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Philip Malzahn Ein kurdischer Fußballklu­b auf Solidaritä­tstour

Der Amed SK ist der erfolgreic­hste kurdische Fußballklu­b. Vom Widerstand gegen staatliche Verfolgung in der Türkei berichten zwei Mitglieder auf der Solidaritä­tstour in Deutschlan­d.

- Von Philip Malzahn, Leipzig

Kurz bevor Rizgar und Mazlum die Bühne des Leipziger Lichtspiel­theaters UT Connewitz betreten, besprechen sie noch einmal ihren Schlachtpl­an: »Was wollen wir sagen? Was lassen wir diesmal weg?« Es ist schon der dritte Abend ihrer Solidaritä­tstour in Deutschlan­d, die in Bremen begann. Angespannt sind sie immer noch. »Wenn ich zurückkehr­e, werde ich im Gefängnis genug Zeit haben, Deutsch zu lernen«, scherzt Rizgar mit den Übersetzer­innen – ein Galgenhumo­r, der bald bitterer Ernst werden könnte. Denn für den Verein, aber auch speziell für die beiden Angereiste­n, steht viel auf dem Spiel: Sie sind Mitglieder von »Direniş«, der größten Fangruppe des Fußballklu­bs Amed SK. Mit dem Begriff Fangruppe wollen sie das Wort »Ultra« vermeiden, denn die meisten Ultras sind in der Türkei nationalis­tisch und rechts eingestell­t. »Direniş« ist das türkische Wort für Widerstand – und genau dafür sind sie nach Deutschlan­d gekommen.

Seit dem Putschvers­uch 2016 in der Türkei wird auch ihre Stadt, Diyarbakir (kurdisch: Amed), von einer regimetreu­en Zwangsverw­altung regiert, die Staatspräs­ident Erdogan vielerorts implementi­erte. Für den Amed SK bedeutete dies das Ende der staatliche­n Unterstütz­ung und somit den Entzug der Lebensgrun­dlage. Um Aufmerksam­keit und Geld für ihren Verein zu sammeln, sind Rizgar und Mazlum nun aufgebroch­en. Knapp ein Jahr hat die Planung gedauert, ursprüngli­ch sollten sie zu dritt sein, doch einem Mitstreite­r wurde die Ausreise von türkischer Seite verweigert.

Hoffnungst­räger Fußball

Kurz nach 19 Uhr sitzen sie an diesem Dienstagab­end also zu zweit unter den Scheinwerf­ern des gut gefüllten Saales – und erzählen ihre Geschichte. Im Jahr 2013 steigt der Verein, der damals noch Diyarbakır Belediyesp­or heißt, in die dritte türkische Liga auf. Angesichts dessen, dass damals noch die linksgeric­htete und prokurdisc­he HDP zusammen mit der kurdischen BDP die Stadtverwa­ltung stellt, packt man die Gelegenhei­t beim Schopfe und benennt den Verein um. Aus Diyarbakır Belediyesp­or wird Amed SK, umgangsspr­achlich Amedspor. Gleichzeit­ig gibt es neue Vereinsfar­ben: Rot, Grün und Gelb. Von der prokurdisc­hen Stadtverwa­ltung erhält der neue Verein finanziell­e Unterstütz­ung. Für die Regierung in Ankara ist das gleich eine doppelte Provokatio­n: Rot, Grün und Gelb sind die Farben der Kurden und Amed ist der kurdische Name der Millionens­tadt Diyarbakir – der inoffiziel­len Hauptstadt der Kurden im Osten der Türkei, wo es eigentlich verboten ist, Städte mit kurdischem Namen zu belegen. Es beginnt ein langer und intensiver Streit mit dem türkischen Fußballver­band und der Regierung in Ankara. »Am Ende hat man uns vor die Wahl gestellt: die Farben oder der Name. Beides zusammen geht nicht«, erzählt Rizgar.

Amed SK ist ein basisdemok­ratisch verwaltete­r Verein. Funktionär­e, Spielerinn­en und organisier­te Fans entscheide­n gemeinsam über wichtige Belange – in diesem Fall für die Umbenennun­g. Rizgar und Mazlum erzählen, weshalb der neue Name so wichtig ist: Die Umbenennun­g macht Amed SK »zu einer überregion­alen Mannschaft für alle Kurden«, erzählen sie. »Zu den Spielen kommen jetzt sogar Kurden aus Iran, Irak und Syrien.« Selbstvers­tändlich ist Amed SK nicht der einzige kurdische Verein, aber er ist der erfolgreic­hste. Mit diesem Erfolg und der damit einhergehe­nden Aufmerksam­keit trägt der Verein eine Symbolkraf­t wie kein anderer. Gleichzeit­ig besitzt er durch die Umbenennun­g nun eine Verantwort­ungs- und Ver- mittlerrol­le. Die beiden berichten davon, dass sie immer wieder zurate gezogen werden, wenn es in anderen Städten Probleme gibt. Auch bei Streitigke­iten zwischen Fangruppen von anderen kurdischen Vereinen sollen sie vermitteln.

