den gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern folgen in zunehmendem Maße einer Ästhetik der heiteren Indifferenz – auf die Spitze getrieben im populär gewordenen Werbesong der BVG »Is mir egal«. Auf diese Weise wird eine junge und entpolitisierte Zielgruppe angesprochen, die keine bessere Antwort auf die Trostlosigkeit des Daseins zu kennen scheint, als grölend noch den größten Blödsinn abzufeiern, der ihr von den Werbeagenturen vorgesetzt wird.
Gleichzeitig lässt sich durch kalkulierte Grenzüberschreitungen die Erregung skeptischer Zeitgenossen auf einfachste Weise instrumentalisieren und – mittels gesteigerter Aufmerksamkeitsraten – profitabel verwerten. Für den gesellschaftlichen Diskurs hat das Folgen: Wird jede Form des Protests gegen das Handeln von Unternehmen oder Institutionen absorbiert oder rhetorisch gebrochen, führt das in letzter Konsequenz zu einem Zustand ohnmächtiger Affirmation. Durch die doppelbödigen Provokationen werden zudem die Grenzen des Sagbaren verschoben. Anders als bei der Neuen Rechten geht es hier weniger um politisches, als vielmehr um ökonomisches Kalkül. Die diskursiven Auswirkungen unterscheiden sich jedoch kaum.
Der Erfolg dieser Art von Imagekampagnen zeigt: Die Propagandamaschine des Neoliberalismus ist in vollem Gange. Und angetrieben wird sie durch die Einverleibung einst emanzipatorischer Inhalte, entstanden in subkulturellen Bewegungen oder der historischen Avantgarde – wie etwa das Befreiungsversprechen von den Zwängen entfremdeter Lohnarbeit. Folgt man dem Sozialtheoretiker David Harvey, ist der Kapitalismus in Zeiten sinkender Profitraten und fehlender Neuinvestitionen gezwungen, immer neue Quellen der Authentizität zu identifizieren, um auf diese Weise profitable Anlagemöglichkeiten zu schaffen. In letzter Konsequenz liegt darin die selbstgefährdende Tendenz der derzeit herrschenden Wirtschaftsordnung verborgen.
Doch vielleicht lässt sich eines Tages auch diese permanente Nichteinlösung des großen Freiheits- und Abenteuerversprechens des Neoliberalismus subversiv wenden. Denn – das wusste schon der skeptische Philosoph Michel de Montaigne – »Das Lieben ist ein Handel, der auf Gegenseitigkeit beruht«.