Dieter B. Herrmann Erkenntnisse über Kollisionen im All
Forscher haben das Alter von Meteoritenkratern auf Mond und Erde untersucht.
Die Himmelskörper unseres Sonnensystems sind gezeichnet von einer großen Zahl kosmischer Bombardements. Die pockennarbigen Kraterlandschaften auf Merkur, Mars, dem Erdmond, ja selbst auf den Monden der großen Planeten des äußeren Sonnensystems und auf Asteroiden zeugen davon. Das haben vor allem die von Weltraumsonden übermittelten Bilder in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gezeigt.
Auch unser Planet Erde ist von Kollisionen mit mehr oder weniger großen kosmischen Körpern nicht verschont geblieben. Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Erde und Mond. Der Mond ist seit rund drei Milliarden Jahren geologisch inaktiv, das heißt, seine Oberfläche ändert sich nicht beispielsweise durch Vulkanismus. Zudem verfügt der Erdtrabant über keine nennenswerte Atmosphäre. Infolgedessen gelangt jeder noch so winzige Körper bis auf die Mondoberfläche und verglüht nicht vorher. Die Lichtblitze zweier Einschläge im Abstand von zwei Minuten konnten erst unlängst während der totalen Mondfinsternis vom 21. Januar auf Videoaufnahmen gesichtet werden. Nach den dabei entstandenen Kratern wird jetzt gesucht.
Mangels Atmosphäre gibt es auch kein Wetter. Gesteine verwittern daher nicht, sodass die Spuren der Einschläge weitgehend unverändert erhalten bleiben. So können wir aus der Anzahl der Krater auf dem Mond direkte Rückschlüsse auf die Anzahl der Kollisionen mit anderen Himmelskörpern ziehen. Das Resultat ist erstaunlich: Die uns zugewandte Vorderseite des Mondes zeigt rund 300 000 Krater mit Durchmessern von mehr als einem Kilometer. Die übergroße Mehrzahl davon geht auf Meteoriten zurück. Ganz anders unsere Erde. Hier kennen wir nur rund 190 Einschlagkrater, die zudem (bis auf den Vredefort-Krater in Südafrika – siehe Kasten) ausnahmslos jünger als zwei Milliarden Jahre sind. Das ist kein Wunder, werden doch die sichtbaren Spuren von Impaktereignissen durch Erosion und Sedimentation, aber auch durch die Plattentektonik der Erde mit der Zeit ausgelöscht.
Je länger die Ereignisse zurückliegen, desto weniger Überreste finden wir. Denken wir nur an zwei große Meteoriteneinschläge, die einst das heutige Territorium von Süddeutschland getroffen haben. Das sogenannte Nördlinger Ries stellt einen riesigen Krater mit rund 24 Kilometern Durchmesser dar, der zunächst für das Ergebnis vulkanischer Vorgänge gehalten wurde. In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stellte man jedoch zweifelsfrei fest, dass es sich um die Folge des Einschlags eines Asteroiden handelt. Dass die Struktur – ebenso wie beim benachbarten kleineren Steinheimer Becken – noch so gut zu erkennen ist, liegt daran, dass der Impakt vor relativ kurzer Zeit, nämlich vor rund 15 Millionen Jahren stattgefunden hat. Hingegen ist der Calvin-Krater (US-Bundesstaat Michigan) überhaupt nicht zu sehen, denn er liegt inzwischen bis zu 120 Meter unter der Erdoberfläche und wurde erst 1987 durch Testbohrungen entdeckt. Der Einschlag ereignete sich allerdings auch bereits vor rund 450 Millionen Jahren.
Für die Geschichte unseres Sonnensystems ist nun die Frage interessant, mit welcher Häufigkeit es Kollisionen zwischen den Planeten und Kleinkörpern in den verschiedenen Epochen gegeben hat. Generell kann man davon ausgehen, dass in der Frühzeit des Systems, nachdem sich die Planeten gerade gebildet hatten, noch reichlich »Bauschutt« im Sonnensystem vorhanden war und es folglich ein heftiges Bombardement gegeben hat. Doch wie ging es später weiter? Um das zu erkunden, hat ein Team um Sara Mazrouel von der Universität Toronto eine interessante und eigentlich ganz naheliegende Idee verfolgt.
Die Forscher gehen von der Tatsache aus, dass Mond und Erde räumlich enge Nachbarn sind. Deshalb sollte sich die zeitliche Verteilung von Meteoriteneinschlägen auf der Erde dadurch ermitteln lassen, dass man den Mond gleichsam als Spiegel benutzt. Für die auf dem Mond dauerhaft konservierten Einschlagsspuren lässt sich auch das Alter gut abschätzen. Junge Krater zeigen nämlich einen hohen Anteil sichtbarer Felsen, während bei älteren Kratern der Anteil von »Mondstaub« (Regolith) deutlich größer ist, der durch Zertrümmerung des Felsmaterials bei weiteren Meteoriteneinschlägen im Laufe der Zeit entsteht. Das Felsmaterial zeigt aber eine gegenüber dem Regolith deutlich höhere thermische Trägheit. Felsen strahlen deshalb in der eisigen Mondnacht mit ihren etwa –160°C deutlich mehr Wärme ab als der Mondstaub. Das bedeutet, dass man das Verhältnis von Felsmaterial zu Regolith auf der Nachtseite des Mondes als Altersindiz benutzen kann, wenn man Messungen des Infrarotspektrums zur Verfügung hat. Dazu werteten die Forscher Daten aus, die von der NASA-Aufklärungssonde »Lunar Reconnaissance Orbiter« (LRO) gewonnen wurden. Die 2009 gestartete und noch immer funktionstüchtige Sonde umfliegt den Mond auf einer sehr niedrigen Umlaufbahn, wobei sie sich der Oberfläche des Erdtrabanten bis auf wenige Dutzend Kilometer nähert. Zur Ausrüstung der Sonde gehört auch ein Thermal-Radiometer, eine Art Infrarot-Kamera, mit der die Temperaturverteilung der Mondoberfläche kartografiert wird. Auf diese Weise gelang die Altersbestimmung von 111 Kratern mit Durchmessern von mehr als zehn Kilometern. Das äußerst überraschende Resultat wurde jetzt im US-Fachjournal »Science« veröffentlicht: Demnach haben sich in den letzten 290 Millionen Jahren etwa dreimal so viele Meteoriteneinschläge auf dem Mond ereignet wie in der Zeit davor. Dasselbe sollte auch für die Erde gelten.
Bleibt nur noch die Frage, warum damals so plötzlich eine derart starke Zunahme von Kollisionen eingetreten ist. Die höhere Rate an jüngeren Kratern kann letztlich nur bedeuten, dass innerhalb des Sonnensystems mehr »Munition abgefeuert« wurde. Die könnte aus dem Asteroidengürtel stammen, wo nach unterschiedlichen denkbaren Szenarien ein oder mehrere Kleinplaneten zerstört wurden, deren Bruchstücke dann auch Erde und Mond mit entsprechend gestiegener Häufigkeit getroffen haben. Das ist allerdings noch Spekulation. Faszinierend bleibt, wie man durch intelligente wissenschaftliche Überlegungen und technische Hilfsmittel Abläufe rekonstruieren kann, die sich in fernster Vergangenheit abgespielt haben, als auf der Erde an menschenähnliche Wesen noch gar nicht zu denken war.
In den letzten
290 Millionen Jahren haben sich etwa dreimal so viele Meteoriteneinschläge auf dem Mond ereignet wie in der Zeit davor. Dasselbe sollte auch für die Erde gelten.