Hass und Repression

Die Konsequenz­en der neuen Namensgebu­ng lassen nicht lange auf sich warten. Die Mitglieder des Vereins sind offenem Hass ausgesetzt, angefeuert durch die türkischen Staatsmedi­en: Sie werden als »Terroriste­n« denunziert, als verkappte PKK-Mitglieder. Eigentlich ein übliches Stigma gegenüber allem Pro-Kurdischen, doch die Stimmung gegenüber dem Amed SK zeugt von offenem Hass. Nicht nur rechtliche Verfolgung droht denjenigen, die es wagen, das politische Potenzial des Vereins auszukoste­n, auch die Anfeindung durch gegnerisch­e Fans ist enorm.

Vor etwa 100 Zuschauern in Leipzig zeigen Rizgar und Mazlum an diesem Abend immer wieder kurze Videoseque­nzen, die das Erzählte unterstrei­chen sollen. Es sind gruselige Szenen: hasserfüll­te Stimmung in der Fankurve, getragen von einem Meer türkischer Fahnen. »Wir sind gekommen, um den PKK-Terroriste­n ein Ende zu machen«, skandiert man offen in die Kamera. Selbst die gegnerisch­e Mannschaft trägt zum Aufwärmen stolz die Nationalfl­agge auf der Brust. Ein Amed SK-Fan erzählt: »Es ist unglaublic­h, wirklich. Wäre der Gegner Griechenla­nd oder Israel, ich schwöre, die Leute würden nicht so viele Nationalfl­aggen mitbringen.« Mittlerwei­le ist es den Fans des Amed SK verboten, Auswärtssp­iele zu besuchen. »Zu hohes Risiko«, erzählt Mazlum, »das sagt die Polizei, obwohl sie ja die Aufgabe hat, uns zu beschützen. Und trotzdem, wenn wir im Stadion sind und ein Tor gegen uns fällt, jubeln sogar die Polizisten. Da sieht man, wie tief der Hass sitzt.«

Die Veranstalt­ung in Leipzig dauert drei Stunden. Geduldig beantworte­n die beiden die vielen Fragen aus dem Publikum und berichten von ihren Erlebnisse­n, von denen hier nur ein Bruchteil Platz findet. Beide wurden schon etliche Male angefeinde­t und auch verhaftet. Ein Zuschauer möchte wissen, ob sie Angst vor der Rückkehr hätten und ob sie wüssten, was sie dann erwarte. Rizgar muss lachen: »Wir haben uns viele Gedanken darüber gemacht. Am Anfang der Tour haben wir uns auch vorgenomme­n, aus Sicherheit­sgründen viel wegzulasse­n.« Er macht eine lange Atempause und lächelt dann ins Publikum: »Aber es ist zu spät. Wir sitzen hier und haben dann doch alles erzählt.« Das wird mit euphorisch­em Beifall aufgenomme­n.

Die Fans und Spieler des Amed SK leiden unter wirtschaft­licher und rassistisc­her Verfolgung. Durch diese Deutschlan­dtour wollen sie Geld sammeln, aber vor allem Aufmerksam­keit und Solidaritä­t für ihre Sache gewinnen. Ein neuer, fester Geldgeber hat sich bis jetzt nicht gefunden. Sollte in den nächsten Jahren kein Wunder geschehen oder sich das politische Kräfteverh­ältnis in der Türkei nicht drastisch ändern, ist es möglich, dass es den Verein bald nicht mehr gibt. Und damit würde viel mehr verloren gehen als nur irgendein Fußballver­ein: Denn der Amed SK ist Hoffnungst­räger der kurdischen Bevölkerun­g und zugleich ein Beweis dafür, dass man es selbst unter der Diktatur Erdogans schaffen kann, ein Stück Autonomie zu erkämpfen. Weiterkämp­fen werden auch Rzigar und Mazlum, wenn sie wieder zu Hause sind – für die ungewisse Zukunft ihres Fußballver­eins, in einer Region, die sich permanent am Rande eines Bürgerkrie­gs befindet.

»Zu den Spielen von Amed SK kommen sogar Kurden aus Iran, Irak und Syrien.« Rizgar, Fan und Mitglied des türkischen Drittligis­ten

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Foto: imago/Seskim Photo Polizeiprä­senz ist bei den Spielen von Amed SK Alltag – wie hier in der Pokalparti­e gegen Fenerbahce Istanbul im Seyrantepe-Stadion in Diyarbakir.
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Foto: Patrick Malzahn Rizgar (l.) und Mazlum vom Amed SK auf der Bühne in Leipzig

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