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Elisabeth Schlammerl Alpine Ski-WM im schwedisch­en Are

Die alpinen Skiweltmei­sterschaft­en sind Teil eines olympische­n Testlaufs in Schweden für die Spiele 2026: große Entfernung­en, weniger Umweltzers­törung, mehr Nachhaltig­keit.

- Von Elisabeth Schlammerl, Are

Das Jämtland ist eine beschaulic­he Gegend. Es kann passieren, dass man dort so viele Menschen trifft wie Elche in freier Wildbahn, also sehr wenige. Denn es gehört zu den Mären, dass in Schweden diese Hirschart an fast jeder Ecke beziehungs­weise hinter jedem Gebüsch zu sehen ist. Eine Ausnahme dieser Ruhe ist das winterlich­e Are. Gelegen an der Schwelle zum Lappland, hat sich der 3000Einwoh­ner-Ort zu einer lebhaften Skimetropo­le entwickelt.

Begonnen hat alles 1910, als ein Ingenieur eine Standseilb­ahn auf den 1420 Meter hohen Areskutan bauen ließ. Mittlerwei­le gibt es 42 Lifte und 89 Pisten. Das Skigebiet kann es von der Größe her locker mit dem von Kitzbühel aufnehmen – und man hat hier nicht viel weniger Erfahrung mit der Organisati­on von Skiveranst­altungen als Österreich, das gelegentli­ch die Alpinkompe­tenz für sich in Anspruch nimmt und damit auch das Recht auf Austragung von Skiveranst­altungen.

1921 fand auf dem Areskutan zum ersten Mal der »Arebragden« statt, ein 5,2 Kilometer langer Abfahrtsla­uf, vergleichb­ar damals mit den berühmten Rennen am Kitzbühele­r Hahnenkamm und dem Wengener Lauberhorn. In den vergangene­n Jahren stand Are regelmäßig im Weltcupkal­ender der Alpinen. In diesen Tagen richtet der westschwed­ische Ort bereits zum dritten Mal alpine Skiweltmei­sterschaft­en aus. 1954, mit dem zweifachen Goldmedail­lengewinne­r Stein Eriksen aus Norwegen als Star, waren rund 180 Athleten aus 24 Ländern am Start; es berichtete­n zehn Radiostati­onen und rund 200 Journalist­en aus Are. 43 Jahre später dominierte mit Anja Pärson zur Freude der Veranstalt­er eine Schwedin, sie gewann insgesamt fünf Medaillen. Es waren etwa doppelt so viele Rennfahrer am Start. Für diese Weltmeiste­rschaften sind rund 600 Athleten gemeldet. Die Zahl der akkreditie­rten Journalist­en (1500) hat sich im Vergleich zur letzten WM nicht verändert, dafür aber das Budget. Knapp 400 Millionen Kronen (rund 38 Millionen Euro) und damit fast ein Viertel mehr als 2007 haben die Verantwort­lichen für diese Titelkämpf­e veranschla­gt. 1954 gab es in Are zehn Hotels, vor zwölf Jahren standen bereits mehr als 25 000 Betten zur Verfügung, mittlerwei­le sind es in der gesamten Region rund 34 000 und damit zehnmal so viel, wie der Ort Einwohner hat.

Anfang März findet in der Region gleich die nächste Großverans­taltung statt – die Biathlon-WM im knapp 100 Kilometer entfernten Östersund. Ares Organisati­onschef Niklas Carlsson bezeichnet­e diese geballten Titelkämpf­e als Mini-Olympia – und damit als Testlauf für eine schwedisch­e Bewerbung um die Winterspie­le 2026. Kandidat ist offiziell die Hauptstadt Stockholm. Allerdings sieht das Konzept eine Verteilung der Sportarten nicht nur über fast ganz Mittelschw­eden vor, sondern auch die Eisrinne von Sigulda in Lettland ist mit einbezogen. Wenn die Skifahrer gut 600 Kilometer entfernt vom olympische­n Hauptort antreten, die Skispringe­r im etwas näheren Falun, die Biathleten irgendwo dazwischen in Hamra und die Rodler eine Flugstunde getrennt von Stockholm ihre Medaillen ausfahren, geht einer der olympische­n Gedanken verloren: ein großes Sportfest an einem Ort.

Einen ähnlichen Weg wie Stockholm beschreite­t allerdings auch der zweite Bewerber für 2026, Mailand. Die Italiener gehen sogar mit dem verwegenen Plan von zwei verschiede­nen alpinen Austragung­sstätten ins Rennen. Die Frauenwett­bewerbe sollen in Cortina d’Ampezzo stattfinde­n, die Männer würden im fünf Stunden entfernten Bormio fahren – eine wohl kaum zu realisiere­nde logistisch­e Herausford­erung.

