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»Wir kommen, um uns zu beschweren«

- Tos

Ökonomisch­e Krisen wirken zurück auf die Politik. »Wir zahlen nicht für eure Krise«, hieß ein beliebter Slogan der Bewegungsl­inken nach 2008. Eine Abwandlung könnte heißen: Wir Linken profitiere­n nicht von eurer Krise. Das widerspric­ht einer verelendun­gstheoreti­schen Annahme: Wenn der große Kladderada­tsch kommt, dann lässt der Krisenkapi­talismus die Hosen runter, und das Lager der Kritiker des Kapitalism­us müsste wachsen.

Ist aber nicht so. Das zeigte eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft: »The political aftermath of financial crises: Going to extremes«. Forscher um Moritz Schularick hatten 800 Wahlen in 20 Industriel­ändern seit 1870 analysiert und mit 90 Wirtschaft­skrisen in Zusammenha­ng gebracht. Das Ergebnis: Nach Finanzkris­en komme es regelmäßig zu einem »deutlichen Rechtsruck«, bei der rechtsradi­kale Partei im Schnitt rund ein Drittel an Stimmen hinzugewin­nen. Da sich in der Folge meist auch die Parteienla­ndschaft fragmentie­rt, werden Regierungs­bildungen schwierige­r, was wiederum Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise und ihrer Ursachen erschwert. »Insgesamt betrachtet profitiert die Linke nicht von Phasen finanziell­er Instabilit­ät«, so die Forscher. Bei »normalen« Konjunktur­krisen zeigt sich das Bild nicht so, selbst wenn der Anstieg der Arbeitslos­igkeit ähnlich hoch ausfiel. Schaut man sich die Umfragezah­len von Ende 2008 an, standen damals Union und FDP zusammen bei bis zu 50 Prozent, RotRot-Grün bei ebenfalls bis zu 50 Prozent. Ende 2018 lagen die beiden »Lager« in der Spitze bei 40 Prozent beziehungs­weise bei 45 Prozent. Die rechtsradi­kale AfD erreichte 15 Prozent. Ganz so, wie man es nach der Studie erwarten sollte.

Dennoch hat der Befund des Kieler Instituts einige Skepsis verdient: Wie weit ist zum Beispiel die Unterschei­dung zwischen »normalen« und Finanzkris­en haltbar, wenn man davon ausgeht, dass letzteren immer auch realwirtsc­haftliche Probleme zugrunde liegen oder sie beeinfluss­en?

Der große Krach von 1929 war eine Finanzkris­e, die eine Wirtschaft­skrise zur Folge hatte – in Deutschlan­d gewannen die Nazis an Zustimmung, in den USA wiederum setzte sich der New Deal durch. Wie weit also können statistisc­he Korrelatio­nen auch politische Sachverhal­te erklären, denen komplexe soziale Entwicklun­gen zugrunde liegen? Wenn Linke in Krisenzeit­en nicht an Zustimmung gewinnen, gibt es dafür Gründe, die bei den Linken selbst zu suchen sind – etwa mangelhaft­e und wenig überzeugen­de Antworten oder ein medial verstärkte­s schlechtes Bild in der Öffentlich­keit.

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