Auf der Suche nach dem verlorenen Profil
Bei SPD und CDU stehen Klausuren ins Haus. Die bisher erklärten Absichten zerren am Konsens der Koalition.
CDU und SPD, beides Volksparteien, müssen sich um ihre Nähe zum Volk sorgen. Die SPD ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Aber auch die CDU macht sich angesichts der Umfragewerte für die dieses Jahr anstehenden Wahlen in Bremen, Sachsen und Thüringen daran, an ihrer Selbstdarstellung zu arbeiten. Beide Parteispitzen kommen am Sonntag und Montag zu Klausuren zusammen. Und die Sozialdemokraten können mit einem kleinen Plus von zwei auf 16 Prozent in der Sonntagsfrage des ZDF-Politbarometers immerhin ein Echo auf ihre Sozialstaatsideen erkennen, mit denen sie in der zurückliegenden Woche täglich neu von sich reden machten.
Die Christdemokraten nennen es ein »Werkstattgespräch«. Die neue Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hatte dazu angeregt, die parteiintern umstrittene Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel aufzuarbeiten. Die Saarländerin warnte davor, die Debatte rückwärtsgewandt zu führen, weil es der CDU dann wie der SPD mit Hartz IV gehe – die streitet bekanntlich seit Jahren darüber, ob der 2005 von Kanzler Gerhard Schröder ein- geschlagene Kurs einer Korrektur bedarf. Die CDU-Spitze hofft, am Ende einen »umsetzbaren Plan für die Zukunft der deutschen und europäischen Asyl- und Migrationspolitik« zu haben, wie CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sagte.
Die SPD indes bemüht sich derzeit um eine soziale Profilierung. Finanzminister Olaf Scholz kokettierte unlängst mit einem Mindestlohn von zwölf Euro. Sein Kabinettskollege Hubertus Heil, zuständig für Arbeit und Soziales, schlug eine garantierte Grundrente als Schutz vor Altersarmut vor. Parteichefin Andrea Nahles möchte Arbeitslosengeld I älteren Personen länger gewähren. Ein anderer Vorschlag zielt darauf, Familienleistungen zu einer Kindergrundsicherung zu bündeln. All dies soll auf der Klausur zu einer Agenda »Sozialstaat 2025« zusammengeschnürt werden.
Um sie umsetzen zu können, muss die SPD auch ihre Koalitionspartner von diesem Schwenk überzeugen. Die Vorschläge seien unbezahlbar, heißt es bereits aus dem Unionslager, das ohnehin gerade versucht, den vergleichsweise liberalen Kurs von Kanzlerin Merkel zu revidieren. Es geht also gerade in eine ganz andere Richtung.
Dies scheint der Moment zu sein, den auch Sigmar Gabriel für ein öffentliches Zeichen als günstig erachtet. Um den langjährigen SPD-Chef war es zuletzt ruhig geworden. Jetzt stellt er gleich mal das Regierungsbündnis infrage: Nur wenn die Union bereit sei, den Kurswechsel der SPD mitzutragen, mache Mitregieren noch Sinn. »Wenn nicht, muss man gehen.« Im Herbst will die Partei über die sogenannte Revisionsklausel beraten, die im Koalitionsvertrag für die Halbzeit vereinbart wurde. Dann geht es wieder um die Existenz der schwerfällig regierenden Koalition.