Womöglich ist das Konzept, die Orte mit der Kompetenz für einzelne Sportarten und vor allem den entspreche­nden Wettkampfs­tätten einzubezie­hen, aber dafür eine größere Entfernung in Kauf zu nehmen, sogar die einzige Lösung, um sowohl die Umweltzers­törung einzudämme­n und für mehr Nachhaltig­keit zu sorgen – und wieder klassische Winterspor­tregionen für eine Olympiabew­erbung gewinnen zu können. Der Präsident des Internatio­nalen Skiverband­es (FIS), Gian Franco Kasper, hat vor ein paar Tagen mit seiner Aussage, dass es in Diktaturen einfacher sei, Olympische Spiele auszutrage­n, für Auf- regung gesorgt und viel Kritik einstecken müssen. »Olympia sollte man zeitgemäß veranstalt­en und nicht irgendwo aus dem Boden stampfen«, fand Thomas Schwab, Vorstandsv­orsitzende­r und Generalsek­retär des Bob- und Schlittenv­erbandes für Deutschlan­d. Als Sportfunkt­ionär könne Kasper so etwas nicht sagen, »denn dann macht er den Sport eher kaputt«. Zwar relativier­te der FISPräside­nt die Aussage nun. Er habe dies auf den sogenannte­n Gigantismu­s und auf seine Bedenken bezogen, »neue Austragung­sorte für zusätzlich­e Sportarten bauen zu müssen … und vor allem Orte, die hinterher nur noch beschränkt genutzt werden«, heißt es in einer auf der FIS-Seite verbreitet­en Erklärung. Auch am Rande der Ski-WM äußerte sich Kasper ein wenig diplomatis­cher als zuvor im Interview mit dem Schweizer »Tagesanzei­ger«. Das Problem in demokratis­chen Ländern wie Deutschlan­d, Schweiz oder Österreich seien die Volksentsc­heide, sagte er: »Wenn man die Zustimmung der Bevölkerun­g braucht, ist nichts mehr zu holen.«

Veranstalt­er für alpine Titelkämpf­e zu finden, sei dagegen kein Problem, meint Kasper: »Es gibt immer genügend Kandidaten, wenngleich es nicht mehr so viele sind wie früher.« Auch da steigen die Anforderun­gen und die Einflussna­hme des Weltverban­des, aber der finanziell­e Aufwand ist im Vergleich zu Winterspie­len überschaub­ar – und, wie Peter Fischer, der Chef des Organisati­onskomitee­s der WM von 2011 und der Weltcupren­nen von Garmisch-Partenkirc­hen, meint: »Die Investitio­n lohnt sich.« Die Werdenfels-Gemeinde habe jedenfalls stark profitiert von den Titelkämpf­en vor acht Jahren. »Die jährlichen Übernachtu­ngszahlen sind von damals 1,2 Millionen auf nun 1,5 Millionen gestiegen. Ob das nur an der WM liegt, kann man natürlich nicht sagen, aber sicher auch«, sagt er. Der lange etwas angestaubt­e Touristeno­rt präsentier­t sich nun wesentlich moderner, auch dank der Maßnahmen im Rahmen der Titelkämpf­e 2011. Das schätzt die Bevölkerun­g offenbar. Als sich Fischer und sein Team für eine Bewerbung um die Ski-WM 2025 entschiede­n, sprach sich der Gemeindera­t mit einer Gegenstimm­e dafür aus, und auch bei der Bevölkerun­g, sagt Fischer, sei kein Protest zu erwarten.

Das war ganz anders, als es um die Münchner Olympiabew­erbung für 2018 ging. Damals regte sich vor allem in Garmisch-Partenkirc­hen großer Widerstand. Aber während für Winterspie­le trotz vieler bestehende­r Wettkampfs­tätten massive Eingriffe in die Umwelt notwendig gewesen wären, muss sich Fischer vor einer WM nur mit dem einen oder anderen Bauern um eine kurze Zwischennu­tzung einiger weniger kleiner Parzellen bemühen. Wenn überhaupt.

 ?? Fotos: dpa/Michael Kappeler, Jean-Christophe Bott ?? Vom Areskutan geht es hinunter nach Are: Meist ist es im weiten Jämtland und in dem 3000-Einwohner-Ort beschaulic­h. Jetzt, während der alpinen Skiweltmei­sterschaft­en, ist es für knapp zwei Wochen mit der Ruhe vorbei.
Fotos: dpa/Michael Kappeler, Jean-Christophe Bott Vom Areskutan geht es hinunter nach Are: Meist ist es im weiten Jämtland und in dem 3000-Einwohner-Ort beschaulic­h. Jetzt, während der alpinen Skiweltmei­sterschaft­en, ist es für knapp zwei Wochen mit der Ruhe vorbei.
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