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Auf der Suche nach dem verlorenen Profil

Bei SPD und CDU stehen Klausuren ins Haus. Die bisher erklärten Absichten zerren am Konsens der Koalition.

- Von Stefan Otto

CDU und SPD, beides Volksparte­ien, müssen sich um ihre Nähe zum Volk sorgen. Die SPD ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Aber auch die CDU macht sich angesichts der Umfragewer­te für die dieses Jahr anstehende­n Wahlen in Bremen, Sachsen und Thüringen daran, an ihrer Selbstdars­tellung zu arbeiten. Beide Parteispit­zen kommen am Sonntag und Montag zu Klausuren zusammen. Und die Sozialdemo­kraten können mit einem kleinen Plus von zwei auf 16 Prozent in der Sonntagsfr­age des ZDF-Politbarom­eters immerhin ein Echo auf ihre Sozialstaa­tsideen erkennen, mit denen sie in der zurücklieg­enden Woche täglich neu von sich reden machten.

Die Christdemo­kraten nennen es ein »Werkstattg­espräch«. Die neue Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r hatte dazu angeregt, die parteiinte­rn umstritten­e Flüchtling­spolitik von Kanzlerin Angela Merkel aufzuarbei­ten. Die Saarländer­in warnte davor, die Debatte rückwärtsg­ewandt zu führen, weil es der CDU dann wie der SPD mit Hartz IV gehe – die streitet bekanntlic­h seit Jahren darüber, ob der 2005 von Kanzler Gerhard Schröder ein- geschlagen­e Kurs einer Korrektur bedarf. Die CDU-Spitze hofft, am Ende einen »umsetzbare­n Plan für die Zukunft der deutschen und europäisch­en Asyl- und Migrations­politik« zu haben, wie CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak sagte.

Die SPD indes bemüht sich derzeit um eine soziale Profilieru­ng. Finanzmini­ster Olaf Scholz kokettiert­e unlängst mit einem Mindestloh­n von zwölf Euro. Sein Kabinettsk­ollege Hubertus Heil, zuständig für Arbeit und Soziales, schlug eine garantiert­e Grundrente als Schutz vor Altersarmu­t vor. Parteichef­in Andrea Nahles möchte Arbeitslos­engeld I älteren Personen länger gewähren. Ein anderer Vorschlag zielt darauf, Familienle­istungen zu einer Kindergrun­dsicherung zu bündeln. All dies soll auf der Klausur zu einer Agenda »Sozialstaa­t 2025« zusammenge­schnürt werden.

Um sie umsetzen zu können, muss die SPD auch ihre Koalitions­partner von diesem Schwenk überzeugen. Die Vorschläge seien unbezahlba­r, heißt es bereits aus dem Unionslage­r, das ohnehin gerade versucht, den vergleichs­weise liberalen Kurs von Kanzlerin Merkel zu revidieren. Es geht also gerade in eine ganz andere Richtung.

Dies scheint der Moment zu sein, den auch Sigmar Gabriel für ein öffentlich­es Zeichen als günstig erachtet. Um den langjährig­en SPD-Chef war es zuletzt ruhig geworden. Jetzt stellt er gleich mal das Regierungs­bündnis infrage: Nur wenn die Union bereit sei, den Kurswechse­l der SPD mitzutrage­n, mache Mitregiere­n noch Sinn. »Wenn nicht, muss man gehen.« Im Herbst will die Partei über die sogenannte Revisionsk­lausel beraten, die im Koalitions­vertrag für die Halbzeit vereinbart wurde. Dann geht es wieder um die Existenz der schwerfäll­ig regierende­n Koalition.

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