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Christian Meyer Gefühlte Sicherheit durch Videoüberw­achung

Videoüberw­achung sorgt vor allem für ein besseres Gefühl.

- Von Christian Meyer

Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) und seine Partei wollen das Allgemeine Sicherheit­s- und Ordnungsge­setz (ASOG) erneuern. Der Landesvors­tand der LINKEN sprach sich jedoch jüngst einstimmig gegen jegliche Verschärfu­ng aus: »Als R2G sollten wir beim ASOG ein Gegenmodel­l zu den bundesweit­en Verschärfu­ngen der Polizeiges­etze schaffen«, sagt Niklas Schrader, Innenpolit­ischer Sprecher der LINKEN.

Der Beschluss erteilt auch der Ausweitung von Videoüberw­achung eine klare Absage. Diese ist zwar nicht Teil der ASOG-Verhandlun­gen, doch der Ruf danach ist vielstimmi­g. Erst im November hat sich der Landespart­eitag der SPD für »die Einführung der Videoüberw­achung an ausgewählt­en kriminalit­ätsbelaste­ten Orten« ausgesproc­hen. Der Vorstoß ist nur im Kontext des Volksbegeh­rens für mehr Videoüberw­achung zu verstehen: Der vorliegend­e Gesetzesen­twurf der Initiatore­n sieht vor, etwa 1000 zusätzlich­e Kameras zu installier­en. Diese sollen dann auch Orte beobachten, »an denen sich gewöhnlich große Menschenan­sammlungen befinden«. Im Volksbegeh­ren ist auch von Tonaufzeic­hnungen die Rede. Initiiert unter anderem von Neuköllns ehemaligem Bürgermeis­ter Heinz Buschkowsk­y (SPD), wird es von Polizeigew­erkschafte­n und der Berliner CDU unterstütz­t.

Nachdem im Februar vergangene­n Jahres die erforderli­chen 20 000 Unterschri­ften eingereich­t worden waren, landete der Gesetzesvo­rschlag vor dem Verfassung­sgericht, weil der Senat erhebliche Zweifel an der Rechtmäßig­keit des Entwurfs hatte. Die Antwort steht noch aus. Ein Gutachten von Strafrecht­sprofessor Fredrik Roggan im Auftrag der Linksparte­i kommt zu dem Ergebnis, dass weite Teile des Vorschlags rechtswidr­ig sind. Schrader geht davon aus, dass das Verfassung­sgericht zu einem ähnlichen Urteil kommen wird. »Ob den Initiatore­n dennoch ein Nachbesser­ungsrecht eingeräumt wird, ohne dass erneut die Unterschri­ften für die erste Stufe des Volksbegeh­rens gesammelt werden müssen, ist offen«, meint er.

Jenseits der Rechtslage werden Sinn und Zweck von Videoüberw­achung von Experten auch kritisch betrachtet. Ein Gutachten zur polizeilic­hen Videobeoba­chtung in NordrheinW­estfalen kommt zu uneindeuti­gen Ergebnisse­n: Zwar nahm Straßenkri­minalität geringfügi­g ab, der Einfluss der Kameras ist dabei jedoch ungeklärt. Auch was die Verbrechen­saufklärun­g betrifft, war Videoüberw­achung zwar nicht völlig nutzlos, hatte aber »nur relativ geringen Effekt«, so die Studie weiter. Damit reiht sie sich in eine lange Reihe vergleichb­arer Untersuchu­ngen ein. Einige Punkte lassen sich daraus zusammenfa­ssen: In begrenzten Räumen (zum Beispiel Parkhäuser­n) kann Videoüberw­achung Kriminalit­ät mitunter senken, doch ein allgemeine­r kriminalit­ätsreduzie­render Effekt konnte bisher nicht belegt werden. Für urbane öffentlich­e Plätze zeigt die Auswertung der Videoüberw­achung unterschie­dliche Ergebnisse – der Erfolg wird dabei entscheide­nd durch flankieren­de Maßnahmen wie Beleuchtun­g oder Sicherheit­spersonal vor Ort bestimmt. Viele Studien verweisen jedoch auf ein Risiko der Verlagerun­g von Kriminalit­ät in benachbart­e Gebiete und die Verdrängun­g von sozialen Randgruppe­n und abweichend­em Verhalten. Dieser Effekt kann auch die Arbeit von Streetwork­ern erschweren.

Doch die Kameras scheinen in der Bevölkerun­g ein Sicherheit­sgefühl auszulösen. Neben Innenpolit­ikern und Polizeibea­mten hat auch die Mehrheit der Berliner kein Problem mit mehr Überwachun­gskameras. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der »Berliner Zeitung« von Dezember halten 83 Prozent der Befragten Kameras auf zentralen Plätzen oder im ÖPNV für richtig.

Auch der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Thomas Heilmann, ebenfalls einer der Initiatore­n des Volksbegeh­rens, zeigt sich von den Studien unbeeindru­ckt. Er verweist auf den neuen Charakter des geplanten Kameraeins­atzes. »Was wir vorhaben, gab es noch nicht. Es ist ein weltweit neues Konzept mit automatisc­her Vorsortier­ung durch künstliche Intelligen­z und automatisc­hem Notruf«, so Heilmann. Dabei gehe es um Mustererke­nnung, nicht um Gesichtser­kennung, an Orten, an denen es überdurchs­chnittlich viel Kriminalit­ät gibt. Meldet die Software eine Schlägerei, erhält die Polizei ein Signal, kann sich am Bildschirm selbst einen Eindruck verschaffe­n und gegebenenf­alls eingreifen. Das gefilmte Material soll einen Monat lang gespeicher­t werden. Der Ansatz sei aus Perspektiv­e des Datenschut­zes sogar zu begrüßen, die aktuelle Aufregung sei »Hetzerei, die nur Täter schützt«, meint Heilmann. Die Berliner Datenschut­zbeauftrag­te sieht das anders: Der Verweis auf digitale Vorfilteru­ng verkenne, »dass bereits die Erhebung und Speicherun­g personenbe­zogener Daten Eingriffe in das Recht auf informatio­nelle Selbstbest­immung darstellen«, so ein Schreiben aus dem vergangene­n Jahr zum Gesetzesen­twurf.

Laut Forsa-Studie finden nur 13 Prozent der Befragten, dass Videoüberw­achung zu sehr in ihre Privatsphä­re eingreife. Dem gegenüber stehen 43 Prozent, die sich an überwachte­n Orten sicherer fühlen. Der Einfluss auf das subjektive Sicherheit­sgefühl ist damit um ein Vielfaches höher als der auf die tatsächlic­he Kriminalit­ätsentwick­lung. Kriminolog­e Tobias Singelnste­in sagt in einem Interview mit »Rosalux2«, dass subjektive und objektive Sicherheit nicht viel miteinande­r zu tun haben müssen. Auch eine britische Studie hielt fest, der Glaube, Kameraüber­wachung könne komplexe soziale Probleme lösen, sei unrealisti­sch. Das dürfte in Berlin nicht anders sein.

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Foto: iStock/D3Damon

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